Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Lady Seymour aus Seymourhouse an Emilia

Die erste freie Stunde meiner Bewohnung eines Familienhauses gebührte dem Dank an die Vorsicht, die allen meinen Kummer und die fürchterlichen Irrwege meines Geschicks in dem Umfang vollkommener Glückseligkeit endigte; aber die zweite Stunde gehört der treuen Freundin, die alles Leiden mit mir teilte, die mir es durch ihren Trost und ihre Liebe erleichterte, und deren Beispiel und Rat ich die Stärke meiner Anhänglichkeit an Tugend und Klugheit zu danken habe. Emilia, ich bin glücklich; ich bin es vollkommen, denn ich kann die seligsten, die heiligsten Pflichten alle Tage meines Lebens erfüllen. Meine tugendhafte Zärtlichkeit macht das Glück meines Gemahls; meine kindliche Verehrung und Liebe wird von seiner würdigen Mutter als die Belohnung ihrer geübten Tugenden angesehen. Meine schwesterliche Freundschaft gießt Zufriedenheit in das große, aber sehr empfindliche Herz meines werten Lords Rich. Lord Seymour hat weitläuftige Güter; er ist reich, und hat mir eine unumschränkte Gewalt zum Wohltun gegeben. O mein Kind, es war gut, daß alle meine Empfindungen durch widrige Begebenheiten aufgeweckt und geprüft wurden; ich bin um so viel fähiger geworden, jeden Tropfen meines Maßes von Glückseligkeit zu schmecken. Sie wissen, daß ich Gott dankte, daß er in meinem Elende mir den Gebrauch meiner Talente zu Verminderung desselben gelassen hatte, und meinem Herzen die Freude nicht entzog wohltätig zu sein. Ich fühle nun mit aller Stärke die verdoppelten Pflichten des Glücklichen; nun muß meine Gelassenheit, Demut, und meine Unterwerfung zur Dankbegierde werden. Meine Kenntnisse, die die Stütze meiner leidenden Eigenliebe und die Hülfsmittel waren, durch welche ich hier und da einzelne Teile von Vergnügen erreichte, sollen dem Dienst der Menschenliebe geweihet sein, sie zum Glück derer, die um mich leben, und zu Ausspähung jedes kleinen, jedes verborgenen Jammers meiner Nebenmenschen zu verwenden, um bald große, bald kleine liebreiche Hülfe ausfindig zu machen. Kenntnisse des Geistes, Güte des Herzens – die Erfahrung hat mir bis an dem Rande meines Grabes bewiesen, daß ihr allein unsere wahre irdische Glückseligkeit ausmachet! An euch stützte meine Seele sich, als der Kummer sie der Verzweiflung zuführen wollte; ihr sollt die Pfeiler meines Glücks werden; auf euch will ich in der Ruhe des Wohlseins mich lehnen, und die ewige Güte bitten, mich fähig zu machen, an der Seite meines edelmütigen menschenfreundlichen Gemahls ein Beispiel wohlverwendeter Gewalt und Reichtümer zu werden! –

Sie sehen, meine Freundin, daß alle meine Bedenklichkeiten meinen Empfindungen weichen mußten. Ich sah das Vergnügen so vieler rechtschaffenen Herzen an das Glück des meinigen gebunden, daß ich meine Hand gerne zum Unterpfand meiner Liebe für ihre Zufriedenheit gab. Mylord will ein Schulhaus und ein Hospital nach der Einrichtung der Sternheimischen erbauen lassen; er betreibt den Plan, weil er den Bau während unsrer deutschen Reise führen lassen will. Künftige Woche gehen wir nach Summerhall; dort wollen wir die Briefe meines Oncles von R— erwarten, und dann (sagen Seymour und Rich) wollen sie jede heilige Stätte besuchen, wo mich mein Kummer herumgeführet habe. Sie werden also meine Emilia sehen, und überzeugt werden, daß die erste und stärkste Neigung meines Herzens der würdigsten Person meines Geschlechts gewidmet war. Morgen kommen Mylord Crafton und Sir Thomas Watson, meiner Großmutter Bruders Sohn, zu uns; ich werde aber meine übrigen Verwandten, London und den großen Kreis meiner Nachbarn erst nach unserer Zurückkunft aus Deutschland sehen.


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