Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Madam Leidens an Emilien

Meine liebenswürdige Witwe, Frau von C., hat eine schöne Seele voll zärtlicher Empfindungen. Sie bemerkte letztlich das kurz abgebrochene Ende meiner Vorstellungen sehr genau, und kam etliche Tage nachher zu mir, um mit freundlicher Sorgsamkeit nach der Ursache davon zu fragen. Ich hatte die stutzige Art meines schnellen Stillschweigens selbst empfunden, aber da meine Beweggründe so stark in mir arbeiteten, und ich ihren Empfindungen nicht zu nahe treten wollte, so sah ich keinen andern Weg, als abzubrechen, und nach Hause zu gehen, wo ich den Unmut recht deutlich fühlte, den ich bloß deswegen über sie hatte, weil sie den Aussichten von Wohltätigkeit nicht so eifrig zueilte, als ich an ihrer Stelle würde getan haben. Es freut mich auch, daß der Mann meiner Emilie den warmen Ton meiner Fürsprache zum Besten der Liebe allein in meiner Neigung zum Wohltun suchte, ob er mich schon einer Schwärmerei in dieser Tugend beschuldigt.

(Oh! möchte doch dieses Übermaß einer guten Leidenschaft der einzige Fehler meiner künftigen Jahre sein!) –

Ich antwortete der lieben Frau von C. ganz aufrichtig:

daß es mich sehr befremdet hätte: eine Seele voller Empfindlichkeit so frostige Blicke in das Gebiete der Wohltätigkeit werfen zu sehen – Sie antwortete:

»Ich erkenne ganz wohl: daß Ihr tätiger Geist mißvergnügt über meine Unentschlossenheit werden mußte; Sie wußten nicht, daß die Idee des Wohltuns meine erste Wahl bestimmte; aber ich habe so sehr erfahren, daß man andere glücklich machen kann, ohne es selbst zu werden; daß ich nicht Herz genug habe, mich noch einmal auf diesen ungewissen Boden zu wagen, wo die Blumen des Vergnügens so bald unter dem Nebel der Sorgen verblühen. –«

Der äußerste Grad der Rührung war in allen Zügen der reizenden Bildung dieser sanften Blondine ausgedrückt; ihr Ton stimmte mit ein, und rief in mir die Erinnerung des jähen Verderbens zurück, welches meine kaum ausgesäete Hoffnung betroffen hatte. Meine eignen Leiden haben die Empfindung der Menschlichkeit in mir erhöhet, und ich fühlte nun ihre Sorgen so stark, als ich die Vorstellung der Glückseligkeit der andern empfunden hatte.

»Vergeben Sie mir, liebe Madam C—! (sagte ich) ich erkenne: daß ich gegen Sie die beinahe allgemeine Unbilligkeit ausübte, zu fodern: daß Sie in alle Gründe meiner Denkensart eingeben sollten; und ich foderte es um so viel eifriger, als ich von der innerlichen Güte meiner Bewegursachen überzeugt war. Warum hab ich mich nicht früher an Ihren Platz gestellet; die Seite, welche Sie von meinen Vorschlägen sehen, hat in Wahrheit viel Abschreckendes, und ich werde, ohne Ihnen unrecht zu geben, nichts mehr von allem diesem reden.«

»Es freut mich, daß Sie mit mir zufrieden scheinen; aber Sie haben mir viele Unruhe und Mißvergnügen über mich selbst gegeben.«

Ich fragte sie eilig, wie, und worin?

»Durch die Vorstellung aller dieser Gelegenheiten glückliche Personen zu machen. Mein Widerwille und Ausweichen schmerzt mich; ich möchte es in irgend etwas anders ersetzen. Können Sie mir nichts bei Ihrem Gesindhause zu tun geben?«

Sie bekam ein freimütiges Nein zur Antwort. »Aber«, sagte ich lächelnd, da ich sie bei der Hand nahm: »Ich möchte mir bald das Gefühl Ihrer Reue, und die Begierde des Ersatzes zunutze machen, und Sie verbinden: daß, da Sie durch Ihr eigen Herz keinen Mann mehr glücklich machen wollen, Sie die liebreiche Mühe nähmen, durch Ihren Umgang und gefälligen Unterricht den Töchtern Ihrer Verwandten und Freunde Ihre edle Denkensart mitzuteilen, und dadurch Ihrem Wohnorte liebenswürdige Frauenzimmer zu bilden, und für der Madam Hills gute Mädchen auf ihrer Seite gute Frauen zu ziehen.«

Dieser Vorschlag gefiel ihr; aber gleich wollte sie von mir einen Plan dazu haben.

»Das werde ich nicht tun, Madam C—, ich kann mich nicht von meinem Selbst so losmachen, daß der Plan zu Ihrer Absicht und ihrem Vergnügen zugleich paßte. Sie haben Klugheit, Erfahrung, Kenntnis der Gewohnheiten des Orts, und ein Herz voll Freundlichkeit. Diese vereinigte Stücke werden Ihnen alles anweisen, was zu diesem Plan das Beste sein kann.«

»Daran zweifle ich sehr; sagen Sie mir nur ein Buch, darin ich eine Ordnung für meinen Unterricht finden würde.«

»Nach der Ordnung eines Buchs zu verfahren, würde Sie und Ihre junge Freundinnen bald müde machen. Diese sind nach verschiedener Art erzogen; die Umstände der meisten Eltern leiden keine methodische Erziehung, und funfzehnjährige Mädchen, wie die Gespielinnen Ihrer Tochter, gewöhnen sich nicht gerne mehr daran. Sie sollen auch keine Schule halten; nur einen zufälligen abwechselnden Unterricht in dem Umgange mit dem jungen Frauenzimmer ausstreuen. Zum Beispiel: es klagte eine über den Schnee, der während der Zeit fiel, da sie bei Ihnen zum Besuch wäre, und sie wegen ihres Zurückgehens ungeduldig über die Beschwerde machte; – so würden Sie fragen: ob sie nicht wissen möchte, woher der Schnee kömmt? – es kurz und deutlich erzählen, die Nutzbarkeit davon nach der weisen Absicht des Schöpfers anführen, sanft von der Unbilligkeit ihrer Klagen reden, und ihr mit einem muntern liebreichen Ton in dem heut unangenehmen Schnee nach etlichen Tagen das Vergnügen einer Schlittenfahrt zeigen. Dieses wird Ihre jungen Zuhörerinnen auf die Unterredungen von schöner Winterkleidung, schöner Gattung Schlitten, usw. führen. Unterbrechen Sie selbige ja nicht durch irgendeine ernste oder mißvergnügte Miene; sondern zeigen Sie, daß Sie gerne ihre verschiedenen Gedanken anhörten. Sagen Sie etwas vom guten Geschmack in Putz, in Verzierungen, und wie Sie ein Fest anstellen und halten würden; lassen Sie Ihren Witz alles dieses mit der Farbe der heitersten Freude malen; gestehen Sie Ihren jungen Leuten das Recht ein, diese Freude zu genießen, und setzen Sie mit einem zärtlichen rührenden Ton dazu: daß Sie aber Sorge haben würden den Schauplatz dieser Ergötzlichkeit durch die Fackeln der Tugend, und des feinen Wohlstandes zu beleuchten.

Bei dieser ersten Probe können Sie die Herzen und Köpfe Ihrer Mädchen ausspähen; aber ich müßte mich sehr betrügen, wenn sie nicht gerne wiederkämen, Sie von etwas reden zu hören.«

»Das denke ich sicher; aber erlauben Sie mir einen Zweifel! – Sie führen das Mädchen zur physikalischen Kenntnis des Schnees, und zum moralischen Gedanken der Wohltätigkeit Gottes darüber; aber wird nicht die Schlittenfahrt das Andenken des erstern auslöschen, und also den Nutzen des ernsten Unterrichts verlieren machen?«

»Dies glaube ich nicht; denn wir vergessen nur die Sachen gerne, die mit keinem Vergnügen verbunden sind; und die lächelnde, zu der Schwachheit der Menschen sich herablassende Weisheit will daher, daß man die Pfade der Wahrheit mit Blumen bestreue. Die Tugend braucht nicht mit ernsten Farben geschildert zu werden, um Verehrung zu erhalten; ihr inneres Wesen, jede Handlung von ihr ist lauter Würde. Würde ist ein unzertrennbarer Teil von ihr, auch wenn sie in der Kleidung der Freude und des Glücks erscheint. In dieser Kleidung allein erhält sie Vertrauen und Ehrfurcht zugleich. Lassen Sie sie die Hand ja niemals zu strengem Drohen, sondern allein zu freundlichen Winken erheben! Denn, solange wir in dieser Körperwelt sind, wird unsere Seele allein durch unsere Sinnen handeln; wenn diese auf eine widerwärtige Weise und zu unrechter Zeit zurückgestoßen werden, so kommen aus dem Kontrast des Zwanges der Lehre, und der Stärke der durch die Natur in uns gelegten Liebe zum Vergnügen lauter schlimme Folgen für den Wachstum unsers moralischen Lebens hervor. Umsonst hat der Schöpfer die süßen Empfindungen der Freude nicht in uns gelegt; umsonst uns nicht die Fähigkeit gegeben, tausenderlei Arten des Vergnügens zu genießen. Mischen Sie nur eine fröhliche Tugend unter den Reihen der Ergötzlichkeiten, und sehen Sie, ob die junge Munterkeit noch von ihr fliehen, und in entlegenen Orten, mit Unmäßigkeit und wilder Lust vereinigt, sich über versagten Freuden schadlos halten wird. Gibt nicht die göttliche Sittenlehre selbst reizende Aussichten in ewige, himmlische Glückseligkeiten, wenn sie uns auf die Wege der Tugend und Weisheit leitet?«

Das schöne Auge der Madam C— war mit einem staunenden Vergnügen auf mich geheftet. Ich bat sie um Verzeihung so viel geredet zu haben; sie versicherte mich aber ihrer Zufriedenheit, und wollte wissen: warum ich nicht lieber gesucht hätte, als Hofmeisterin junger Frauenzimmer zu erscheinen, als eine Lehrerin von angehenden Dienstmädchen abzugeben?

Ich sagte ihr: weil ich in Vergleichung des Anteils von Glückseligkeit, so jedem Stande zugemessen wurde, den von der niedrigen Gattung so klein, und unvollständig gefunden, daß ich mich freute etwas dazuzusetzen. Die Großen und Mittlern haben mündlichen und schriftlichen Unterricht neben allen Vorteilen des Reichtums und Ansehens; und die geringe, so nützliche Klasse bekömmt kaum den Abfall des Überflusses von Kenntnissen und Wohlergehen.

»Sie reden von Kenntnissen; soll ich suchen meine junge Frauenzimmer gelehrt zu machen?«

»Gott bewahre Sie vor diesem Gedanken, der unter tausend Frauenzimmern des Privatstandes kaum bei einer mit ihren Umständen paßt! Nein, liebe Madame C—, halten Sie sie zur Übung jeder häuslichen Tugend an: aber lassen Sie sie daneben eine einfache Kenntnis von der Luft, die sie atmen, von der Erde, die sie betreten, der Pflanzen und Tiere, von welchen sie ernähret und gekleidet werden, erlangen; einen Auszug der Historie, damit sie nicht ganz fremde dasitzen und Langeweile haben, wenn Männer sich in ihrer Gegenwart davon unterhalten, und damit sie sehen, daß Tugend und Laster beständig einen Kreislauf durch das ganze menschliche Geschlecht gemacht haben; lassen Sie sie jedes Wort, so eine Wissenschaft bezeichnet, verstehen. Zum Ex., was Philosophie, was Mathematik sei – aber von der Bedeutung des Ausdrucks Edle Seele, von jeder wohltätigen Tugend geben Sie ihnen den vollkommensten Begriff, teils durch Beschreibung, teils und am meisten durch Beispiele von Personen, welche diese oder jene Tugend auf eine vorzügliche Art ausgeübt haben.«

»Soll ich sie auch Romane lesen lassen?«

»Ja, zumal da Sie es ohnehin nicht werden verhindern können. Aber suchen Sie, so viel Sie können, nur solche, worin die Personen nach edlen Grundsätzen handeln, und wo wahre Szenen des Lebens beschrieben sind. Wenn man das Romanenlesen verbieten wollte, so müßte man auch in Gesellschaft vermeiden, vor jungen Personen, bald einen kurzen, bald weitläufigen Auszug von einer Liebesgeschichte zu erzählen, die in der nämlichen Stadt oder Straße, wo man wohnt vorging; unsere Väter, Mütter und Brüder müßten nicht so viel von ihren artigen Begebenheiten und Beobachtungen auf Reisen usw. sprechen; sonst machte auch dieses Verbot und die Gegenübung wieder einen schädlichen Kontrast. Ein vortrefflicher Mann und Kenner des Menschen wünscht: daß man jungen Personen beiderlei Geschlechts zur Stillung der Neugierde die meisten großen Reisebeschreibungen gäbe, wo von der Naturhistorie und den Sitten des Landes viel vorkommt, weil dadurch viele nützliche Wissenschaft in ihnen ausgebreitet würde. – Moralische Gemälde von Tugenden aller Stände, besonders von unsrem Geschlechte, möchte ich gesammlet haben; und darin sind die Französinnen glücklicher als wir. Das weibliche Verdienst erhält unter ihnen öffentliche und dauernde Ehrenbezeugungen.«

»Vielleicht aber verdienen wir mehr als sie, weil wir uns auch ohne Belohnung um Verdienste bemühen.«

»Dies ist wahr, aber nur für die kleine Anzahl von Seelen, die sich über alle Schwierigkeiten erheben, die sie antreffen, und worüber andere durch nichts als Ermunterungen siegen. Ich möchte daher in jeder Standesklasse Beispiele aufstellen, die aus ihrem Mittel gezogen wären, damit man sagen könnte: ihre Geburt, ihre Umstände waren wie die eurige; der Eifer der Tugend, und die gute Verwendung ihres Verstandes haben sie verehrungswert gemacht. Ein vorzüglicher Platz in einer öffentlichen Versammlung, ein besonderes Stück Kleidung könnte den Wert der Belohnung erhalten, wie es die alten großen Kenner der menschlichen Herzen gemacht haben. Aber wir sind nicht mit dem Auftrag beladen, diese Einrichtung anzuordnen, sondern allein mit der Pflicht so viel Gutes zu tun, als wir können. Ich stehe würklich in dem Kreise armer und dienender Personen; also achte ich mich verbunden: diese durch Unterricht und Beispiel zu ihrem Maß von Tugend und Glück zu führen; wobei ich aber sehr vermeiden werde, ihnen Begriffe oder Gesinnungen einzuflößen, die meinen glänzenden und angesehenen Umständen gemäß waren, weil ich fürchten würde: daß aus der vermischten Denkensart vermischte Begierden und Wünsche mit allen ihren Fehlern entstehen möchten. Sie sind eine Witwe von erstem Range Ihres Orts. Ihre Leutseligkeit, Ihr vernünftiger angenehmer Umgang macht, daß Sie von allen Personen Ihres Standes gesucht werden. Sie haben eine Tochter zu erziehen. Sie würden also an allen Mädchen ihres Alters und Standes Edelmütigkeit ausüben, wenn diejenigen unter denselben mit bei den Lehrstunden Ihrer Tochter wären, deren Mütter durch Haussorgen oder kleinere Kinder verhindert sind: mit ihren Töchtern viel zu lesen, oder zu reden. Machen Sie sie denken, und handeln wie Frauenzimmer vom Privatstande es sollen, um in ihrer Klasse vortrefflich zu werden. Dieses wird das einzige Mittel sein, womit Sie den Schaden ersetzen können, welchen Sie durch den Vorsatz verursachen, unverheuratet zu bleiben.« Sie lächelte über dieses, und über meine Abbitte ihr eine Vorschrift gemacht zu haben, und gab mir alle Merkmale von Freundschaft und Zufriedenheit.


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