Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XX.

Die Nacht war da. Mit einem weißen Schal um den Hals, auf dem Kopf ein schwarzes Samthütchen mit hochroten Blumen geputzt, zwängte sich Elisa in das mit Hasenpelz verbrämte Jäckchen, das nach der Reihe alle Mädchen trugen, und das zur traurigen und unscheinbaren Toilette des billigen Lasters gehörte.

Und dann hinaus. Ob es regnete, oder schneite, oder fror, ob sie sich wohl oder elend fühlte, es war gleich. Elisa mußte ihre Stunde ablaufen im Regen, im Schnee, im Wind und im Frost.

Sie trat aus dem Gang, dessen feuchte Mauern die Stiegenlampe rötlich überrieselte und war auf dem Trottoir, auf diesem Trottoir, das sich an alten zusammengeflickten Kaluppen dahinschlängelte, deren Reihe ab und zu von neuen Häusern unterbrochen wurde, die zurücktraten in die neue Straßenfront.

Fünfzig Schritte hin und her, fünfundzwanzig Schritte von der Eingangstüre hinauf und fünfundzwanzig Schritte hinunter, das war die privilegierte Promenade Elisas vor dem Hause Nr. 17. Sie ging am Laden des Sesselflickers vorbei, über dessen Tür als Aushängeschild zwei durchrissene Strohsessel hingen, an der Auskocherei, in deren Fensternische sich tagsüber ein Krapfenbäcker installierte, am Friseurladen, am schwarzen Haus, wo an einem vergitterten Fenster des zweiten Stockwerks eine abgerissene Epaulette baumelte, die der Zufall bei einem Volksauflauf dorthin verschlagen hatte, am Weinschank, in dessen Hinterstube am Sonntag getanzt wurde, an dem Wagenschuppen, wo die Handwagen eingestellt waren, am Geschäft eines Darmsaitenerzeugers, auf dessen Ladentüren zwei große, blutrot gemalte Geigen prangten, und schließlich an einer Planke, die die Ruine eines eingestürzten Gebäudes umschloß. Und wenn sie an alldem vorbei war, dann kehrte sie wieder um – mit der qualvollen Langweile sechzigmal in einer Stunde dieselben Häuser, dieselben Ladenfestern, dieselben Mauern sehen zu müssen.

Am liebsten ging Elisa zu Beginn der Nacht auf die Straße, wenn die grauen Dachgiebel der Häuser im verwaschenen Blau des Himmels verschwimmen, dieses Stückchen von Dächern eingeengten Himmels, auf dem ein trüber kleiner Stern zittert. Gewöhnlich aber war sie zu den späten Nachtstunden draußen, in denen alles ringsumher im Schlaf und im Dunkel lag und die kein anderes Licht kennen als die runden Laternen der Stundenhotels. Selten nur kam ein Passant vorbei. Die Straße war menschenleer und nur dann und wann taumelte ein Betrunkener daher, der gegen die Planken pißte und dabei laut vor sich hinsprach. Eine Schenke nach der andern verlöschte ihre Lichter und wurde zugesperrt. Nur im Fenster des Friseurladens brannte noch eine kleine Lampe, die ihr mattes Licht auf die alten Pomadentöpfe warf und zwei kleine Wachsbüsten phantastisch beleuchtete. Auf dem Ausschnitt einer rosa Weste und auf einer himmelblauen Krawatte saß ein lächelndes Negerköpfchen mit krausem Haar, dem man ein kleines graues Hütchen aufgesetzt hatte und als Pendant dazu stand neben dem Neger die Büste eines schönen Jünglings mit blondgelocktem Haar und schwarzem Hütchen, einer weißen mit einer Brosche befestigten Krawatte und einem koketten Schnurrbärtlein auf dem bemalten Holzgesicht. Und da die erleuchteten Gegenstände in der Dunkelheit unwillkürlich den Blick auf sich ziehen, blieb Elisa regelmäßig eine ganze Weile vor dem Friseurladen stehen, unterbrach ihr langweiliges und ermüdendes Patrouillieren und starrte, ohne recht zu wissen, was sie sah, immer wieder ganz sinnlos diese beiden Puppengesichter an.

Dann aber richtete sie sich wieder auf, zupfte ihren Rock zurecht, hob den Kopf und setzte für eine Weile ihre Schritte fort, die auf dem schmutzigen, von Ausgußwasser besudelten Pflaster immer mehr ihre herausfordernde Elastizität verloren und immer langsamer, fauler und schleppender wurden.

Schließlich ging auch der Friseur schlafen, die Straße lag verödet, und Elisa ging noch immer auf und ab mit ihrem Schatten hinter sich, den das Licht der Straßenlaterne auf die weißen Plakate zeichnete als traurige Karikatur der Dirne, die in einsamer Nacht auf den Strich geht.


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