Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Rosina an ihre Schwester Emilia

O meine Schwester, wie soll ich Dir den entsetzlichen Jammer beschreiben, der über unser geliebtes Fräulein gekommen ist! – Lord Derby! Gott wird ihn strafen, und muß ihn strafen! Der abscheuliche Mann! er hat sie verlassen, und ist allein nach England gereist. Seine Heurat war falsch; ein gottloser Bedienter, wie sein Herr, in einen Geistlichen verkleidet, verrichtete die Trauung. Ach, meine Hände zittern es zu schreiben; der schändliche Bösewicht kam selbst mit dem Abschiedsbriefe, damit uns sein Gesicht keinen Zweifel an unserm Unglück übriglassen sollte. Der Lord sagt: die Dame hätte ihn nicht geliebt, sondern nur immer Mylord Seymourn im Herzen gehabt; dieses hätte seine Liebe ausgelöscht, sonst wäre er unverändert geblieben. Der ruchlose Mensch! Ewiger Gott! Ich, ich habe auch zu der Heurat geholfen! Wär ich nur zum Lord Seymour gegangen! wir waren beide verblendet – ich darf unsere Dame nicht ansehen; das Herz bricht mir; sie ißt nichts; sie ist den ganzen Tag auf den Knien vor einem Stuhl, da hat sie ihren Kopf liegen; unbeweglich, außer, daß sie manchmal ihre Arme gen Himmel streckt, und mit einer sterbenden Stimme ruft: »Ach Gott, ach mein Gott!«

Sie weint wenig, und nur seit heute; die ersten zween Tage fürchtete ich, wir würden beide den Verstand verlieren, und es ist ein Wunder von Gott, daß es nicht geschehen ist.

Zwo Wochen hörten wir nichts vom Lord; sein Kerl reiste weg, und fünf Tage darnach kam der Brief, der uns so unglücklich machte. Der verfluchte Bösewicht gab ihn ihr selbst. Blaß und starr wurde sie; endlich, ohne ein Wort zu sagen, zerriß sie mit der größten Heftigkeit seinen Brief, und noch ein Papier, warf die Stücke zu Boden, deutete mit einer Hand darauf, und mit einem erbärmlichen Ausdruck von Schmerzen sagte sie dem Kerl: »Geh, geh«; zugleich aber fiel sie auf ihre Knie, faltete ihre Hände, und blieb über zwo Stunden stumm, und wie halb tot liegen. Was ich ausstund, kann ich Dir nicht sagen; Gott weiß es allein! Ich kniete neben sie hin, faßte sie in meine Arme, und bat sie so lange mit tausend Tränen, bis sie mir mit gebrochener matter Stimme und stotternd sagte: Derby verlasse sie – ihre Heurat wäre falsch, und sie hätte nichts mehr zu wünschen als den Tod. – Sie will sich nicht rächen; bei Dir, liebste Schwester, will sie sich verbergen. Übermorgen reisen wir ab; ach Gott sei uns gnädig auf unserer Reise! Du mußt sie aufnehmen; Dein Mann wird es auch tun, und ihr raten. Wir nehmen nichts mit, was vom Lord da ist; seinen Wechselbrief von sechshundert Karolinen hat sie zerrissen. All ihr Geld beläuft sich auf dreihundert; davon gibt sie den zwoen Mädchen noch funfzig, und den andern Armen noch funfzig. Ihr Schmuck und ein Coffre mit Kleidern ist alles, was wir mitbringen. Du wirst uns nicht mehr kennen, so elend sehen wir aus. Sie spricht mit niemand mehr, der Bruder von den zwoen Mädchen führt uns den halben Weg zu Dir. Wir suchen Trost bei Dir, liebe Schwester! Sie möchte Dir selbst schreiben, und kann kaum die lieben wohltätigen Hände bewegen. Ich darf nicht nachdenken, wie gut sie gegen alle Menschen war, und nun muß sie so unglücklich sein! Aber Gott muß und wird sich ihrer annehmen.


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