Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Ich wünsche, daß meine Tante immer kleine Reisen machte, ich würde sie mit viel mehr Vergnügen begleiten, als ich es unter dem immerwährenden Kreislauf unserer Hof- und Stadtvisiten tun kann. Mein Oncle hat eine Halbschwester in dem Damenstift zu G., die er wegen einem reichen Erbe, so ihr zugefallen ist, zum Besten seiner Kinder zu gewinnen sucht. Und aus dieser Ursache mußte meine Tante mit ihren beiden Söhnen die Reise zu ihr machen. Sie nahm mich mit, und verschaffte mir dadurch einen Teil des Vergnügens, für welches ich am empfindlichsten bin, abwechselnde Szenen der Natur und Kunst, in ihren mannichfaltigen Abänderungen, zu betrachten. Wäre es auch nichts als der Anblick der auf- und niedergehenden Sonne gewesen, so würde ich diese Ausflucht von D. geliebt haben; aber ich sah mehr. Der Weg, den wir zurückzulegen hatten, zeigte mir ein großes Stück unsers deutschen Bodens, und darin manchmal ein rauhes stiefmütterliches Land, welches von seinen leidenden geduldigen Einwohnern mit abgezehrten Händen angebaut wurde.

Zärtliches Mitleiden, Wünsche und Segen erfüllten mein Herz, als ich ihren sauren Fleiß und die traurigen, doch gelaßnen Blicke sah, mit welchen sie den Zug unsrer zwoen Chaisen betrachteten. Die Ehrerbietung, mit der sie uns als Günstlinge der Vorsicht grüßten, hatte etwas sehr Rührendes für mich; und ich suchte durch Gegenzeichen meiner menschlichen Verbrüderung mit ihnen, und auch durch einige Stücke Gelds, die ich den Nächsten an unserm Wege ungebeten zuwarf, ihnen einen guten Augenblick zu schaffen. Besonders gab ich armen Weibern, die bei ihrer Arbeit hie und da ein Kind auf dem Felde sitzen hatten. Ich dachte, meine Tante macht eine Reise zum verhofften Vorteil ihrer Söhne, und diese Frau verrichtet zum Besten der ihrigen eine kümmerliche Arbeit; ich will dieser Mutter auch eine unerwartete Güte genießen lassen.

Der reitende Bediente erzählte uns dann die Freude der armen Leute, und den Dank, den sie uns nachriefen.

Reiche Felder, fette Triften und große Scheuren der Bauren in andern Gegenden bewiesen mir das Glück ihrer günstigen Lage, und ich wünschte ihnen einen guten Gebrauch ihres Segens. Meine Empfindungen waren angenehm, wie sie es allezeit beim ersten Anblick der Kennzeichen des Glücks zu sein pflegen; bis nach und nach aus ihrer Betrachtung der Gedanke der Vergleichung unserer minder guten Umständen entspringt, und der bittern Unzufriedenheit einen Zugang in die Seele gibt.

Wir kehrten unterwegs auf dem Schlosse des Grafen von W. ein, dessen Beschreibung ich unmöglich vorbeigehen kann. Es ist an der Spitze eines Bergs erbaut, und hat auf vierzehn Stunden weit die schönste Gegend eines mit Feldern, Wiesen und zerstreuten Bauerhöfen gezierten Tales vor sich liegen, welches ein fischreicher Bach durchfließt, und waldichte Anhöhen umfassen. Auf dem Berge sind weitläuftige Gärten und Spaziergänge nach dem edeln Geschmack des vorigen Besitzers angelegt, in welchem ich seinen Lieblingsgrundsatz, »das Angenehme immer mit dem Nützlichen zu verbinden«, sehr schön ausgeführt sah.

Dieses und die vollkommene Edelmanns-Landwirtschaft, die auserlesene Bibliothek, die Sammlung physikalischer Instrumenten, die edle, von Üppigkeit und Kargheit gleichweit entfernte Einrichtung des Hauses, die Stiftung eines Arztes für die ganze Herrschaft, der lebenslängige Unterhalt, dessen sich alle Hausbedienten zu erfreuen haben, die Wahl geschickter und rechtschaffener Männer auf den Beamtungen, und eine Menge kluger Verordnungen zum Besten der Untertanen, etc., alles sind lebende Denkmale des Geschmacks, der Einsichten, und der edeln Denkungsart des vormaligen Besitzers, der, nachdem er mit größtem Ruhm viele Jahre die erste Stelle an einem großen Hofe bekleidet hatte, seine letzten Tage auf diesem angenehmen Landsitz verlebte. Seine Güte und Leutseligkeit scheint seinen Erben, mit den Gütern, eigen geworden zu sein, daher sich immer die beste Gesellschaft der umliegenden Einwohner bei ihnen versammelt. Die sechs Tage über, welche wir da zubrachten, kam ich durch das Spielen auf eine Idee, die ich gern von Herrn Br. untersucht haben möchte. Es waren viele Fremde gekommen, zu deren Unterhaltung man notwendigerweise Spieltische machen mußte. Denn unter zwanzig Personen waren gewiß die meisten von sehr verschiedenem Geist und Sinnesart, welches sich bei der Mittagstafel und dem Spaziergang am stärksten äußerte, wo jeder nach seinen herrschenden Begriffen und Neigungen von allen vorkommenden Gegenständen redete, und wo öfters teils die feinern Empfindungen der Tugend, teils die Pflichten der Menschenfreundlichkeit beleidigt worden waren. Bei dem Spielen aber hatten alle nur einen Geist, indem sie sich denen dabei eingeführten Gesetzen ohne den geringsten Widerspruch unterwarfen; keines wurde unmutig, wenn man ihm sagte, daß hier und da wider die Regeln gefehlt worden sei; man gestund es, und besserte sich sogleich nach dem Rat eines Kunsterfahrnen.

Ich bewunderte und liebte die Erfindung des Spielens, da ich sie als ein Zauberband ansah, durch welches in einer Zeit von wenigen Minuten Leute von allerlei Nationen, ohne daß sie sich sprechen können, und von Personen von ganz entgegengesetzten Charaktern viele Stunden lang sehr gesellig verknüpft werden; da es ohne dieses Hülfsmittel beinahe unmöglich wäre, eine allgemeine gefällige Unterhaltung vorzuschlagen. Aber ich konnte mich nicht enthalten, der Betrachtung nachzuhängen: woher es komme, daß eine Person vielerlei Gattungen von Spielen lernt, und sehr sorgfältig allen Fehlern wider die Gesetze davon auszuweichen sucht, so daß alles, was in dem Zimmer vorgeht, diese Person zu keiner Vergessenheit oder Übertretung der Spielgesetze bringen kann; und eine Viertelstunde vorher war nichts vermögend, sie bei verschiednen Anlässen von Scherzen und Reden abzuhalten, die alle Vorschriften der Tugend und des Wohlstandes beleidigten. Ein andrer, der als ein edler Spieler gerühmt wurde, und in der Tat ohne Gewinnsucht mit einer gleichgelassenen und freundlichen Miene spielte, hatte einige Zeit vorher, bei der Frage von Herrschaft und Untertan, von den letztern als Hunden gesprochen, und einem jungen, die Regierung seiner Güter antretenden Kavalier die heftigste und liebloseste Maßregeln angeraten, um die Bauren in Furcht und Unterwürfigkeit zu erhalten, und die Abgaben alle Jahre richtig einzutreiben, damit man in seinem standesgemäßen Aufwand nicht gestört würde. –

Warum? sagte mein Herz, warum kostet es die Leute weniger, sich den willkürlichen Gesetzen eines Menschen zu unterwerfen, als den einfachen, wohltätigen Vorschriften, die der ewige Gesetzgeber zum Besten unsrer Nebenmenschen angeordnet hat? Warum darf man niemand erinnern, daß er wider diese Gesetze fehle? Meiner Tante hätte ich diesen zufälligen Gedanken nicht sagen wollen; denn sie macht mir ohnehin immer Vorwürfe über meine strenge und zu scharf gespannte moralische Ideen, die mich, wie sie sagt, alle Freuden des Lebens mißtönend finden ließen. Ich weiß nicht, warum man mich immer hierüber anklagt. Ich kann munter sein; ich liebe Gesellschaft, Musik, Tanz und Scherz. Aber die Menschenliebe und den Wohlstand kann ich nicht beleidigen sehen, ohne mein Mißvergnügen darüber zu zeigen; und dann ist es mir auch unmöglich, an geist- und empfindungslosen Gesprächen einen angenehmen Unterhalt zu finden, oder von nichtswürdigen Kleinigkeiten tagelang reden zu hören.

O fände ich nur in jeder großen Gesellschaft oder unter den Freunden unsers Hauses in D. eine Person wie die Stiftsdame zu **, man würde den Ton meines Kopfs und Herzens nicht mehr mürrisch gestimmt finden! Diese edelmütige Dame lernte mich zu G. kennen, ihre erste Bewegung für mich war Achtung, mich als eine Fremde etwas mehr als gezwungene Höflichkeit genießen zu lassen. Ich hatte das Glück ihr zu gefallen, und erhielt dadurch den Vorteil den liebenswürdigen Charakter ihres Geistes und Herzens ganz kennenzulernen. Niemals habe ich die Fähigkeiten des einen und die Empfindungen des andern in einem so gleichen Maß fein, edel und stark gefunden als in dieser Dame. Ihr Geist und die angenehme Laune, die ihren Witz charakterisiert, machen sie zu der angenehmsten Gesellschafterin, die ich jemals gesehen habe; [und beinahe möchte ich glauben, daß einer unsrer Dichter an sie gedacht habe, da er von einer liebenswürdigen Griechin sagte:

»Es hätt' ihr Witz auch Wangen ohne Rosen
Beliebt gemacht, ein Witz, dem's nie an Reiz gebrach,
Zu stechen oder liebzukosen
Gleich aufgelegt, doch lächelnd, wenn er stach,
Und ohne Gift – –«]Um die vortreffliche Schreiberin für nichts responsabel zu machen, was nicht würklich von ihr kömmt, gesteht der Herausgeber, daß die in [ ] eingeschlossenen Zeilen von ihm selbst eingeschoben worden, da er das Glück hat, die Dame, deren getreues Bildnis hier entworfen wird, persönlich zu kennen.

Sie besitzt die seltene Gabe, für alles, was sie sagt und schreibt, Ausdrücke zu finden, ohne daß sie das geringste Gesuchte an sich haben; alle ihre Gedanken sind wie ein schönes Bild, welches die Grazien in ein leichtes natürlich fließendes Gewand eingehüllt haben. Ernsthaft, munter oder freundschaftlich, in jedem Licht nimmt die Richtigkeit ihrer Denkensart und die natürliche ungeschmückte Schönheit ihrer Seele ein; und ein Herz voll Gefühl und Empfindung für alles, was gut und schön ist, ein Herz, das gemacht ist durch die Freundschaft glücklich zu sein, und glücklich zu machen, vollendet die Liebenswürdigkeit ihres Charakters.

Nur um dieser Dame willen habe ich mir zum erstenmal alte Ahnen gewünscht, damit ich Ansprüche auf einen Platz in ihrem Stifte machen, und alle Tage meines Lebens mit ihr hinbringen könnte. Die Beschwerlichkeiten der Präbende würden mir an ihrer Seite sehr leichte werden.

Urteilen Sie selbst, ob es mir empfindlich war, diese liebenswürdige Gräfin wieder verlassen zu müssen; wiewohl sie die Gütigkeit hat, mich durch ihren Briefwechsel für den Verlust ihres reizenden Umgangs zu entschädigen. Sie sollen Briefe von ihr sehen, und dann sagen, ob ich zu viel von den Reizungen ihres Geistes gesagt habe.

Die Bescheidenheit, welche einen besondern Zug des Charakters ihrer Freundin, der Gräfin von G., ausmacht, soll mich, da sie diesen Brief nicht zu sehen bekommen kann, nicht verhindern, Ihnen zu sagen, daß diese vortreffliche Dame nächst jener den meisten Anteil an dem Wunsch hatte, mein Leben, wenn es möglich gewesen wäre, in dieser glücklichen Entfernung von der Welt hinzubringen. Stilles Verdienst, das nur desto mehr einnimmt, weil es nicht glänzen will, ein feiner, durch Belesenheit und Kenntnisse ausgeschmückter Geist, verbunden mit ungefärbter Aufrichtigkeit und Güte des Herzens, macht diese Dame der Hochachtung und der Freundschaft jeder edlen Seele wert. Selbst der dichte Schleier, den ihre beinahe allzu große, wiewohl unaffektierte Bescheidenheit über ihre Vorzüge wirft, erhöht in meinen Augen den Wert derselben. Selten legt sie diesen anderswo als in dem Zimmer der Gräfin S. von sich; deren Beifall ihr eine Art von Gleichgültigkeit gegen alles andere Lob zu geben scheint; so wie sie auch der seltenen Geschicklichkeit, womit sie das Klavier spielt, und welche genug wäre, hundert andere stolz zu machen, nur darum, weil sie ihrer Freundin dadurch Vergnügen machen kann, einigen Wert beizulegen scheint. Ich kann nicht vergessen unter den übrigen würdigen Damen dieses Stifts, der Gräfin T. W., welche alle ihre Tage mit übenden Tugenden bezeichnet, und einen Teil ihrer besondern Geschicklichkeiten zum Unterricht armer Mädchen in allerlei künstlichen Arbeiten verwendet – und besonders der Fürstin, welche die Vorsteherin des Stifts ist, mit der zärtlichen Ehrerbietung zu erwähnen, welche sie durch die vollkommenste Leutseligkeit, eine sich selbst immer gleiche Heiterkeit der Seele, und die Würde voll Anmut, womit sich diese Eigenschaften in ihrer ganzen Person ausdrücken, allen die sich ihr nähern, einflößt. Wenn ich etwas beneiden könnte, so würde es das Glück sein, unter der Leitung der erfahrnen Tugend und Klugheit einer so würdigen mütterlichen Vorsteherin meine Tage hinzubringen.

Ich begnüge mich, Ihnen, was den Hauptpunkt meiner Tante bei dieser Reise betrifft, zu melden, daß er vollkommen erreicht wurde; wir sind nun wieder in D., und der Menge von Besuchen, welche wir zu geben und anzunehmen hatten, messen Sie die Schuld bei, daß Sie so lange ohne Nachricht von mir geblieben sind.


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