Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Fräulein von Sternheim an Emilien

Ihr Stilleschweigen, meine Freundin, dünket mich und Rosinen sehr lange und unbillig; aber ich werde mich der Unruhe, die Sie mir dadurch gemacht, nicht anders rächen, als Ihnen, wenn ich einmal eine lange Reise mache, auf halbem Wege zu schreiben; denn da ich weiß, wie Sie mich lieben, so könnte ich den Gedanken nicht ertragen, Ihrem zärtlichen Herzen den Kummer für mich zugeben, den das meinige in dieser Gelegenheit für Sie gelitten. Aber Ihre glückliche Ankunft in W. und Ihr Vergnügen über Ihre Aussicht in die Zukunft hat mich dafür belohnt. Auch ohne dies, wie sehr, meine Emilia, bin ich erfreut, daß mir mein Schicksal zu gleicher Zeit einen vergnügenden Gegenstand zu etlichen Briefen an Sie gegeben hat! Denn hätte ich fortfahren müssen, über verdrießliche Begegnisse zu klagen, so wäre Ihre Zufriedenheit durch mich gestört worden, da Ihr liebreiches Herz einen so lebhaften Anteil an allem nimmt, was mich und die seltene Empfindsamkeit meiner Seele betrifft. Ich habe in dieser für mich so dürren moralischen Gegend, die ich seit drei Monaten durchwandre, zwei angenehme Quellen und ein Stück urbares Erdreich angetroffen, wobei ich mich eine Zeitlang aufhalten werde, um bei dem ersten meinen Geist und mein Herz zu erfrischen, und für die Anpflanzung und Kultur guter Früchte bei dem letztern zu sorgen. Doch ich will ohne Gleichnis reden. Sie wissen, daß die Erziehung die ich genossen, meine Empfindungen und Vorstellungen von Vergnügen, mehr auf das Einfache und Nützliche lenkte als auf das Künstliche und nur allein Belustigende. Ich sah die Zärtlichkeit meiner Mama niemals in Bewegung als bei Erzählung einer edeln großmütigen Handlung, oder einer, so von der Ausübung der Pflichten und der Menschenliebe und andern Tugenden gemacht wurde. Niemals drückte sie mich mit mehr Liebe an ihr Herz, als wenn ich etwas sagte, oder etwas für einen Freund des Hauses, für einen Bedienten oder Untertanen unternahm, so die Kennzeichen der Wohltätigkeit und Freude über anderer Vergnügen an sich hatte; und ich habe sehr wohl bemerkt, daß, wenn mir, wie tausend andern Kindern, ungefähr eine feine und schickliche Anmerkung oder ein Gedanke beigefallen, worüber oft die ganze Gesellschaft in Bewunderung und Lob ausgebrochen , sie nur einen Augenblick gelächelt, und sofort die Achtung, welche mir ihre Freunde zeigen wollten, auf die Seite des tätigen Lebens zu lenken gesucht, indem sie entweder etwas von meinem Fleiß in Erlernung einer Sprache, des Zeichnens, der Musik oder anderer Kenntnisse lobte, oder von einer erbetenen Belohnung oder Wohltat für jemand redte, und mir also dadurch zu erkennen gab, daß gute Handlungen viel ruhmwürdiger sein als die feinsten Gedanken. Wie einnehmend bewies mein Papa mir diesen Grundsatz, da er mich in dem Naturreiche auf die Betrachtung führte, daß die Gattungen der Blumen, welche nur zu Ergötzung des Auges dienten, viel weniger zahlreich und ihre Fruchtbarkeit weit schwächer wäreMan kann schwerlich sagen, daß es Gattungen von Blumen oder Pflanzen gebe, welche ›nur zu Ergötzung des Auges dienten‹; und, soviel mir bekannt ist, kennt man keine einzige Gattung, welche nicht entweder einen ökonomischen oder offizinalischen Nutzen für den Menschen hätte, oder zum Unterhalt einiger Tiere, Vögel, Insekten und Gewürme diente, folglich in Absicht des ganzen Systems unsers Planeten würklich einen Nutzen hätte.    A. d. H. , als der nützlichen Pflanzen, die zur Nahrung der Menschen und Tiere dienen; und waren nicht alle Tage seines Lebens, mit der Ausübung dieses Satzes bezeichnet? Wie nützlich suchte er seinen Geist und seine Erfahrungen seinen Freunden zu machen? Was tat er für seine Untergebenen und für seine Untertanen? Nun, meine Emilie! mit diesen Grundsätzen, mit diesen Neigungen kam ich in die große Welt, worin der meiste Teil nur für Aug und Ohr lebt, wo dem vortrefflichen Geist nicht erlaubt ist, sich anders als in einem vorübergehenden witzigen Einfalle zu zeigen; und Sie sehen, mit wie vielem Fleiße meine Eltern die Anlage zu diesem Talent in mir zu zerstören suchten.

Ganz ist es nicht von mir gewichen; doch bemerkte ich seine Gegenwart niemals mehr als in einem Anfalle von Mißvergnügen oder Verachtung über jemands Ideen oder Handlungen. Urteilen Sie selbst darüber! Letzthin wurde ich durch meine Liebe für Deutschland in ein Gespräch verflochten, worin ich die Verdienste meines Vaterlandes zu verteidigen suchte; ich tat es mit Eifer; meine Tante sagte mir nachher, ich hätte einen schönen Beweis gegeben, daß ich die Enkelin eines Professors sei. – Dieser Vorwurf ärgerte mich. Die Asche meines Vaters und Großvaters war beleidigt, und meine Eigenliebe auch. Diese antwortete für alle dreie. »Es wäre mir lieber durch meine Gesinnungen den Beweis zu geben, daß ich von edeldenkenden Seelen abstamme, als wenn ein schöner Name allein die Erinnerung gäbe, daß ich aus einem ehemals edeln Blute entsprossen sei.« Dieses verursachte eine Kälte von einigen Tagen unter uns beiden; doch unvermerkt erwärmten wir uns wieder. Meine Tante, denke ich, weil sie nach dem altadelichen Stolz fühlte, wie empfindlich es sein müsse, wenn einem der Mangel an Ahnen vorgeworfen würde, und ich, weil ich meine rächende Antwort mißbilligte, die mich just auf eben die niedre Stufe setzte, auf welcher mir meine Tante den unedeln Vorwurf gemacht hatte. Doch es ist Zeit, Sie zu einer von den zwoen Quellen zu führen, wovon ich Ihnen nach meiner Liebe zur Bildersprache geredet habe.

Die erste hat sich in Privatbesuchen gezeiget, welche meine Tante empfängt, und ablegt, worin ich eine Menge abwechselnder Betrachtungen über die unendliche Verschiedenheit der Charakter und Geister machen kann, die sich in Beurteilungen, Erzählungen, Wünschen und Klagen abdrücken. Aber was für ein Zirkel von Kleinigkeiten damit durchloffen wird; mit was für Hastigkeit die Leute bemüht sind, einen Tag ihres Lebens auf die Seite zu räumen; wie oft der Hofton, der Modegeist, die edelsten Bewegungen eines von Natur vortrefflichen Herzens unterdrückt, und um das Auszischen der Modeherren und Modedamen zu vermeiden, mit ihnen lachen und beistimmen heißt: dies erfüllt mich mit Verachtung und Mitleiden. Der Durst nach Ergötzlichkeiten, nach neuem Putz, nach Bewunderung eines Kleides, eines Meubles, einer neuen schädlichen Speise – o meine Emilia! Wie bange, wie übel wird meiner Seele dabei zumute, weil ich gewöhnt bin, allen Sachen ihren eigentlichen Wert zu geben! Ich will von dem falschen Ehrgeiz nicht reden, der so viele niedrige Intrigen anspinnt, vor dem im Glücke sitzenden Laster kriecht, Tugend und Verdienste mit Verachtung ansieht, ohne Empfindung Elende macht – wie glücklich sind Sie, meine Freundin! Ihre Geburt, Ihre Umstände haben Sie nicht von dem Ziel unserer moralischen Bestimmung entfernt; Sie können ohne Scheu, ohne Hindernis alle Tugenden, alle edeln und nützlichen Talente üben; in den Tagen Ihrer Gesundheit, in den Jahren Ihrer Kräfte alles Gute tun, was die meisten in der großen Welt in ihren letzten Stunden wünschen getan zu haben!

Indessen genießen dennoch Religion und Tugend ganz schätzbare Ehrenbezeugungen. Die Hofkirchen sind prächtig geziert, die besten Redner sind zu Predigern darin angestellt, die Gottesdienste werden ordentlich und ehrerbietig besucht; der Wohlstand im Reden, im Bezeugen wird genau und ängstlich beobachtet; kein Laster darf ohne Maske erscheinen; Ja selbst die Tugend der Nächstenliebe erhält eine Art von Verehrung, in den ausgesuchten und feinen Schmeicheleien, die immer eines der Eigenliebe des andern macht. Alles dieses ist eine Quelle zu moralischen Betrachtungen für mich worden, aus welcher ich den Nutzen schöpfe, in den Grundsätzen meiner Erziehung immer mehr und mehr bestärkt zu werden. Oft beschäftiget sich meine Phantasie mit dem Entwurf einer Vereinigung der Pflichten einer Hofdame, zu denen sie von ihrem Schicksal angewiesen worden, mit den Pflichten der vollkommenen Tugend, welche zu dem Grundbau unserer ewigen Glückseligkeit erfodert wird. Es läßt sich eine Verbindung denken; allein es ist so schwer sie immer in einer gleichen Stärke zu erhalten, daß mich nicht wundert, so wenig Personen zu sehen, die darum bekümmert sind. – Wie oft denke ich: wenn ein Mann, wie mein Vater war, den Platz des ersten Ministers hätte, dieser Mann wäre der verehrungswürdigste und glücklichste der Menschen.

Es ist wahr, viele Mühseligkeit würde seine Tage begleiten; doch die Betrachtung des großen Kreises, in welchem er seine Talente und sein Herz zum Besten vieler tausend Lebenden und Nachkommenden verwenden könnte; diese Aussicht, die schönste für eine wahrhaft erhabne und gütige Seele, müßte ihm alles leicht und angenehm machen. Die Kenntnis des menschlichen Herzens würde seinem feinen Geiste den Weg weisen, das Vertrauen des Fürsten zu gewinnen; seine Rechtschaffenheit, tiefe Einsicht und Stärke der Seele fänden dadurch ihre natürliche Obermacht unterstützt, so daß die übrigen Hof- und Dienstleute sich für den Zügel und das Leitband des weisen und tugendhaften Ministers ebenso lenksam zeigen würden, als man sie täglich bei den Unvollkommenheiten des Kopfs und den Fehlern des Herzens derjenigen sieht, von welchen sie Glück und Beförderung erwarten. So, meine Emilia, beschäftigt sich meine Seele oft, seitdem ich von den Umständen, dem Charakter und den Pflichten dieser oder jener Person unterrichtet bin. Meine Phantasie stellt mich nach der Reihe an den Platz derer, die ich beurteile; dann messe ich die allgemeinen moralischen Pflichten, die unser Schöpfer jedem Menschen, wer er auch sei, durch ewige unveränderliche Gesetze auferlegt hat, nach dem Vermögen und der Einsicht ab, so diese Person hat, sie in Ausübung zu bringen. Auf diese Weise, war ich schon Fürst, Fürstin, Minister, Hofdame, Favorit, Mutter von diesen Kindern, Gemahlin jenes Mannes, ja sogar auch einmal in dem Platz einer regierenden und alles führenden Mätresse; und überall fand ich Gelegenheit auf mannichfaltige Weise Güte und Klugheit auszuüben, ohne daß die Charakter oder die politische Umstände in eine unangenehme Einförmigkeit gefallen wären. Bei vielen habe ich Ideen und die Handlungen angetroffen, deren Richtigkeit, Güte und Schöneit ich so leicht nicht hätte erreichen, noch weniger verbessern können; aber auch bei vielen war ich mit meinem Kopf und Herzen besser zufrieden als mit dem ihrigen. Natürlicherweise führte mich die Billigkeit nach diesen phantastischen Reisen meiner Eigenliebe auf mich selbst, und die Pflichten zurück, die mir auszurichten angewiesen sind. Sie verband mich so genau und streng in Berechnung meiner Talente und Kräfte für meinen Würkungs-Kreis zu sein, als ich es gegen andre war; und dadurch, meine Emilia, habe ich eine Quelle entdeckt, meine Aufmerksamkeit auf mich selbst zu verstärken, Kenntnisse, Empfindung und Überzeugung des Guten tiefer in mein Herz zu mehr zu versichern, wie sehr ein großer Beobachter der menschlichen Handlungen recht hatte, zu behaupten: daß sehr wenige Personen sein, welche das ganze Maß ihrer moralischen und physikalischen Kräfte nützten. Denn in Wahrheit, ich habe viele leere Stellen in dem Zirkel meines Lebens gefunden, zum Teil auch solche, die mit verwerflichen Sachen und nichts werten Kleinigkeiten ausgefüllt waren. Das soll nun weggeräumet werden, und weil ich nicht unter der glücklichen Klasse von Leuten bin, die gleich von Haus aus ganz klug, ganz gut sind; so will ich doch unter die gehören, die durch Wahrnehmungen des Schadens der andern weise und rechtschaffen werden; um ja nicht unter die zu geraten, welche nur durch Erfahrung und eignes Elend besser werden können.


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