Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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LII.

Alles, was in einem Gefangenen den Haß gegen die Gesellschaft nährt, was sich bei anscheinender Unterwürfigkeit in ihm gegen die Autorität auflehnt und sich in der Stille seines Herzens empört, all diese verbissene innere Wut hatte sich allmählich bei Elisa abgeschwächt. Sie hatte die hochfahrende und verächtliche Haltung abgelegt, die der gefangene Verbrecher in der ersten Zeit zur Schau trägt. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Sie fühlte sich besiegt. Sie mußte sich gestehen, daß sie durch das allmächtige, alles zerstörende Joch des Gefangenenlebens gebrochen war, durch das Leben hinter den eisernen Gitterstäben, die von Tag zu Tag sich enger um sie zu schließen schienen. Der letzte Rest ihres moralischen Widerstandes war erloschen, das Tierhafte in ihr, das einst augenblicklich bereit war, sich aufzubäumen und zu sträuben, war langsam in einen Zustand von Unterwürfigkeit verwandelt worden, die der Unterwürfigkeit eines Hundes glich, der beim Nahen seines Herrn den Kopf zwischen die schlotternden Beine duckt. Elisa kannte die Augenblicke der Wut nicht mehr, da sie in Versuchung war, der scheltenden Schwester die Schere in die Brust zu stoßen. Eine Strafe, und mochte sie auch ungerecht sein, nahm sie hin ohne einen Schwall von zornigen Worten, die ihr auf den Lippen erstarben. Wenn sie der Direktor oder der Inspektor zurechtwies, so hatte ihre weinerliche Stimme einen falschen Klang, ihre Augenlider senkten sich mit lügnerischer Demut und ihre ganze zitternde Person war in niedrige Unterwürfigkeit und gemeines Kriechertum aufgelöst. Diese Heuchelei, die sie bei den andern Gefangenen in der ersten Zeit so verächtlich empfunden hatte, diese Heuchelei, die eine Inspektorin das Brandmal des Gefängnisses nennt, Elisa hatte sie ebenso wie all die andern erlernt, und sie bettelte heute, da aller Stolz in ihr erstorben war, mit der Lüge in der Stimme, im Blick und in ihrer ganzen Haltung, um die Linderung ihres Schicksals. Und da diese Linderung am ehesten auf dem Wege der Frömmigkeit und Religiosität zu erreichen ist, spielte Elisa die Rolle der Frommen, ging zur Beichte, nahm das Abendmahl, trachtete mit den Schwestern auf gutem Fuß zu stehen und sich der Oberin zu nähern.


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