Friedrich der Große
Briefe
Friedrich der Große

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An Voltaire

Berlin, 8. August 1736.

Habe ich auch nicht das Glück, Sie persönlich zu kennen, so sind Sie mir doch durch Ihre Werke bekannt genug. Das sind Geistesschätze, wenn der Ausdruck erlaubt ist, Kunstwerke, die mit so viel Geschmack und Feinheit gebildet sind, daß ihre Schönheiten sich bei jeder Lektüre in neuem Lichte zeigen. Ich glaube in ihnen den Charakter ihres geistvollen Verfassers zu erkennen, der unserem Jahrhundert und dem menschlichen Geiste zur Ehre gereicht. Die großen Männer der neueren Zeit werden Ihnen einst Dank wissen, und nur Ihnen allein, falls der Streit wieder ausbricht, ob den Neueren oder den Alten der Vorzug gebührt; denn Sie lassen die Waagschale zugunsten der Neueren sinken.

Mit den Eigenschaften eines hervorragenden Dichters verbinden Sie eine Fülle von Kenntnissen, die freilich mit der Poesie in gewisser Weise verwandt sind, ihr aber erst durch Ihre Feder zugehören. Nie hat ein Dichter metaphysische Gedanken in Verse gebracht: solche Ehre war Ihnen zuerst vorbehalten. Diese philosophische Tendenz Ihrer Schriften veranlaßt mich, Ihnen eine durch mich angeregte Übersetzung der Anklage und Rechtfertigung von Wolff zu übersenden, des berühmtesten modernen Philosophen, der Licht in die dunkelsten Gebiete der Metaphysik getragen und diese schwierigen Fragen ebenso erhaben wie klar und bestimmt erörtert hat, dafür aber grausamerweise der Irreligiosität und des Atheismus bezichtigt worden ist. Das ist das Schicksal großer Männer: stets setzt ihr überlegener Genius sie den vergifteten Pfeilen der Verleumdung und des Neides aus.

Ich lasse jetzt die Abhandlung desselben Verfassers »Von Gott, von der Seele und der Welt« übersetzen und werde sie Ihnen zusenden, sobald sie vollendet ist. Ich bin gewiß, Sie werden die Beweiskraft aller seiner Schlüsse schlagend finden; denn sie folgen mathematisch einer aus dem anderen und sind in einander geschmiedet wie Kettenglieder.

Bei der Nachsicht und Unterstützung, die Sie allen gewähren, die sich den Künsten und Wissenschaften widmen, hoffe ich, Sie werden mich nicht aus der Zahl derer streichen, die Sie Ihrer Belehrung würdigen. Denn so nenne ich Ihre Korrespondenz, die jedem denkenden Wesen, nur nützlich sein kann. Ja, ohne das Verdienst anderer zu schmälern, wage ich zu behaupten, daß es auf der ganzen Welt ohne Ausnahme keinen gibt, dessen Lehrer Sie nicht sein könnten.

Fern sei es mir, Sie in einer Weise zu beweihräuchern, die Ihrer unwürdig wäre; dennoch kann ich Ihnen versichern, daß ich in Ihren Werken zahllose Schönheiten finde. Ihre »Henriade« entzückt mich und triumphiert glücklich über die wenig einsichtsvolle Kritik, der man sie unterzogen hat. Das Trauerspiel »Cäsar« zeigt uns durchgeführte Charaktere und ist von großen, gewaltigen Gefühlen erfüllt. Ihr Brutus kann nur Römer oder Engländer sein. »Alzire« verbindet den Reiz der Neuheit mit dem glücklichen Kontrast zwischen den Sitten der Wilden und der Europäer. Der Charakter Gusmans zeigt, daß ein mißverstandenes und von falschem Eifer geleitetes Christentum noch barbarischer und grausamer ist als das Heidentum. Stünde Corneille, der große Corneille, der sich die Bewunderung seines ganzen Zeitalters erwarb, in diesen Tagen wieder auf, er sähe mit Staunen und vielleicht mit Neid, wie die tragische Muse Sie mit Gunstbezeugungen überhäuft, die sie ihm nicht gegönnt hat. Was läßt sich nicht alles von dem Verfasser so vieler Meisterwerke erwarten! Was für neue Wunder werden nicht aus der Feder des Mannes hervorgehen, der schon den »Tempel des Geschmacks« so geistreich und zierlich errichtet hat!

Das erweckt in mir den sehnlichen Wunsch, alle Ihre Werke zu besitzen. Ich bitte Sie, mir diese zu schicken und mir keines zu versagen. Sollte sich unter den handschriftlichen eins befinden, das Sie aus notgedrungener Vorsicht der Öffentlichkeit vorenthalten, so verspreche ich Ihnen, tiefstes Geheimnis zu wahren und ihm nur insgeheim Beifall zu zollen. Leider weiß ich, daß ein Fürstenwort heutzutage wenig gilt; doch hoffe ich, Sie werden sich nicht von den allgemeinen Vorurteilen bestimmen lassen, sondern sich zu meinen Gunsten zu einer Ausnahme entschließen.

Ihre Werke würden mich reicher machen als alle vergänglichen und verächtlichen Glücksgüter dieser Welt, die ein und derselbe Zufall uns schenkt und wieder nimmt. Mit Hilfe des Gedächtnisses kann man sich jene, Ihre Werke, aneignen und sie so lange besitzen wie dieses. Mein Gedächtnis ist schlecht; darum schwanke ich lange, bevor ich mich entscheide, was darin Aufnahme finden soll.

Stünde die Dichtkunst noch auf ihrer alten Stufe, d. h. könnten die Dichter nur langweilige Idyllen trillern, Eklogen nach dem alten Schema und abgeleierte Stanzen verfertigen, oder wüßten sie ihre Leier nur auf den elegischen Ton zu stimmen – ich würde ihr für immer entsagen. Allein, Sie veredeln die Dichtkunst, Sie zeigen uns neue Wege, die ein Cotin und Rousseau nicht beschritten haben.

Ihre Gedichte besitzen so große Vorzüge, daß alle höher stehenden Geister sich gern in sie vertiefen. Sie sind ein Lehrbuch der Moral, das uns denken und handeln lehrt. Sie schmücken die Tugend mit leuchtenden Farben. Der Begriff des wahren Ruhmes wird darin formuliert. Sie gewinnen den Wissenschaften so feine und zarte Reize ab, daß man nach der Lektüre Ihrer Werke vom Ehrgeiz erfaßt wird, in Ihre Spuren zu treten. Wie oft habe ich mich nicht dieser trügerischen Lockung hingegeben und mir dann gesagt: Unseliger, laß ab, diese Bürde übersteigt deine Kräfte! Man kann Voltaire nicht nachahmen, wenn man nicht selber Voltaire ist.

In solchen Augenblicken habe ich es empfunden, daß die Vorzüge der Geburt, der leere Schall von Größe, mit dem die Eitelkeit uns einlullt, nur wenig oder besser gesagt gar nichts vorstellen. Das sind Maßstäbe, die unser inneres Wesen nicht berühren, lediglich äußerer Schmuck. Wie sehr sind ihnen die Geistesgaben vorzuziehen! Wieviel ist man denen schuldig, die die Natur schon bei ihrer Geburt ausgezeichnet hat! Gefällt sie sich doch, Wesen zu schaffen und mit allen nötigen Gaben auszustatten, um Fortschritte in den Künsten und Wissenschaften zu machen; ihre durchwachten Nächte zu belohnen, ist dann Sache der Fürsten. Ach, erwählte der Ruhm doch mich zum Werkzeuge, um Ihre Erfolge zu krönen! Nur das eine würde ich fürchten, daß dies lorbeerarme Land weniger Lorbeeren hervorbrächte, als Ihre Werke verdienen, und daß man statt seiner zum Eppich greifen müßte.

Begünstigt aber das Schicksal mich nicht so sehr, daß ich Sie mein nennen kann, so darf ich wenigstens hoffen, Sie, den ich schon so lange von ferne bewundere, eines Tages zu sehen, um Sie persönlich all der Achtung und Hochschätzung zu versichern, die denen gebührt, die, der Leuchte der Wahrheit folgend, ihre Arbeiten dem allgemeinen Wohle widmen.

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