Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXII.

Die beständige Reizung des Nervensystems durch sinnliche Genüsse, die der Körper weder ersehnt, noch fordert; – die Kost, bestehend aus einem Brocken schwarzen Fleisches und dem ewigen sauren Herings- oder Bücklingsalat; – die alkoholischen Exzesse, ohne die dieses Gewerbe, wie ein Mädchen einmal vor einer Kommission selber sagte, »wirklich unmöglich« ist; – der reichliche Branntweingenuß, wie ihn das Bordelleben mit sich bringt, dieses Branntweins, der im Mund wie Wasser und in der Gurgel wie Feuer ist; die Tage in klösterlicher Abgeschlossenheit hinter geschlossenen Jalousien, diese düsteren Tage der Langweile und des trüben Wetters; – der plötzliche Übergang dieser Dämmertage zur hellerleuchteten Nacht, dieser leeren Stunden zu den Stunden der tollen Lust; – die schlaflose Müdigkeit eines Gewerbes, das keine Stunde der Freiheit kennt; – die nörgelnde Disziplin der alten Bordellwirtinnen; – die beständige Beunruhigung durch Schulden, die unaufhörlich anwachsen und die Prostituierte von Haus zu Haus verfolgen; – die Angst der alternden Dirne vor dem Tag, an dem man sie überall abweisen wird mit den Worten: »Meine Liebe, du bist zu alt«; – die Tage im Strafhaus, in Saint Lazare mit ihrer verzweifelten Angst, nie mehr herauszukommen, durch die Willkür der Polizei ewig hier festgehalten zu werden; – das entmutigende Gefühl, in dieser Welt außerhalb des Gesetzes zu stehen, wehrlos und machtlos der Ungerechtigkeit ausgeliefert; - das Bewußtsein, kein Wesen mit freiem Willen zu sein, sondern dem Bodensatz der Menschheit anzugehören, den Launen und Forderungen der Behörde, der Kupplerin, eines jeden Besuchers unterworfen zu sein: ein armes Luder zu sein, das in den spärlichen Gefühlen seiner Religiosität kaum noch die Hoffnung zu hegen wagt, die göttliche Milde könnte bis in seine Tiefen hinableuchten; das tägliche Gefühl ihrer Erniedrigung, verbunden mit der tödlichen Empfindlichkeit ihrer Schande; – alle diese physischen und moralischen Einflüsse, unter denen die widernatürliche Existenz der Prostitution lebt und leidet, hatten schließlich aus Elisa dieses sieche und liederliche Wesen gemacht, das bei primitiv veranlagten Frauen den allgemeinen Typus der Prostitution darstellt.

Ihre Gedanken waren unruhig, zerfahren, zerstreut, flüchtig und leer, sie war nicht imstande, bei der Sache zu bleiben, unfähig, einen Gedankengang zu verfolgen und von dem Bedürfnis besessen, sich mit Lärm, Spektakel und Geschwätz zu umgeben.

In ihrer Phantasie, die fast einer religiösen Scheu gleichkam, ähnlich dem Kult asiatischer Völker für irgend einen ihrer bösen Geister, thronte hoch oben auf dem Altar der zitternden Anbetung: der Polizeipräfekt. Eine Vorstellung, die durch alle möglichen Angstzustände und Befürchtungen vor einer widrigen Zukunft genährt wurde, und die sie immer wieder zur Kartenaufschlägerin treibt. Eine dieser Pythien der Rue Git-le-Coeur hatte ihr das »Gericht und einen frühen Tod« prophezeiht. Des Nachts kam ihr bisweilen diese Prophezeiung quälend in den Sinn.

Ein Verstand, der die zum Leben notwendige Kaltblütigkeit verloren hat, der stets in exaltierten Entschließungen ergeht, alles auf eine Karte setzt und bei jeder Gelegenheit den Kopf verliert, ein krankes Gehirn, das beim leisesten Widerspruch zu kindisch-fanatischen Zornausbrüchen neigt, die so weit gehen, daß sie immer gleich die Haarnadel zur Hand hat und zum Zustechen bereit ist, fügt der Verwundeten Wunden zu, die nicht immer heilen.

Das etwa ist das psychologische Bild unserer Heldin.

Das physische Bild mit seinen organischen Unregelmäßigkeiten, seinen Veränderungen im Temperament und in der Konstitution läßt sich weniger leicht darstellen.

Sie wurde allmählich ein wenig fettleibig, in den Dämmertagen des »Hühnerstalls« setzte sie Fett an. Ihre Haut begann weicher und schlaffer zu werden, ihre Brüste wurden immer üppiger. Und ihre immer ein wenig geöffneten Lippen scheinen das Küssen verlernt zu haben.


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