Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXXIX.

Elisa gegenüber hing unter einem Kruzifix ein Auge Gottes in einem blauen Rahmen, der in weißen Buchstaben die Aufschrift trug: »Gott sieht mich«, und unter dem Auge Gottes erschien des öfteren an einem winzigen Nagelloch das Auge des Inspektors, der seine Runde durch die Korridore machte.

Die Sträflinge, die zwar volle, aufgedunsene Wangen hatten, aber die bleiche Gesichtsfarbe von Rekonvaleszenten, hatten in ihren Gesichtern etwas Starrköpfiges, Verstocktes, Boshaftes. Ihre Mienen waren verschlossen, aber man merkte, daß unter dieser Maske das Feuer verzehrender Leidenschaften loderte, und ihr Blick, der sich totstellte, folgte den Vorübergehenden bis zur Türe mit haßerfüllter Neugier. Sie waren mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt. Die einen nähten Wäsche, die anderen verfertigten Mieder für den Export, wieder andere stanzten Knöpfe aus, einige flochten Strohhüte oder fädelten Rosenkranzperlen auf, viele arbeiteten an der Nähmaschine und nur drei oder vier waren mit Sticken beschäftigt.

Über all diesen Frauen, die in Reihen über ihre Arbeit gebückt saßen, über all diesen gleichgekleideten Sträflingen, diesen gebeugten Köpfen, diesen gekrümmten Rücken unter dem blaugestreiften Madrasstoff, lag in dem Halblicht des Arbeitssaales ein kühler bläulicher Dunst, erfüllt von den stumpfen Farben des Elends, des Leidens, der Gefangenschaft, den die grellen Farben der Seidenblumen der Stickerinnen noch trauriger erscheinen ließen.

Die Arbeit nahm kein Ende, sie fing immer wieder von neuem an, ohne irgend eine Befriedigung, ohne Ermunterung, ohne ein Wort, ohne einen Ausruf der Freude, der sonst die Vollendung einer Arbeit begleitet. Nur ein leises Klopfen mit dem Fingerhut an einer Stuhllehne zeigte in dem stummen Betrieb, in dem endlosen Schweigen der Aufseherin von Zeit zu Zeit an, daß eine der Frauen ihre Arbeit vollendet hatte – und daß sie eine neue Arbeit erwarte.


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