Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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V.

Jedes Jahr kam im Frühling eine Frau zu Madame Alexander, um sich zur Ader zu lassen, »auf daß es ihr gut ginge und damit sie das ganze Jahr schön bliebe«. Vielleicht war das eine alte medizinische Überlieferung der Hebammen vom Lande, vielleicht auch eine Art Aberglauben: die Frau kam regelmäßig am 14. Februar, dem St. Valentintag, zum Aderlaß. Diese Frau war eine Prostituierte aus einer Provinzstadt, die seinerzeit, als sie noch Dienstmädchen in Paris gewesen war, heimlich bei der Hebamme entbunden hatte. So oft sie nun nach Paris kam, um die Aufträge und Geschäfte des Hauses zu erledigen, blieb sie acht Tage bei Madame Alexander, wo sie wie in einem Hotel logierte. Die robuste Provinzlerin, die am Tag nach dem Aderlaß gleich wieder auf den Beinen war, und sich langweilte, wenn sie nichts zu tun hatte, half Elisa während der ganzen Zeit, in der sie zu Hause war, bei der Arbeit, und scheute sich nicht, auch bei den gröbsten häuslichen Verrichtungen Hand anzulegen. Abends nahm sie Elisa mit ins Theater. Sie lachte gern und viel und ihre weiche, ein wenig schleppende Art zu sprechen, flößte Vertrauen ein und gewann ihr im Handumdrehen die Sympathie aller Leute. Sie reiste niemals ab, ohne Elisa, die sie ins Herz geschlossen hatte, ein kleines Geschenk zu machen, und so kam es, daß das junge Mädchen alljährlich dem St. Valentintag mit einer gewissen Freude entgegensah.

Eines Abends nun nach einem solchen Aderlaß, setzte sich Elisa nach einem fürchterlichen Auftritt mit der Mutter an das Bett ihrer Freundin und gestand ihr in kurzen, abgerissenen Worten den geheimen, aber unerschütterlichen Entschluß, mit welchem sie sich seit Monaten trug.

Sie hätte das Leben mit ihrer Mutter satt – als Verkäuferin wolle sie sich nicht abrackern – Hebamme wolle sie schon gar nicht werden – sie hätte seit Wochen ihre Ankunft mit Sehnsucht erwartet – komme was da wolle – sie sei entschlossen durchzubrennen und mit ihrer Freundin zu fahren – und wenn sie sie nicht mitnähme, würde sie in ein Pariser Haus eintreten – ins erstbeste – denn mit der Mutter auszukommen sei einfach ein Ding der Unmöglichkeit, da sei es leichter, einen Toten wachzukitzeln – es sei um aus der Haut zu fahren. Sie kenne wohl einen Burschen, der eine Neigung für sie habe – aber sie habe beobachtet, daß ihre Freundinnen, die mit einem Mann zusammenleben, zu sehr unter die Sklavenfuchtel gekommen seien – da sei ihr schon lieber, in so ein Haus zu gehen – das Leben in der Provinz stelle sie sich sehr nett vor – und zumindest könne sie sich dort ausschlafen.

»Ei! Ei!« meinte die Freundin ein wenig erstaunt, im Grunde aber höchst erfreut über diesen Vorschlag. Es war zwar nicht ihre Gewohnheit, solche Rekrutinnen anzuwerben, aber nachdem sie sich überzeugt hatte, daß Elisa das sechzehnte Jahr überschritten hatte, willigte sie mit Freuden ein und gab nur ihrer Befürchtung Ausdruck, daß ihre Mutter bei der Polizei Krawall schlagen könnte.

»Haben Sie keine Angst, die Mutter hat nicht gern mit der Polizei zu tun, aus guten Gründen. – Sie wird glauben, ich sei zu einem meiner Tänzer von der ›Boule-Noire‹ gezogen. Das wird alles sein ...«

Dann setzte ihr Elisa auseinander, wie man es einrichten müsse, damit ihre Mutter nicht den leisesten Verdacht auf sie haben könne. Elisa würde sich einen Tag vor ihrer Abreise aus dem Staube machen. Sie solle sich von ihrer Mutter zum Mühlhauser Zug begleiten lassen und würde ihre Reisegefährtin erst in der nächsten Station treffen.

Die beiden Freundinnen verabredeten den Tag der Abreise und schon am nächsten Tag verschwand Elisa aus der mütterlichen Wohnung.


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