Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XL.

Das endlose Schweigen! Elisa litt furchtbar unter der harten Gefängnisregel, der sie sich unterwerfen mußte. Es ist so sehr wider die Natur jeden menschlichen Wesens, sich des Sprechens zu entwöhnen. Das Wort! Ist es nicht der Ausdruck einer plötzlichen Regung, einer plötzlichen Aufwallung, ist es nicht sozusagen ein unwillkürlicher Schrei der bewegten Seele? Das Wort! Ist es nicht ebenso ein Zeichen des Lebendigen wie das Pochen des Pulses? Wie sollte ein Mensch, ein Lebewesen, das den Mund nicht mit einem Vorhängschloß versperrt hat, nicht den Wunsch haben, zu seinen Mitmenschen zu reden, mit denen es lebt, mit denen es täglich umhergeht, täglich in Berührung kommt, die es in den Arbeitssälen streift, kurz, mit denen es tagein, tagaus Seite an Seite lebt, in einer Gemeinschaft, die überall sonst die Zunge löst, zum Reden ermuntert? Niemals sprechen dürfen! Sie gab sich alle Mühe, aber sie war ein Weib, ein Wesen, dessen Empfindungen, Eindrücke und Gefühle wie bei einem Kinde mit zwitschernder Geschwätzigkeit hervorzusprudeln gewohnt waren, sich bald in einem raschen Wort, bald in einem Schwall vieler Worte Luft zu machen suchten. Niemals sprechen! Niemals sprechen dürfen! Aber haben denn die Nonnen, die das Gelübde des Schweigens abgelegt haben, es jemals strenge erfüllen können? Niemals sprechen! Sie, die gewohnt war, ihre närrischen kleinen Zornausbrüche auszutoben, Spektakel zu machen, zu schnattern und zu schreien. Niemals sprechen dürfen! ... Immer sah man sie die Lippen bewegen, als käme sie an etwas, das sie sich schließlich mit verzerrtem Gesicht hinunterzuschlucken entschloß. Niemals sprechen! Niemals sprechen dürfen!

Ich weiß nicht, ob es eine bloße Legende war, aber in Noirlieu erzählten die Leute den Fremden, daß die Frauen durch dieses ewige Schweigen Hals- und Kehlkopfkrankheiten bekämen, und daß man, um diese Krankheiten zu bekämpfen, die Sträflinge zwinge, am Sonntag bei der Messe mitzusingen.


 << zurück weiter >>