Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XLIII.

Es war schon lange nach Mitternacht. Im Schlafsaal, den der Erbauer des Gefängnisses unter dem Spitzbogengewölbe einer ehemaligen Kirche untergebracht hatte und dessen Decke von gußeisernen Säulen getragen wurde, in dem düsteren, niedrigen, stickigen Schlafsaal gaben die qualmenden Lampen nur noch einen matten Lichtschein und unter den braunen Kotzen lagen die Leiber der Gefangenen in den steifen und verkrümmten Stellungen eines angstvollen Schlummers. Durch die vergitterten Fenster dämmerte bereits das Grau des anbrechenden Tages. Die Aufseherin lag in ihrem etwas erhöhten Bett in tiefem Schlaf. Alle Frauen schliefen und ihre Träume waren stumme Träume des Lasters und des Verbrechens.

Nur Elisa lag noch wach. Sie richtete sich für einen Augenblick auf, streckte sich ein wenig geräuschvoll und horchte dann angestrengt in die Stille und das Dunkel, während sie das Guckfenster der Schwester, die nebenan in ihrer Kammer schlief nicht aus den Augen ließ. Das wiederholte sie einige Male. Dann kam von Elisas Bett ein Geräusch wie das Knappern einer Maus. Den Kopf nach rückwärts gebogen, lag die Gefangene anscheinend ganz ruhig und trennte vorsichtig mit einer Hand ein Stück Matratze auf. Nach einigen Minuten zog sie aus der Wolle jenes Stückchen Papier, das sie damals auf der Bahnfahrt in ihren Haaren versteckt hatte, das sie jahrelang in einer Tasche verborgen gehalten, alle sechs Monate aus dem Winterkleid in das Sommerkleid schmuggelte und schließlich in ihre Matratze vernäht hatte.

Es war ein Brief mit Blut geschrieben, bis auf das Wort »Tod«, das der Schreiber aus abergläubischer Angst mit Tinte geschrieben hatte. Die Schriftzüge waren allmählich auf dem vergilbten Papier verblaßt, aber Elisa las mehr mit dem Gedächtnis als mit den Augen.


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