Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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X.

Die Frauen, die sich mit Elisa im Haus befanden, waren größtenteils Landmägde, die verführt und von ihrem Herrn davongejagt worden waren. Könnt ihr sie euch vorstellen, diese vierschrötigen Weiber, deren Haut trotz allen Parfüms noch nach dem Schweiß der Feldarbeit riecht, deren Hände noch die Schwielen der Männerarbeit an sich tragen, deren harte Brustwarzen zwei Löcher in den abgetragenen Stoff der Bluse reiben. Sie trugen einen schwarzen Rock und ein weißes Jäckchen und gingen am liebsten in Pantoffeln, ein gelbes Tuch um die Schultern, wie es die Bauernmädel tragen. Diese Weiber kannten keine Koketterie, besaßen kein Talent, nichts von diesem weiblichen Instinkt, der selbst bei der Dirne den Wunsch hervorruft, zu gefallen, bevorzugt zu werden, Liebeslaunen zu erwecken und der sogar der käuflichen Liebe den Anschein einer Rechtfertigung gibt. Sie kannten nichts als eine banale Freundlichkeit, in der sich die Verächtlichkeit ihres jetzigen Berufes mit dem Sklaventum ihres früheren vermischte. Sie sagten zu den Männern, die sie in den Armen hielten, zwar noch immer »Herr«, auch wenn sie sie duzten. Kein Zauber der Wollust, kein Hauch der Liebe war in diesen plumpen Leibern, in diesen linkischen Gebärden. Wie eine ängstliche Herde drängten sie sich im Salon aneinander und wenn man eine von ihnen ausgewählt hatte, beeilten sich die anderen, sich wieder in einem Winkel zusammenzudrücken und wichen der Gesellschaft und den Gesprächen mit den Männern aus. Fast keine besaß auch nur einen Schatten von Talent für das Gewerbe, das sie ausübten, und selbst wenn die eine oder die andere ein freies oder gewagtes Wort aussprach, wirkte es durchaus nicht erotisch.

Die Stunden, da sie unbeschäftigt waren, verbrachten sie in einer Art dumpfen Verschlafenheit, etwa wie die eines Bauern, der in der Mittagshitze auf seinem Heuwagen nach Hause fährt. Alle befiel, sobald das Licht angezündet wurde, eine unbändige Schlafsucht, wie richtige Bäuerinnen, die sie ja geblieben waren. Alle erwachten bei Morgengrauen, schwatzten dann in ihren Betten und trödelten im Zimmer herum, bis das Haustor geöffnet wurde. Viele von ihnen hatten bisher nur Milchsuppe und Käse als Nahrung gekannt und aßen erst Fleisch, seit sie in das Haus eingetreten waren. Ein paar wollten bei Tisch den Heber neben sich stehen haben, weil er sie daran erinnerte, wie sie als kleine Mädchen mit dem Heber Wein aus den Fässern entnommen hatten. Die ganze Unterhaltung der Gesellschaft bestand darin, im Dialekt zu schnattern, sich unter blödem Lachen zu necken, wobei ihnen die lokalen Dialektworte ihrer Heimat ihre Vergangenheit in Erinnerung brachten.

Am wenigsten derb war ein großes Mädchen mit schmaler, gewölbter Stirn, mit schwarzen, über den Gazellenaugen zusammengewachsenen Brauen, mit unreinem Teint, der auf Verdauungsstörungen schließen ließ, und einem Wald von krausen Haaren, die auf ihre lachenden, blauumränderten Augen fielen und ihrer ganzen Physiognomie etwas Verwegenes verliehen. Bei dieser sonderbaren Dorfpflanze machte sich jeden Augenblick eine gesteigerte Nervosität, vermutlich die Folge einer unregelmäßigen Gesundheit, in heftigen Sticheleien, Bosheiten und Launen Luft.

Sie hieß mit ihrem Taufnamen Divine. Als junges Mädchen hatte sie das abenteuerliche Leben einer kleinen Felddiebin geführt. Dieses Räuberleben hinter den Zäunen der Weinberge mischte sich mit einer romantischen Liebe für das weite Blau des Himmels und mysteriösen Beziehungen zu den Sternen der Nacht, unter deren Glanz sie oft auf freiem Felde schlief. Die abergläubischen Bauern meinten, das Kind sei vom Teufel besessen. So strolchte sie Tag und Nacht umher, als eines Tages eine Wahrsagerin daherkam, eine ehemalige Marketenderin, die mit einem Sack auf dem Rücken auf den Landstraßen bettelte. Das Butterschmalz und die eingekochten Karotten aus der Hütte ihres Vaters wanderten in den Bettelsack der alten Hexe, der Divine zu guter Letzt noch fünfzehn Pfund Speck schenkte, damit sie ihr nach allen Regeln der Kunst das große Horoskop stellte. Die Sache kam auf und hatte zur Folge, daß das Mädchen, so groß es war, den Hintern dermaßen mit Brennnesseln verhauen bekam, daß es aus dem Vaterhause entfloh.

In der Divine, wie sie heute war, steckte noch viel von der ehemaligen kleinen Landstreicherin. Ging sie aus, so war kein Zaun hoch genug, die Erbsen und Salathäupteln vor ihr zu schützen. Sie stibitzte, sie verzehrte sie roh, wie sie waren. War Vollmond, so mußten ihre Kolleginnen so lange mit zugekniffenen Augen hinaufschauen, bis sie in der verwischten Zeichnung des blassen Gestirns – ganz deutlich noch dazu – den »Mann im Mond« gesehen hatten.


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