Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXXVIII.

Viele Tage vergingen, ohne daß Elisa ihr Sträflingsleben recht erfaßte, ohne daß ein Gefühl für ihre Strafe aufkam, ohne daß die Abtötung ihres Lebens und ihres Geistes ihr zum Bewußtsein kam, wie einer, den man durch einen Schlag auf den Kopf getötet, auf den Füßen stehen bleibt, so lebte sie ihr neues Leben in einer Art geistigen Betäubung, in der sie nichts zu sehen, zu fühlen und zu leiden vermochte. Alles, was sie tat, geschah in dumpfer Geistesabwesenheit, ohne dem Milieu, das sie umgab, irgend welche Beachtung zu schenken.

Eines Morgens aber schien sie plötzlich zu erwachen und wieder zum Gefühl der menschlichen Leiden aufzuleben.

Jeden Tag dürfen die Sträflinge im Gefängnishof mit den hohen Mauern, wo weder Gras noch Bäume wachsen, auf einem schmalen Weg spazieren gehen, der durch ein rotes Viereck in dem grauen Pflaster des Hofes vorgezeichnet ist. Sie gehen dahin, einer hinter dem andern, in einem Abstand von einem Meter, die Hände auf dem Rücken, den Blick zu Boden gesenkt.

Zwanzigmal schon hatte Elisa an jenem Tag das unerbittliche Viereck umschritten, als sie zufällig ihren Blick von der Erde hob, um zu dem blauen Himmel aufzuschauen und, da gewahrten ihre Augen, die sich plötzlich der Wirklichkeit öffneten, den Rücken ihrer Mitgefangenen ...

Angst überfiel sie und ihre Hände tasteten an ihrem Körper entlang, gleichsam als wollten sie fühlen, ob sie noch am Leben sei.

In dieser Reihe der starr Dahinschreitenden, in dieser Prozession von Automaten, in diesem Marsch der Schlafwandler, in dieser schweigenden Promenade mit dem regelmäßigen Klappern der Holzschuhe auf dem jahrzehntelang durch die gleichen Schemen abgetretenen Pflaster hatte die Unglückliche plötzlich das Gefühl, als sei sie in den Reigen von Gespenstern hineingeraten, die in Ewigkeit dazu verdammt waren, um dieses steinerne Viereck zu wandeln.

Und der Spaziergang nahm seinen Fortgang und verscheuchte durch die unsagbare Traurigkeit dieses Totenklapperns auf den Pflastersteinen die Spaziergänger von Noirlieu.


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