Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XLVI.

Der Soldat, den Elisa liebte, hatte nichts von einem Infanteristen an sich als die Uniform. Er war, was man einen »Zuckersüßen« nennt, seine Bewegungen waren zärtlich und frauenhaft. Lachend sagte er, das käme davon, daß er seinerzeit das jüngste Lamm seiner Herde an kalten Regentagen unter seinen Hirtenmantel zu nehmen pflegte. Denn bis zu dem Tag, da er hatte einrücken müssen, war er Schafhirt gewesen. Oft begegnet man jene nachdenklichen Gestalten auf den Heiden, wie sie, in sich versunken, das Kinn auf ihren langen Stock gestützt, unbeweglich dastehen, eine melancholische Silhouette, die der Schäferhund mit funkelnden Augen in phantastischen Sprüngen umkreist.

Seine Tage waren im Wind, im Regen, im Unwetter dahingeflossen unter den elementaren Entladungen der Naturkräfte. Seit seinem achten Lebensjahr hatte er tagtäglich das Schauspiel des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs miterlebt, all die trüben und nebelgrauen Stunden voll Gesichter und Erscheinungen, die dem Geist des Schäfers den Glauben an das Übernatürliche einprägen und seine Phantasie mit düsteren Geistern geheimer Mächte erfüllen. Er war in einer einsamen, unwirtlichen Gegend geboren, in der sich die Vergangenheit einer alten Provinz verewigt zu haben schien, in einem abseits gelegenen Departement, das nur die alten Postkutschen kannte, und in welchen an jeder Wegkreuzung ein steinernes Kreuz aufragte.

Seit seiner frühesten Kindheit bis hinein in die Jünglingsjahre zog er an jedem Sonntag seinen groben Kittel aus und bekleidete sich mit dem weißen Chorhemd des Ministranten. Auch späterhin erhielt er sich seinen Kinderglauben, gefesselt von den Wundern, die er lehrt, ja er verfehlte nicht, allwöchentlich einmal in der Mittagsonne, auf freiem Feld, mitten unter seinen Lämmern zur Stunde des Gottesdienstes seine eigene Messe zu lesen, und er warf sich, in diesem idealen Dom verloren, wie bei der Wandlung auf die Knie beim Klingeln der Glocke am Hals seines widerspenstigen Leithammels. Dieser fromme Eifer mischte sich mit einem abergläubischen und verworrenen Mystizismus, wie ihn das dauernde Leben unter freiem Himmel manchmal in ungebildeten Menschen auslöst. Er war nicht weniger als belesen, hatte nie ein anderes Buch in der Hand gehabt als ein paar Kalender und zwei, drei kleine Büchlein, die das Leben der Jungfrau Maria zärtlich verklärten. Als in dem Jüngling der Mann erwachte, hatte sich ein Teil seines religiösen Gefühls dem Weib zugewendet. Seine anfänglich keusche Liebe ließ ihn die Bauernmädchen verachten und galt ausschließlich einer zarten Heiligen, deren Martyrium auf dem Bilde einer Bergkapelle dargestellt war, und loderte in ihm wie ein himmlisches Feuer auf.

Das Leben im Regiment kam dem Schäfer hart an, er zählte die Jahre, die Monate, die Tage, die ihn noch von jenem Tag trennten, an welchem er seine sieben Dienstjahre abgeleistet haben und er zu seinen Wiesen und Schafen zurückkehren würde. Da er jedoch als guter Christ zu dulden wußte, oblag er schlicht und folgsam seinen Pflichten als Soldat, voll Ehrfurcht vor seinem Hauptmann, voll Ehrfurcht vor seinem Korporal. Er lebte stets für sich in seinem Winkel, ging immer seine eigenen Wege, ohne viel mit den Kameraden zu verkehren, denen er aber gelegentlich gerne irgendeinen kleinen Dienst erwies. Dabei blieb er seiner Heimat, seinen Anschauungen und Gewohnheiten treu und vertiefte sich oft heimlich in die Bilder seines Gebetbüchleins, das er stets bei sich trug, trotz der Spöttereien seiner Kameraden, die ihn täglich am Kopfende seines Bettes kniend sein Morgengebet verrichten sahen, ohne sich darum zu kümmern, daß der eine oder andere beim Erwachen spottete: »Schaut nur, Tanchon ist schon wieder daran, den Himmel herunterzubeten.«

Und doch hatte dieser fromme Gläubige in Paris der Glut seines sinnlichen Temperaments nicht zu widerstehen vermocht, der Glut seines inmitten der Natur und im Harzgeruch der Wälder herangewachsenen Körpers, den zarten Verlockungen seines in Gott und in das Weib verliebten Herzens war er schließlich erlegen. In seiner Schwäche, in der Einfalt seines Glaubens wurde er von der Angst vor dem wirklichen Feuer einer Hölle, vor einem wirklichen Teufel gefoltert, von dem er nicht sicher wußte, ob er ihn nicht einmal in der Gestalt eines weißen Wolfes gesehen, er wurde von allen Schrecken befallen, die die Kirche für die Verdammten erfunden hat, die er in seinen Wahnvorstellungen in der Dämmerung sah, in den düsteren Stunden, da die Welt einschläft oder langsam erwacht. Und diese Schreckensbilder einer Wirklichkeit, die ihm in seiner Einfalt nicht zweifelhaft erschien, sondern in bedrohender Nähe, verwirrten sein Wesen um so mehr, als er sich täglich unfähiger fühlte, dem Weib zu widerstehen, täglich schwächer wurde gegen die Versuchungen des Fleisches.

Die Worte, die er an einem Frühlingstag zu einem Weibe, zu Elisa sprach, die Worte dieses Mannes in der roten Soldatenhose, sie glichen wahrhaftig der Anrufung einer Heiligen, sie waren ein flehender, hinreißender Herzenserguß, ein Liebeswerben, in dem die Worte seiner drei Legendenbücher immer wiederkehrten, und in seinen Bewegungen war die ganze Zärtlichkeit, mit der er das jüngste Lamm seiner Herde schirmend umschlang,


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