Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXVII.

Als Elisa in das Haus eintrat, bestand das Personal aus neun Mädchen, die nur unter ihren Spitznamen bekannt waren.

Da war zunächst Marie Säbelhieb, eine korpulente Brünette, mit einem leichten Schnurrbartanflug, die ihren Namen einer Narbe verdankte, die sie bei einer Rauferei davongetragen hatte. Sie war in ihrem Dorf von einem Dragoner verführt worden und war ihm vagabundierend gefolgt, wie andere Weiber auch, die dem Regiment nachziehen und im Umkreis des Lagers oder der Kasernen unter freiem Himmel nächtigen und deren Kost gewöhnlich nicht viel mehr ist als ein unter dem Mantel durchgeschmuggeltes Kommißbrot. Später war sie in den Häusern verschiedener kleiner Städte herumgekugelt, aber immer dort, wo eine Garnison lag. Marie Säbelhieb war der Typus der Soldatendirne. Zivilisten existierten für sie nicht, sie flog einzig und allein auf das zweifarbige Tuch. Übrigens hatte sie eine gewisse Verachtung für die Infanteristen und glaubte sich etwas an ihrem Stolz zu vergeben, wenn sie sich in eine »Melée« mit einem solchen »Stiefeltreter« einließ. Ihr Kopf und ihre Sinne entzündeten sich einzig und allein für die Kavallerie. Helm und Kavalleriesäbel waren für sie die Insignien der militärischen Aristokratie und nur diese Männer vermochten ihre Gunst und ihr Wohlgefallen zu erringen.

Beim Sprechen verwendete sie gewohnheitsmäßig militärische Fachausdrücke und Redewendungen. Und nach zwei, drei Kraftworten in ihrem tiefen Bariton, mit denen sie die etwas alkoholisierte Logik ihrer Gedanken zu bekräftigen suchte, begann sie regelmäßig mit dieser Phrase: »Aber begeben wir uns nicht ins Kreuzfeuer, sonst ...«

Glaé, eine Abkürzung von Aglaé, das Mädchen mit dem tätowierten Arm und mit den schönen Augen, entstammte den äußeren Bezirken von Paris. Den Anfang hatte sie, wie sie sagte, als »Probiermädel« gemacht. – »Warst du in einem Geschäft angestellt?« – »Nein, ich ging vor den Geschäften spazieren und hatte ganz in der Nähe ein Zimmer, das ich für fünf Francs vermietete, von sechs Uhr abends bis um Mitternacht.« Weiter erzählte sie, daß sie später in der Rue des Moulins gewohnt hätte und dann im Quartier latin. Da sie aber alle fingerlang wegen nichts und wieder nichts von den Polizisten schikaniert und eingelocht worden sei, habe sie schließlich auf ihre Freiheit verzichtet. Glaé war intelligent und der heitere Geist des Hauses und in ihren Bewegungen war noch immer die Grazie der einstigen Tänzerin der Ballokale.

Auch Augustine kam aus dem Quartier latin. Sie war nach der Reihe Stammgast in der »Botte de Foin«, in den »Quartre Vents« und an der Barrière du Main gewesen. Diese kleine Frau schien wahrhaftig den Teufel im Leib zu haben. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht machte sie ihre Dummheiten, tobte schimpfend im Haus herum, kläffte mit heiserer Stimme wie jene Hunde, die die Fleischerburschen auf ihren Wagen mitführen. Übrigens hatte sie ein wahres Bulldoggesicht, niedrig, mit breiten, vorstehenden Backenknochen, mit kleinen Augen, einer breitgedrückten Nase und weit auseinanderstehenden Zähnen. Augustine besaß das ordinärste Mundwerk im ganzen Haus. Bei manchen Gelegenheiten, wenn es galt, schlechte Zahler einzuschüchtern, wurde sie von »Madame« ins Treffen geschickt, die selbst nicht so schlagfertig war. Augustine flößte den anderen Mädchen eine gewisse Bewunderung und Angst ein und genoß unstreitig eine Art Ausnahmestellung von Immunität. Sie hieß allgemein die »Scharfe Zunge«.

Dann war Peurette da – niemand wußte, ob das ein Spitzname war –, ein ganz junges Mädchen, ein halbes Kind noch. Sie hatte ein Gesichtchen wie eine Spitzmaus, kleine, schwarze, schöne Augen und war immer in Bewegung, als würde sie von hundert Flöhen gebissen. Peurette sah in ihrem Beruf hauptsächlich die Möglichkeit, sich recht viele Speisen und Getränke zahlen zu lassen. Es war zu komisch, sie im Salon zu sehen, wie sie den Mann, bei dem sie gerade saß, bittend mit dem Ellbogen anstieß und mit flüsternder Stimme, wie ein Kind, wenn es um etwas bettelt, bald um einen Kaffee, bald um eine Grenadine, um ein Bier, um Maroni, kurz, um irgend etwas Eßbares oder Trinkbares bat. Kaum hatte sie das eine erbettelt und verschlungen, so wollte sie schon wieder etwas anderes haben mit der starrköpfigen Begehrlichkeit und Lüsternheit eines Backfischchens. Die Sucht, zu essen, zu trinken, zu naschen war einfach unstillbar; man hätte ihr in einer Nacht das ganze Büfett servieren können, sie hätte niemals nein gesagt. Außerdem besaß Peurette eine unvergleichliche Geschicklichkeit, alle kleinen Tabakpäckchen, die auf dem Tische herumlagen, in ihren Halsausschnitt verschwinden zu lassen.

»Schluck den Mond!« – Der Spitzname dieser Prostituierten, die schon in ziemlich vorgerückten Jahren stand, sollte ihre Dummheit charakterisieren. Wenn sich eine Prostituierte durch die Kupplerin widerspruchslos ausbeuten läßt, so beweist das einen völligen Mangel an Energie im Lebenskampf. Eine Frau, die nur ein wenig Schlauheit besitzt, wird sich alsbald dieser Bevormundung entziehen und für ihre eigene Rechnung arbeiten. Wenn es eine Frau nicht versteht, die Fesseln des Bordelllebens loszuwerden, so ist das ein Zeichen ihrer Unintelligenz. Die Ärzte, die durch ihren Beruf ständig mit dieser Sorte von Frauen zu tun haben, schildern den dummfragenden Blick ihrer Augen, den vor Erstaunen offenen Mund, so oft man ein Wort an sie richtet, das außerhalb ihres engen Gedankenhorizonts liegt. Sie schildern den Kreis ihrer Empfindungen und Beobachtungen als so begrenzt, daß ihr Geisteszustand schon fast diesen Tiefpunkt erreicht, den man als infantil bezeichnen kann. Der geistige Horizont der »Schluck den Mond« war noch unter dem der wenig intelligenten Mädchen dieses Hauses. Man mußte sich fragen, ob ihr Gehirn auch nur die Fähigkeit besaß, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ob sie ein Gewissen habe, das Reue oder Bedauern zu empfinden vermochte, kurz, ob diese oft so schlecht behandelte und ewig lächelnde Idiotin überhaupt ein Lebensbewußtsein habe.

Diese geistige Beschränktheit machte »Schluck den Mond« zum Sündenbock, zur Märtyrerin des Hauses. Die übrigen Weiber begnügten sich nicht damit, sie tagaus, tagein zum Besten zu halten und Schindluder mit ihr zu treiben, sie machten sich um die Wette einen Spaß daraus, sie besoffen zu machen und sie den ärgsten Wüstlingen zuzuschieben.

Mélie, genannt Chénille, hatte ihre Laufbahn als Straßenverkäuferin begonnen. Bei Tag verkaufte sie an den Toren der Markthalle welsche Nüsse und am Abend in den menschenleeren Straßen Briefpapier. Als Kind war sie depraviert worden, verderbt und lasterhaft. Es vergingen keine sechs Monate, ohne daß sie von der Polizei aufgegriffen wurde, von wo sie dann immer wieder ein gefälliger »Vater« abholte, entweder aus der Korrektionsanstalt, wo sie die kleinen Buben verführte, oder aus dem Spital von Saint Lazare, aus dem man sie nach oberflächlicher Behandlung entließ. Mélie war eines dieser perversen Pariser Straßenmädel, die es nicht erwarten können, unter Kontrolle gestellt zu werden und die die Tage bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag verfluchen und einen frechen Stolz darein setzen, bis dahin mit einer gefälschten Polizeilegitimation herumzulaufen.

Ihre zweite Jugend hatte sie in Vincennes verbracht. Sie war ein hochaufgeschossenes, mageres, blondes Ding, mit einem kleinen, runden Kopf. Sie hatte wenig Haare, himmelblaue Augen mit schütteren Wimpern und eine kleine Nase, geformt wie ein Pickas. Ihre plumpen Arme waren mit roten Flecken bedeckt und ihre Hände endigten in plattgedrückte, eckige Finger. So war Mélie, genannt La Chénille, die fast immer in schmutziger Wäsche ging und deren Stimme wie ein heiseres Hauchen klang, das auf einen künstlichen Gaumen schließen ließ.

Dann war noch die »Ceres« da, die ihren Namen einem humanistisch gebildeten Korporal verdankte. Sie kam aus der Provinz und war ein großes, schmächtiges Mädchen, der ihr formenloser Körper, wie man ihn oft bei Bäuerinnen findet, ein fast keusches Aussehen gab. Sie hatte zausiges, widerspenstiges Haar, das sie mit Blumen schmückte, und schöne große Augen mit einem etwas scheuen Ausdruck. Sie war wenig gesprächig und wich den anderen Mädchen aus. Den ganzen Abend sah man sie mit unruhigen Schritten, wie ein Tier in einem Käfig, im Salon auf und ab gehen, wobei sie leise und mit zorniger Miene vor sich hinbrummte und unaufhörlich an einem weißen Strumpf strickte.

Die besondere Attraktion des Etablissements war eine Negerin, an deren Nase man noch die schlecht verwachsene Narbe sah, die von dem Nasenring stammte, den sie einst an der Küste von Guinea getragen hatte. Ihr breites Lachen, das ihre weißen Zähne in dem schwarzen Gesicht sehen ließ, ihr kindliches, närrisches Geplapper, die tierhafte Heiterkeit dieses grotesken Äffchens in Menschengestalt belustigten immer wieder die Männer so gut wie die Frauen. Sie führte den Beinamen »Sammethaut«, weil sich die Haut der Negerinnen wie Samt angreift.

Schließlich war noch ein Mädchen in dem Haus der Avenue de Suffren, und zwar Alexandrine, genannt das »Phänomen«.


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