Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XIX.

Ein großes Zimmer mit schmutzigem Fußboden, das im Dämmerlicht der herabgelassenen Gardinen daliegt. Und in diesem Zimmer sitzen auf Strohsesseln Frauen mit offenem Haar, deren dekolletierte Kleider sorgsam bis zum Knie geschürzt sind. Einige von ihnen haben die Hände in einem Muff vergraben und sitzen aus alter Gewohnheit um das Eisenblech herum, auf dem früher der Ofen gestanden ist. Rings um die vier Wände stehen große Kleiderschränke aus weißem Holz, voll mit Bleistiftinschriften, wie man ähnlich sie auf Baumstämmen in einem Herz eingraviert findet: zwei Namen und das Datum einer Liebesnacht. Auf dem Kasten in wildem Durcheinander geweihte Palmkätzchen vom vorigen Jahr und beiseite gestellte Tassen, an denen noch ein wenig eingetrockneter Kaffee klebt. In der Mitte des Zimmers steht ein Küchentisch, an dessen einem Ende dann und wann eine der Frauen hockt und mit schmierigen Spielkarten ihre Patience legt. Zwei oder drei Mädchen sticken an den Fenstern sitzend, in dem trüben Düstern, das aus dem Lichthof durch die Spalten der Jalousien fällt. Die andern sitzen faul herum wie schlaffe Gespenster, mit ihren weißen Halskragen und Umhängtüchern, die die Gesichter einrahmen, und aus dieser immerwährenden Dämmerung hervorleuchten, wie das Weiß aus alten, dunkel gewordenen Bildern.

Dieses Zimmer, das man den »Hühnerstall« nennt, ist das miserable Lokal, in welchem die Bordellwirtin, um den Utrechter Plüsch des Salons zu schonen, tagsüber die Mädchen hält, in diesen Häusern, wo die Liebe nur des Abends zu Besuch kommt.

Langsam schleicht die Zeit in dieser ewigen Dämmerung, in diesem zur Nacht gemachten Tag dahin, und das Denken verdüstert sich immer mehr in diesen endlosen Stunden, in denen die Plauderlust der Frauen schließlich verstummt zu totem Schweigen. Endlich ist es drei Uhr ... drei Uhr, und der Friseur ist da. Im Augenblick, da das Geschnatter des Haarkünstlers auf der Stiege hörbar wird, kommt Leben in die Gesellschaft, die unbeweglichen, langweilig dahindämmernden Gestalten erwachen, schütteln die Schläfrigkeit ab, strecken sich wie die Katzen und sind gleich auf den Beinen. Die kleine Lampe für die Brennscheren wird angezündet und steht im Augenblick auf dem Tisch bereit. Und schon drängen sich die Mädchen um den Jüngling mit dem gelockten Scheitel und ermuntern ihn zu erzählen, wie Kinder betteln, daß man ihnen ein Märchen erzähle. Und die ganze Zeit, während der Frisiermantel von den Schultern der einen auf die Schultern der nächsten wandert, stehen sie alle um den Lockenkönig herum und jede will etwas wissen, alle fragen sie gleichzeitig und wollen hören, was es Neues gibt, was sich ereignet hat, was er gesehen hat, drängen und betteln ihn zu erzählen, begierig in ihrer trüben Abgeschlossenheit von da draußen von der Straße, von dem pulsierenden, lebendigen, sonnigen Paris etwas zu hören.

Wenn dann der Friseur weg ist, kehrt die Langweile dieses düsteren Lebens zurück in diesen Raum, wo unsichtbare Spinnen ihre staubgrauen Netze zu weben scheinen, und schwindet erst wieder, bis die Gasflammen aufleuchten und die Nacht beginnt – der Tag der Prostitution.

Das waren die Tage Elisas in ihrem neuen Leben in Paris.

Es ist eine Tatsache, daß in den Verhältnissen zwischen Mann und Frau, in welchem die Frau den Mann unterstützt, die Lasten auf sich nimmt und ihr Glück dem Manne opfert, die Liebe gewöhnlich nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Frau hat einer physischen Schwäche nachgegeben, einer Art von Mitgefühl von menschlicher Rührung, die das Herz öffnet. Und schließlich wird dieses Gefühl, jenseits des sinnlichen Reizes, so übermächtig, daß diese blinde Fürsorge alle Erniedrigung und Gemeinheit erträgt und sich uneigennützig hinopfert. Man wird gewöhnlich finden, daß die Schutzengelrolle dieser Mädchen psychologisch darin ihre Befriedigung findet, daß die Schwäche die Kraft unterstützt und in dem Gefühl sich von dem Schmutz der Käuflichkeit durch eine Art Rückkauf reinigen zu können.

Das entehrende Gewerbe der Prostitution bringt instinktiv in der Frau den Wunsch hervor, der stärker ist als ihr Egoismus, durch Entbehrungen und Leiden das Glück eines Mannes zu schaffen. Und diese Opferwilligkeit der Prostituierten für einen Mann hat bisweilen den Abglanz einer rührenden Mütterlichkeit an sich und gewinnt ihr Nachsicht und göttliche Verzeihung.

Nach einigen Monaten schon schenkte Elisa ihrem Freund nicht nur ihre aufopfernde Liebe, sie gab ihm auch das Geld für seine Zigaretten, das Geld für seine Kaffeehausbesuche, dann auch für seine sonstigen Ausgaben, das Geld, um die kleinen Schulden vergangener Jahre zu tilgen, das Geld, um vorgebliche Prozeßkosten von früher zu bezahlen, kurz, sie gab ihm schließlich alles, was sie verdiente. Sie war nicht einmal imstande, für sich neue Hemden nachzuschaffen, und besaß schließlich kaum noch das Notwendigste an Kleidung für ihre nächtlichen Promenaden. Die Vergeltung aber für all das Elend, das sie auf sich nahm, waren rohe Worte, wie man sie kaum einem Hund zuruft, und oft sogar Prügel. Und diese Frau mit den derben, kampfestüchtigen Händen ließ sich schlagen, ohne sich zu wehren. Sie klagte nicht, sie fuhr nicht auf, sie ließ sich nicht entmutigen. Von Tag zu Tag brutaler behandelt und schamloser ausgenützt, wurde sie immer sanfter, immer untergebener, als fände sie in den erbarmungslosen Forderungen ihres Zuhälters das Martyrium einer süßen und verzückenden Qual. Es schien, als fühlte Elisa eine stolze Befriedigung in diesem Opfer, als wäre sie diesem Manne dankbar für alle seelischen und körperlichen Leiden, die er sie erdulden ließ. Einmal machte sich der Wahn ihres Sklaventums in diesem wilden Aufschrei Luft: »Ich weiß nicht, ob ich diesen wilden Mann liebe, aber wenn er mir sagte, laß' dir deine Haut abziehen, ich will mir ein Paar Stiefel daraus machen lassen, ich würde sie ihm mit Freuden geben.«


Durch die Verhandlungen eines großen politischen Prozesses, der in ganz Frankreich viel Lärm machte, erfuhr Elisa, daß ihr dunkler Heros ein Polizeispitzel war. Nach einer fürchterlichen Schlägerei spuckte sie ihm mit all der Verachtung der Dirne für diese Art von Männern ins Gesicht und lief ihm davon. Und Elisa wurde wieder die Prostituierte, wie all ihre anderen Gefährtinnen, doch blieb in ihr seit jenem Verhältnisse irgend etwas von Haß und Verachtung für das männliche Geschlecht zurück, ein Sichaufbäumen, um diesen menschlichen Hengsten an die Gurgel zu fahren, eine gewisse Bösartigkeit gegen den Mann.


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