Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXVIII.

Alexandrine war eine Frau von dreißig Jahren mit einer lymphatischen, fast blutleeren Haut. Diese Frau litt jeden Monat an einer fürchterlichen Migräne, während welcher sie von unglaublicher nervöser Reizbarkeit war, daß sie das Rauschen eines Stück Papiers, der Refrain eines Liedes, ein Nichts in hysterische Anfälle versetzen konnte. Diese immer wiederkehrenden Zustände äußerten sich nicht wie bei anderen Frauen in Zornausbrüchen und wütendem Toben. Bei ihr war das anders. Ganz plötzlich, ohne daß man einen Grund dafür sah, warf sie sich zu Boden, krümmte sich zusammen, schloß die Augen, hielt sich mit den Händen die Ohren zu und blieb so stundenlang unbeweglich liegen, während manchmal ein leises Zucken durch ihren Körper ging. Dann hieß es »Alexandrine hat ihre Zustände«.

Einmal bei einem Gewitter, während dessen der Blitz zweimal in die Militärschule einschlug, hatten sich alle Mädchen des Hauses toll vor Angst in den Keller geflüchtet, in alle dunklen Winkel, um nur ja nichts zu sehen. Elisa und Alexandrine hatten sich zwischen zwei Türen verkrochen, wo es stockfinster war. Plötzlich schien es Elisa, als blitzte es auch hier in dieser Dunkelheit noch immer. Sie schloß die Augen, öffnete sie angstvoll wieder und sah mit größtem Erstaunen einen Lichtschein in den Haaren Alexandrinens. Instinktiv fuhr sie mit der Hand über ihre Haare und fühlte in den Fingerspitzen ein leises Prickeln.

»Meine Haare, nicht wahr – sagte Alexandrine – kennst du das nicht, das ist, wie bei einer Katze, wenn man ihr gegen den Strich über den Pelz fährt. Aber das ist noch gar nichts, du wirst gleich sehen!«

Als das Gewitter vorbei war, gingen die beiden in Elisas Zimmer. Die Fensterladen waren geschlossen, so daß es ziemlich dunkel war. Alexandrine setzte sich auf das Bett und Elisa fing an, ihrer Freundin das Haar zu kämmen. Da begannen die Haare zu knistern und zu sprühen und zu leuchten, so stark zu leuchten, daß man in dem engen dunklen Raum ganz gut den Zuaven unterscheiden konnte, die kleine Soldatenpuppe mit der roten Hose, mit der damals jedes Mädchen ihren Spiegel schmückte.

Von da ab kam Alexandrine alle Tage gegen zwei Uhr in Elisas Zimmer. Anfänglich bestand von Seiten Alexandrinens ein gewisser Widerstand. »Noch nicht«, sagte sie, und ihre Hände stießen den Kamm sanft zurück, als wollte sie die Sache verzögern, diesen fast mystischen Akt, den die Frau mit den elektrischen Haaren beinahe fürchtete und den sie doch herbeisehnte. Und schließlich ließ sie es geschehen. Elisa begann zuerst ganz leicht zu kämmen, die Haare mit dem Kamm nur ganz zart zu streicheln, die immer stärker zu leuchten begannen, während Alexandrine gegen das Gähnen und gegen den Schlaf ankämpfte, der ihre Augenlider schwer wie Blei machte.

Und immer schneller, immer stärker fuhr der Kamm durch die Haare, durch die kastanienroten, sehr feinen Haare, und bei jedem Strich richteten sich die Strähne auf und knisterten und sprühten kleine Blitze. Elisa empfand ein eigentümliches, unerklärliches Vergnügen daran, diese Funken sprühen zu sehen und kämmte immer schneller, immer leidenschaftlicher. Nach einer Viertelstunde standen die Haare wie eine lange leuchtende Welle von ihrem Nacken ab und noch immer fuhren die Zähne des Kammes durch den knisternden Brand. Dann nahm Elisa mit dem Gefühl eines leichten Grauens und gleichzeitig mit einem seltsamen Lustgefühl diese leuchtenden Haare in die Hände, streichelte sie, wühlte darin, und fühlte von den Fingerspitzen bis zu den Ellbogen das zarte Prickeln der elektrischen Funken. Und dann türmte sie, wie unter einer plötzlichen Eingebung, den leuchtenden Haarwust zu einer hohen, phantastischen Frisur auf, in der irgendetwas von der hexenhaften Vitalität dieser Haare war.

Alexandrine erwachte aus ihrem Halbschlaf, streckte und dehnte ihren Leib, daß die Gelenke krachten und starrte mit brennenden Augen in das Dunkel des Zimmers.

Durch diese tagtäglich mitsammen verbrachte Stunde, durch diese merkwürdigen Séancen, durch dieses Überströmen eines Fluidums von der einen zur andern entstand zwischen den beiden Frauen ein mysteriöses Band, wie es in den Bezirken des Übersinnlichen, etwa zwischen dem Magnetischen und der Somnambule besteht.


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