Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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VII.

Am zweiten Tag nach ihrer Ankunft wurde Elisa bei Morgengrauen durch Pferdegetrampel unter ihrem Fenster geweckt.

Sie stand auf und trat ein wenig ängstlich im Hemd ans Fenster, um durch den Vorhangspalt hinunter zu gucken, was im Hofe los sei.

Im weißen Morgennebel spannte ein stämmiger Bursche in einer blauen Bluse über dem Anzug das Pferd eines Bauernwagens aus und plauderte dabei mit Madame wie mit einer alten Bekannten.

»Der Braune hat tüchtig angezogen,« sagte er und fuhr mit der Hand über die Kruppe seines Pferdes, »schau'n Sie, er dampft wie ein Waschkessel.«

Und als die alte Frau sich anschickte, das Pferd am Zug zu nehmen: »Lassen Sie nur, er braucht Sie nicht, er kennt schon den Weg in den Stall. – Na, Mama, es ist was Neues im Haus, wie?«


Elisa hatte sich dem ersten, der da kam, hingegeben, und sich so fast ohne jede Gewissensregung zur Prostituierten gemacht. Von Jugend auf hatte sie sich daran gewöhnt, in der Prostitution den selbstverständlichen Beruf ihres Geschlechtes zu sehen. Ihre Mutter machte so wenig Unterschied zwischen dieser Sorte von Frauen und den anderen – den anständigen Frauen. Während der langen Jahre, in denen sie als Krankenpflegerin mit solchen Weibern zu tun hatte, hörte sie diese mit so tiefer Überzeugung das Wort »arbeiten« aussprechen, um die Ausübung ihres Gewerbes zu bezeichnen, daß sie sich allmählich daran gewöhnt hatte, den Verkauf der Liebe als ein Gewerbe wie jedes andere anzusehen, ein Gewerbe, das ein bißchen weniger mühselig sein mochte als die anderen, in dem es aber wenigstens keine tote Saison gibt.

Die Prügel zu Hause und die fürchterlichen, im gemeinsamen Bett mit der Mutter verbrachten Nächte mochten Elisas Flucht aus La Chapelle und ihren Eintritt in das Haus zu Boulemont mit veranlaßt haben, aber der ausschlaggebende Grund dafür lag sicherlich in ihrer Faulheit, einzig und allein in ihrer Faulheit. Elisa hatte genug gehabt von der anstrengenden Hauswirtschaft, dem Aufbetten, dem Feuermachen, dem Kochen und Umschlägeauflegen in allen vier Zimmern, die fast ständig mit Patientinnen vollgepfropft waren. Und an Tagen, da sie unter dieser Zwangsarbeit zusammenbrach, fühlte sie sich gleichermaßen unfähig, stundenlang beim Nähen oder Sticken zu sitzen. Vielleicht lag der Grund für die Faulheit auch ein wenig in einer gewissen körperlichen Schlaffheit, wie man sie oft in den Übergangsjahren des jungen Mädchens zum Weibe beobachten kann und die jeder alle Kräfte lähmt, was besonders dann schlimm genug ist, wenn es sich um Mädchen handelt, die in Armut leben. Diese Faulheit und die Befriedigung einer ziemlich schwer zu erklärenden Charaktereigentümlichkeit, die man besonders oft bei trotzigen Naturen findet, diesen Stolz nämlich, sich über die öffentliche Meinung hinwegzusetzen, das waren die beiden einzigen Gründe, die Elisa so plötzlich der Prostitution in die Arme getrieben hatten.

Es wäre falsch zu glauben, daß Elisa sich zu diesem »Berufe« aus sinnlicher Veranlagung oder Sucht nach Ausschweifungen und erotischen Reizen entschlossen habe. Die schlimmen Befürchtungen ihrer Mutter, daß Elisa durch den ständigen Besuch der Tanzlokale verdorben werden könne, die diese aus einem wahrhaft teuflischen Widerspruchsgeist und aus Angst vor der öden Wirklichkeit beständig nährte, waren ganz unbegründet gewesen. Elisa war noch Jungfrau! Freilich eine durch das verderbliche Treiben im Hause ihrer Mutter und durch den Besuch der schmutzigen Vorstadtbälle schon stark angefaulte Unschuld. – Aber schließlich – wenn sich die Gelegenheit für den »Fehltritt«, wie man im Volksmund sagt, durch Zufall nie geboten hatte, Elisa hatte auch nichts getan, sie herbeizuführen – und so war ihr Körper unberührt geblieben.

Das Groteske war, daß die Unberührtheit, die Jungfräulichkeit ihres Körpers Elisa sechsunddreißig Stunden lang die schwersten Sorgen machte, zu einem ängstlich gehüteten Geheimnis wurde, das sie wie ein übles Verbrechen verbarg, und sie zitterte, sich zu verraten und fürchtete, daß das Bekanntwerden ihrer Jungfräulichkeit ihrer Aufnahme in das Haus hinderlich sein könnte. Und so kam es, daß diese jungfräuliche Dirne aus Angst, zu ihrer Mutter zurückgeschickt zu werden, ihrem ersten Klienten eine Komödie der Schamlosigkeit vorspielte, um ihn glauben zu machen, daß er keine Novize, sondern eine ausgelernte Dirne vor sich habe.


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