Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XI.

Von diesen Weibern, die zum größten Teil aus der Provinz Bassigny stammten, stach Elisa augenfällig ab, durch jenen Zauber der Weiblichkeit, den die moderne Großstadt den jungen Mädchen verleiht. Ihre Haltung war von einer gewissen Eleganz, ihre Bewegungen voll Grazie, in den Faltenwurf der leichten, fließenden Stoffe, mit denen sie bekleidet war, wußte sie pariserischen Schick zu legen. Ihre Hände waren wohlgeformt und gepflegt, die Füße klein, das zarte Blaßrosa ihres Teints bildete einen starken Gegensatz zu den knallroten Backen der Mädchen aus der fruchtbaren Haute Marne. Sie sprach fast so, wie man in der Gesellschaft spricht, hörte den Gesprächen mit intelligentem Lächeln zu und ließ manchmal ihrer Spottlust die Zügel schießen als echtes Kind des Pariser Pflasters, so daß sie mit ihrem Spektakel das kleinstädtische Haus in Staunen versetzte. Was aber Elisa vor allem auszeichnete und ihr in diesem Milieu der sklavischen Unterwürfigkeit eine pikante Eigenart verlieh, das war die hochmütige und zugleich verführerische Selbstherrlichkeit, mit der sie ihrem Beruf oblag. Man mußte sehen, wie dieses Weib sich gegen eine allzu brutale Liebkosung oder gegen einen schimpflichen Befehl wütend und ekstatisch zugleich aufbäumte, wie sie durch kokett und spöttisch hingeworfene Worte, durch die verführerische Wollust ihres herausfordernden, schmiegsamen Körpers die Glut der Männer zu entfachen und der Begierde nach ihrem Leibe, Worte der werbenden Liebe und der demütigen Huldigung zu entlocken wußte.

Bald wurde Elisa das Weib, von dem sich die jungen Leute des Städtchens errötend Geständnisse ins Ohr flüsterten, das Weib, das man allgemein die »Pariserin« nannte, das von allen begehrte Weib, nach dem es die Eitelkeit der Provinzler gelüstete.

Monsieur und Madame holten jetzt in ihren geschäftlichen Angelegenheiten Elisas Rat ein. Sie mußte den Sekretär machen, wenn es galt, an ihre Tochter zu schreiben, die in Paris im Kloster erzogen wurde. Sie war es, die der Tochter Neujahrsbriefe beantworten mußte, die also begannen und schlossen: »Liebe Eltern! Erlaubt mir, Euch zur Jahreswende meine Dankbarkeit auszusprechen für die beständige Sorgfalt und für die Opfer, die Ihr mir unaufhörlich bringt ... Liebe Eltern, möge Euch alles Glück beschieden sein, wie Ihr es verdient, dann wird nichts zu Eurem Wohlergehen und zu meiner Zufriedenheit fehlen.«

Divine, die seit mehreren Jahren mit der Tyrannei einer reizbaren und nervösen Frau geherrscht hatte, verließ das Haus, da sie es nicht ertragen konnte, sich in den Hintergrund gerückt zu sehen. Und angesichts der Hochachtung, die Madame für Elisa an den Tag legte, unterwarfen sich ihr auch widerspruchslos ihre Kolleginnen.

Zur Zeit, da Divine das Haus verließ, erhöhte überdies noch ein unvermutetes Ereignis die Stellung der »Pariserin«. Sie hatte das Glück, den Sohn des Bürgermeisters in sich verliebt zu machen. Von dem Tage an, da sie dessen Photographie in einem großen, goldenen Medaillon am Halse trug, genoß Elisa in dem Etablissement das Ansehen der erklärten Maitresse eines Thronerben. Sie konnte ungehindert lästige Liebesdienste verweigern, und bekam jeden Tag frische Wäsche. Statt der gewohnten Morgensuppe nahm sie, ganz wie Madame selbst, eine Tasse Schokolade zu sich und zum Mittagessen trank sie Bordeaux, den Wein, den der Sohn des Hauses seiner Krankheit wegen bekam.


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