Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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LIII.

Die Oberin des Gefängnisses war eine Nonne von achtzig Jahren mit wächsernem Gesicht und einer Stirne, die von blutigroten Falten durchfurcht war. Dir bleiches Gesicht, ihr langsames Sprechen, der weltentrückte Blick ihrer grauen Augen, ihre zaghaften Gebärden ließen sie wie eine kalte, tragische Statue erscheinen, mit der man die »Enttäuschung« hätte personifizieren können. Sie hatte während ihres langen Lebens in der Tat so viele Illusionen verloren, so viele Hoffnungen begraben, so viele Träume entschwinden gesehen, so oft waren bekehrte Zuchthäuslerinnen zwei Wochen nach ihrer Entlassung ins Gefängnis zurückgebracht worden, daß die fromme alte Frau allen Grund hatte, an der Bekehrung der Welt zu verzweifeln, die sie als ihre Aufgabe betrachtete. Sie hatte den Glauben an die Besserungsfähigkeit der Zuchthäuslerinnen aufgegeben, die sie mit unbeschreiblicher Verachtung als »Abschaum der menschlichen Gesellschaft « bezeichnete. Kaum eine Spur von Vertrauen zu der möglichen Reue der großen Verbrecherinnen hatte sie sich bewahrt, jener, »die getötet haben«, wie sie mit sanfter Stimme sagte. Sie glaubte daran, daß eine lebenslängliche Einkerkerung in Verbindung mit jahrelangen religiösen Bußübungen die einzige Möglichkeit sei, diese Frauen zu Gott zurückzuführen. Elisa hatte getötet. Sie war zu lebenslänglicher Kerkerhaft verurteilt. Sie vereinigte also alle Eigenschaften in sich, die die Oberin zu interessieren vermochten und sie veranlassen konnten, an ihrem Seelenheil zu arbeiten. Aber Elisa war eine Prostituierte. Sie gehörte einer Klasse von Frauen an, denen gegenüber die Oberin trotz ihres christlichen Bemühens niemals ein Ekelgefühl, eine Abneigung, eine fast körperliche Abscheu zu überwinden vermochte, die so stark war, daß sie schon vor der Annäherung dieser Unglücklichen zurückschreckte.

War die Oberin von solchem trostlosen Zweifel befangen, so war der Beichtvater des Gefängnisses ein jovialer Skeptiker, der richtige, alte, burgundische Pfarrer, der als würdiger Diener Gottes seine Trauer über die Verstocktheit der Verbrecherinnen mit heiterer Miene trug und der Meinung war, daß »sie alle unverbesserliche Sünderinnen seien, die nicht aus ihrer Haut herauskönnen und dazu verdammt seien, darin zu sterben«. Er hatte gegen seine Schäflein, denen er von vornherein die ewige Verdammnis zusprach, keinerlei Abscheu, ja er unterhielt sich mit ihnen in dieser fast väterlichen Art, wie die Kriminalisten mit den hartgesottenen Verbrechern, die sie an den Galgen liefern. Elisa war bei dem hellsichtigen Pfäfflein schlecht angeschrieben. Es war ihm nämlich nicht entgangen, daß sie bei seinen Sonntagspredigten bisweilen über die Rührung und Zerknirschung einer Mitgefangenen spöttisch gelächelt hatte.

Da sich Elisa weder durch die Oberin noch durch den Beichtvater gestützt oder ermutigt fühlte, versuchte sie sich an die Schwestern heranzumachen, mit denen sie die Lebensgewohnheiten des Gefängnisses am häufigsten in Berührung brachten. Und vielleicht wäre diese aus reinem Interesse gespielte Komödie der Religiosität zu wirklicher Frömmigkeit geworden, wenn Elisa in dieser Zeit der Zermürbung auf ein wenig Verständnis und Zartgefühl gestoßen Wäre. Elisa hatte sich stets ihren Kinderglauben bewahrt. Trotz ihres Gewerbes hatte sie stets religiöse oder zumindest abergläubische Gepflogenheiten beibehalten, und der Schreiber von Noirlieu verwahrte ein kleines Muttergottesmedaillon, das sie bei ihrer Aufnahme ins Gefängnis um den Hals getragen hatte. Ihre anscheinende Irreligiosität, die den Beichtvater verblüffte, war erst im Gefängnis zutage getreten, und zwar dadurch, daß die widerspenstige Gefangene in der Religion eine Helfershelferin der amtlichen Autorität erkannte. Das Zartgefühl, das sie so notwendig gehabt hätte, fand Elisa bei den Schwestern nicht. Und man kann wahrhaftig von diesen auserlesenen Frauen nicht verlangen, daß sie dem Verbrechen mit der gleichen Selbstlosigkeit ihr Herz öffnen wie dem Elend, der die Krankheit und dem Schmerz. Es hieße zuviel verlangen von diesen reinen Wesen, wollte man ihnen zumuten, mit jeder Mörderin, mit jeder Diebin, mit all dem menschlichen Auswurf, den ihnen die Gerichte zur Gesellschaft geben, in seelische Gemeinschaft zu treten. Die Schwestern können wohl ihre Kräfte, ihre Gesundheit, ihr Leben opfern, um über diese Geschöpfe zu wachen und für sie zu sorgen, aber man kann nicht verlangen, daß sie die inneren Regungen an Zärtlichkeit und Liebe, die sie der rechtschaffenen Armut und dem unverdienten Unglück erweisen, auch für diese Ausgestoßenen aufbringen. Das schließt die irdische Vollkommenheit der Nonne aus.

Ohne Elisa geradezu von sich zu stoßen, ließen Oberin, Schwestern und Beichtvater sie doch fühlen, daß sie recht wohl wußten, der eigentliche Zweck ihrer Frömmigkeit sei, ihre Eintragung in die Begnadigungsliste zu erreichen.


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