Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXIX.

In den Kriegsjahren, in dieser Zeit eines für Frankreich glücklichen Feldzuges, da der letzte Infanterist sich mit stolzem Selbstbewußtsein als Held und Sieger fühlte, war die Mehrzahl der Mädchen, die in der Rue de Suffren wohnten, für den ruhmvollen Uniformrock begeistert, ob er nun goldene oder wollene Epauletten trug. Aber dieser Zauber der Montur ist es nicht allein, der die Prostituierte zu dem Soldaten hinzieht – ein Zauber, der sich übrigens in Friedenszeiten und nach unglücklichen Kriegen abschwächt – es sind noch andere Gründe dafür vorhanden, die man vielleicht kurz mit folgendem Satz zusammenfassen könnte: für den Soldaten ist die Prostituierte immer noch die Frau.

In dem Soldaten erblickt die Prostituierte mit dem Feingefühl, das auch die gröbsten Naturen in Dingen der Liebe bewahren, den Mann, der um ihretwillen in das Haus kommt, der in ihr trotz ihrer Erniedrigung das begehrte Weib sieht. Sie ist für ihn das Ziel seiner Leidenschaft, der verführerische Anziehungspunkt, nicht wie für den Zivilisten, der in ihr nur das lasterhafte Spielzeug einer verlumpten Nacht sieht.

Der Soldat liebt sie eifersüchtig, er teilt mit ihr seinen kargen Sold, er führt sie stolz am Arm, er schreibt ihr Liebesbriefe. Bei der Demolierung eines Bordells in der Altstadt wurde ein Bündel Briefe gefunden, das mir in die Hände gekommen ist. Sie waren alle von Soldaten geschrieben.

Der Soldat ist vielleicht manchmal brutal, seine Liebkosungen sind derb, nicht anders als wenn er seinen Gaul streichelt. Seine Liebesbrunst mag oft etwas Tierisches an sich haben. Alles in seinen Gefühlsausbrüchen ist stürmisch, grob und leidenschaftlich. Aber er wird in der Liebe niemals ironisch sein, wie der Arbeiter, oder der kleine lasterhafte Bürger, er wird nie dieses spöttische Lachen für sie haben, wie der Zivilist.

In den Armen des Soldaten fühlt sich die Prostituierte beinahe als seine Geliebte, während sie für die anderen nichts als ein Liebesautomat ist, ein Ding, das man verachtet. Durch die strenge Disziplin, die Unterordnung unter die Befehle der Vorgesetzten, durch dieses Leben ohne geistige Anregung und ohne Bücher bleibt der Soldat mehr Naturmensch, als der Großstadtarbeiter; seine Leidenschaften sind einfacher, mehr auf das Physische eingestellt, weniger spekulativ. Dazu kommt, daß er fast keinerlei Umgang mit Frauen hat. Er ist nicht verheiratet, er hat keine Familie, keine Mutter, keine Schwester, der Reiz des weiblichen Elements fehlt ganz in seinem Leben, dieser seltsame Zauber, der sonst in jedem Haus, in jeder Hütte zu finden ist. Das Leben in der Kaserne bringt den Mann, dem das Keuschheitsgefühl des Priesters fremd ist, immer nur wieder mit Männern zusammen. Daraus ist die starke Wirkung der Frau auf den Soldaten erklärlich, zu der gleichermaßen sein Geschlechtstrieb hinstrebt, wie auch das Bedürfnis, seine männliche Zärtlichkeit auszuleben. Und unter den Frauen wieder übt gerade die Prostituierte den größten Reiz auf ihn aus. Denn für diese Bauernburschen, die eben erst den Bauernkittel mit der Montur vertauscht haben, sind diese Geschöpfe mit der feinen Wäsche, mit den nach Jasmin duftenden Haaren, mit den rosigen Fingernägeln an den weichen Pfötchen, mit den verführerischen Bewegungen, mit den sanften, schmeichlerischen Worten, mit der verzuckerten Wollust, die man auf dem Lande nicht kennt, diese Geschöpfe, die sie in dem strahlend erleuchteten und spiegelgeschmückten Salon, in einer gewissen, vom Etablissement arrangierten Apotheose zu sehen bekommen, von gleichem Reiz wie die großen Kurtisanen oder die Schauspielerinnen für andere Männer. Der Soldat und der Matrose tragen ihr Bild im Herzen mit sich, und in stillen Träumen der Wüstennächte, der Nächte auf dem weiten Ozean, in den langen, bösen Stunden der Strapazen, des Leidens, der Gefahren, taucht die Vision dieser strahlenden Frauen immer wieder auf. Sie sehen sie in der Erinnerung in einer Verklärung, die die Wirklichkeit bei weitem übertrifft. Ihre Phantasie errichtet ihnen ein Allerheiligstes, in welchem in jedem menschlichen Gehirn das Bild der Liebe oder der Religion aufgerichtet ist. Wenn sie sie dann wiedersehen, so bleibt noch immer ein Etwas von diesen lügnerischen, idealen Träumen zurück, mit denen sie diese Mädchen umgeben haben, und denen diese Verklärung so sehr zustatten kommt.

Vielleicht gibt es auch zwischen der Dirne und dem Soldaten noch andere mysteriöse Ketten, wie sie zwischen den Kasten der Parias bestehen.

Und alle Neigungen des Soldaten zur Dirne treiben die Dirne, seine Liebe zu erwidern.


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