Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XLI.

Im Arbeitssaal war Elisa zwischen zwei Frauen eingereiht worden, mit denen sie Seite an Seite vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein arbeitete.

Die eine war die älteste Zuchthäuslerin der Anstalt. Sie hatte ihre sechsunddreißig Jahre abgesessen. Es war eine große, knochige Bäuerin, der die Härten des Sträflingslebens nichts anzuhaben schienen. Ein Wesen wie aus Eisen, an dem alle Leiden abprallten und das seine Gesundheit und seinen klaren Verstand durch all die aufreibenden Jahre des Schweigens bewahrt hatte. Sie war zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden, weil sie mit ihrem Vater die eigene Mutter ermordet und mit ihren Mädchenhänden den im Brunnenschacht schwimmenden, noch lebenden Körper mit Steinen versenkt hatte.

Ihre kalte Verschlossenheit, ihr unbewegliches Gesicht, die Kälte ihres Wesens hatten etwas Unheimliches an sich. Wenn eine der Frauen im Saal eine Strafe diktiert bekam, hörte Elisa, wie die Alte, ohne sich zu rühren, ohne auch nur den Blick zu heben, zwischen den Zähnen murmelte: »Was geht das mich an. Hier hat jeder seine Suppe allein auszulöffeln.«

Elisa hatte fast ein wenig Angst vor dieser Nachbarin.

Die andere war eine noch ganz junge Frau, ein Opfer dieser verdammenswerten Einrichtung, die die zu einem Jahr Verurteilten mit den »Lebenslänglichen« zusammen einsperrt. Die junge Sünderin war wegen Ehebruch verurteilt worden. Vor Scham gebeugt saß die Unglückliche über ihrer Arbeit, und von Zeit zu Zeit fielen ihre Tränen auf die Stickerei, die wie Tautropfen auf einer seidenen Blume glitzerten.

Elisa empfand für dieses Weib etwas wie Verachtung, weil sie ihr allzu feig erschien.

In Elisa, in dieser wilden und unbändigen Natur, die immer schon die Hände weggestoßen hatte, die sie auf sich lasten fühlte, hatte sich der Instinkt der Empörung noch verstärkt, seit jene Hand die Hand der Justiz war. Immerhin muß man sagen: das Gefühl, daß ihr Verbrechen von keinen Interessen oder Vorteilen veranlaßt war, erfüllte diese Verbrecherin mit einem gewissen Gefühl von Selbstbewußtsein. Unter diesen Frauen, die zum größten Teil wegen gemeinen Diebstahls abgestraft wurden, verlieh das stolze Gefühl der Rechtschaffenheit ihrem ganzen Wesen etwas Hochfahrendes und Verächtliches.

Die Empörung ihres starren Herzens äußerte sich zwar in keiner Handlung, in keinem Wort, in keiner Verletzung der Disziplin, aber sie war in ihrem Blick, in ihrer ganzen Haltung, in ihrem Schweigen, in dem zornigen Aufbäumen eines geknechteten Körpers, in dem Zittern ihrer stummen Lippen. Daher kam es, daß sowohl die Oberin wie der Direktor und die Inspektoren mit äußerster Strenge gegen die verstockte Sünderin vorgingen. Vor allem aber hatte sie sich in der Person der Aufseherin eine gefährliche Feindin geschaffen, die mit der Zuweisung und Überwachung der Arbeit betraut war. Elisa hatte ihr in der deutlichsten Weise ihre Verachtung gezeigt, die ihr die Komödie der Bereuung und der Besserung, die niedrige Heuchelei, die gotteslästerlichen Lügen der Frömmigkeit einflößten, mit deren Hilfe sich bisweilen eine Gefangene eine Art Herrenrechte im Gefängnis zu erschleichen weiß.


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