Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXI.

– »Du wirst Strafe zahlen, meine Liebe!«

Madame, die während des Mittagessens um den Tisch ging, hatte sich durch einen geschickten Handgriff davon überzeugt, daß Elisa kein Mieder trug.

In der nächsten Woche wurde Elisa neuerlich zu einer Geldstrafe verurteilt, denn Madame sah mit äußerster Strenge darauf, daß ihre Damen anständig angezogen waren. Und als sie in der folgenden Woche neuerlich Strafe zahlen mußte, verließ sie nach zwei Monaten das Haus und ging in ein anderes, das in der Nachbarstraße lag. Aber gleich nach ihrem Eintritt geriet sie dort mit einem der Mädchen in Streit und ging wieder davon. Aus dem nächsten Haus lief sie davon, weil ihr das Zimmer zu feucht war und sie einen »Schnupfen« bekam. Und aus dem nächsten, weil sie nicht erlauben wollte, daß sich der »Laternanzünder« in ihre Angelegenheiten mische. Kurz, aus wenig stichhältigen oder lächerlichen Gründen, wegen irgendeines nichtigen Anlasses, unter dem bedeutungslosesten Vorwand verließ sie nach wenigen Wochen immer wieder ihren Aufenthalt und trug ihr kleines Köfferchen und ihren Wandertrieb um zwei, drei Türen weiter. So machte Elisa in ein paar kurzen Jahren ihren Weg durch alle Häuser der obskuren Gassen, die ein altes Buch die »heißen Gäßchen« nennt. Sie zog durch alle Bordelle der Rue Bourbon-Villeneuve, der Rue Notre-Dame de Recouvrance, der Rue de la Lune, der Passage du Caire, der Rue de Filles-Dien, der Rue du Petit Carreau, der Rue Saint-Sauveur, der Rue Marie-Stuart, der Rue Françoise, der Rue Mauconseil, der Rue Pavée-Saint-Sauveur, der Rue Thévenot, der Rue de Chantre, der Rue des Poulies, der Rue de la Sonnerie, der Rue de la Limace – kurz, durch alle anrüchigen und verworfenen Lasterhöhlen der zwei Industriebezirke der Stadt, die vor etwa dreißig Jahren der Sitz der letztrangigsten Prostitution waren.

In diesem Bedürfnis des beständigen Wechsels, in diesem Abscheu vor dem gewohnten Ort und der gewohnten Umgebung, in dieser Sucht nach neuen Gesichtern, neuer Gesellschaft und einem neuen Milieu gehorchte Elisa jenem abenteuerlichen Drang, der die Prostituierte von einem Ort zum andern, von einer Herberge zur andern, von einem Bordell zum andern treibt, auf der ewigen Jagd nach dem Besseren, das sie eben so wenig findet, wie die Beruhigung dieses Wandertriebes, der sie unter keinem Dach lange zur Ruhe kommen läßt.


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