Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XVII.

Monsieur, dem es sehr unangenehm war, sich von der ersten Kraft seines Etablissements verlassen zu sehen, ging, die Mütze in der Hand, zu Elisa hinauf und bat sie, zu bleiben. Ein paar Minuten später erschien keuchend und schwitzend Madame selbst, gefolgt von sämtlichen Mädchen des Hauses, die hinter ihr auf der Wendeltreppe eine lange theatralische Prozession bildeten, die eine mit irgend einer Nippesfigur, die andere mit einem Blumenstrauß in den Händen. Unter Krokodilstränen erklärte die dicke Frau, wie unglücklich sie sei, sagte, daß ihr Kummer sie halb verrückt gemacht hätte, und dann drängte sie nacheinander ihre sieben Mädchen in Elisas Arme, die ihre Kollegin umarmten und mit Schmeichelreden und Freundschaftsworten, mit der anbefohlenen Verzweiflungsmiene auf den Gesichtern, und mit dem kleinen Geschenk, das sie verlegen in den Fingern drehten, Elisa zu versöhnen und zurückzuhalten suchten. Elisa aber blieb unerbittlich. Sie besaß einen unbeugsamen Willen, der einen im Zorn gefällten Entschluß nie wieder umstößt. Lieber wolle sie sich pfählen lassen, wie sie sagte, als nachgeben. Alles, was der Klagechor, der über Zimmer, Flur und Stiege verteilt war, erreichen konnte – und das nur mit vieler Mühe und unter Anrufung ihres Mitleids für den Sterbenden – war das Zugeständnis von ein oder zwei Wochen.

Seit langem fesselte Elisa nichts mehr an das Haus, ja seit einigen Tagen schon trieb sie die noch unklare Vorstellung eines romantischen und großherzigen Entschlusses immer lebhafter an, das Haus zu verlassen. Während sich ihre Gedanken in die Romane der Leihbibliothek von Bourlemont verbohrten, während dieses monatelangen Aufgehens in imaginären Heldentaten und Opfern, war in Elisa die Begierde erwacht, Handlungen zu vollbringen, ähnlich wie ihre Romanheldinnen, ein unabweisbares Verlangen, sich gleichfalls auf ihre Art aufzuopfern, quälte das Herz des jungen Mädchens.

Ihre Einbildungskraft sehnte einen Mann herbei, dem sie huldigen und ihr Leben opfern könnte, einen Mann, den sie sich in der Gloriole schrecklicher Gefahren, Abenteuer und Kämpfe vorstellte. Und da kam nun eines Abends ein Handlungsreisender ins Haus geschneit, der auf ihrem Nachtkästchen zwei Pistolen, einen Dolch, ein ganzes Arsenal ablegte. Dieser Mann erzählte von nichts anderem als von seinen Waffentaten, von blutigen Revolten und Greuelszenen, daß einem die Gänsehaut über den Rücken lief. Beim Licht einer Kerze, die er hinter seine Visitenkarte hielt, zeigte der Commis voyageur Elisa eine Freiheitsmütze in einem gleichschenkligen Dreieck. Er sprach mit gedämpfter Stimme den Namen eines gefürchteten geheimen Bundes aus, sein scheuer Blick schien den von der Polizei gehetzten Verschwörer zu verraten, der jeden Augenblick fürchten muß, aus dem Wandschrank einen Polizisten springen zu sehen. Bevor er sich schlafen legte, schob er die Kommode vor die Tür. Er hatte Champagner bestellt; als er beschwipst war, begann er sein junges Leben zu beklagen, das, ach wie bald! durch die Guillotine oder auf dem Richtblock enden würde. Der Tod, der über seinem Haupte schwebte, diese Vergangenheit finsterer Verschwörungen, der geheimnisvolle Zauber, den das Wort »Mitglied der Marainnen« auf das Volk ausübt, all das machte aus dem Commis voyageur den Menschen, den das Leben bestimmt zu haben schien, die romantischen Ideen dieser beklagenswerten Frau völlig einzunehmen. Da stand in Fleisch und Blut der Held, wie ihn Elisa erträumt hatte.

Einige Tage nach dem Auftritt mit der Madame kam der Handlungsreisende, der seine Geschäfte in Bourlemont erledigt hatte, um sich von Elisa zu verabschieden. Sie fragte ihn, in welche Stadt er fahre, und wann er dort eintreffen würde.

Als der Reisende am genannten Tage, zur Stunde, da man die Laternen anzündete, die Reisetasche in der Hand, an seinem Bestimmungsorte aus dem Zug stieg, war er sehr erstaunt, eine Frau auf sich zukommen zu sehen, in der er Elisa erkannte.

»Du hier?«

»Du hast mir doch gesagt, daß du heute hier eintreffen würdest.«

»Na, und?«

»Nun, da bin ich! – und von nun an wirst du mich immer so finden – ja, du wirst mich überall finden, wohin du gehst!«


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