Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Fräulein von Sternheim an Emilien

Ich bin nun vier Tage hier, meine Freundin, und in Wahrheit nach allen meinen Empfindungen in einer ganz neuen Welt. Das Geräusch von Wagen und Leuten habe ich erwartet; doch plagte es mein an die ländliche Ruhe gewöhntes Ohr die ersten Tage über gar sehr. Was mir noch beschwerlicher fiel, war, daß meine Tante den Hoffriseur rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode zuzurichten. Sie hatte die Gütigkeit, selbst mit in mein Zimmer zu kommen, wo sie meine Haare losband, und ihm sagte: »Monsieur le Beau, dieser Kopf kann ihrer Kunst Ehre machen; wenden sie alles an; aber haben sie ja Sorge, daß diese schönen Haare durch kein heißes Eisen verletzt werden!«

Diese Schmeichelei meiner Tante nahm ich noch mit Vergnügen an; aber der Friseur ärgerte mich mit seinen Lobsprüchen. Es dünkte meinem Stolz, der Mensch hätte mich sorgfältig bedienen, und stillschweigend bewundern sollen. Aber der Schneider und die Putzmacherin waren noch unerträglicher. Fragen Sie meine Rosine über ihr albernes Geschwätz, und über die etwas boshafte Anmerkung die mir entfiel: die Eitelkeit der Damen in D. müßte sehr heißhungrig sein, weil sie diese Art Leute gewöhnt hätten, ihr eine so grobe und mir sehr unschmackhafte Nahrung zu bringen. Das Lob des Schlössers, welches der schönen Montbason so viel besser gefiel als der Hofleute ihres, war von einer ganz andern Art, weil es das Gepräge einer wahren Empfindung hatte, die durch den Anblick dieser schönen Frau in ihm entstund, da er ganz mit seiner Arbeit beschäftigt ungefähr aufsah, als eben die Dame bei seiner Werkstatt vorbei fuhr. Aber was heißt der Beifall derer, welche ihren Nutzen von mir suchen? Und wie froh bin ich, mit keiner besondern Schönheit bezeichnet zu sein; weil ich diese Art von Ekel für allgemeinem Lob in mir fühle.

Diesen Nachmittag habe ich etliche Damen und Kavaliere gesehen, denen meine Tante ihre Ankunft hatte wissen lassen, indem sie die Unterlassung ihres eignen Besuchs mit dem Vorwand einer großen Müdigkeit von der Reise entschuldigte. Wiewohl die wahre Ursache nichts anders war, als daß die Hof- und Stadtkleider noch nicht fertig sind, in welchen ich meine Erscheinung machen soll. Vielleicht stutzen Sie über das Wort Erscheinung, aber es wurde heute von einem witzigen Kopf in der Tat sehr richtig gebraucht, wiewohl er es nur auf mein Kleid und meine erste Reise in die Stadt anwandte. Sie wissen, Emilia, daß mein teurer Papa mich immer in den Kleidern meiner Mama sehen wollte, und daß ich sie auch am liebsten trug. Diese sind hier alle aus der Mode, und ich konnte nach dem Ausspruch meiner Tante (der ich dieses Stück von Herrschaft über meinen Geschmack gerne einräume) kein anderes als das von weißem Taft tragen, welches sie mir zu Ende der Trauer hatte machen lassen. Ende der Trauer, meine Emilia! O glauben Sie es nicht so wörtlich; die äußerlichen Kennzeichen davon habe ich abgelegt; aber sie hat ihren alten Sitz in dem Grunde meines Herzens behalten, und ich glaube, sie hat einen Bund mit der geheimen Beobachterin unsrer Handlungen (ich meine das Gewissen) gemacht: Denn bei der Menge Stoffe und Putzsachen, die mir letzthin vorgelegt wurden, und wovon dieses zur nächsten Galla, jenes auf den bevorstehenden Ball, ein anderes zur Assemblee bestimmt war, wendete sich, indem ich das eine und andere betrachtete, unter der Bewegung meiner Hände das Bild meiner Mama an dem Armband, und indem ich, im Zurechtemachen, meine Augen darauf heftete, und ihre feine Bildung mit dem simpelsten Aufsatz und Anzug gezieret sah, überfiel mich der Gedanke, wie unähnlich ich ihr in kurzer Zeit in diesem Stück sein werde! Gott verhüte, daß diese Unähnlichkeit ja niemals weiter als auf die Kleidung gehe! – die ich als ein Opfer ansehe, welches auch die Besten und Vernünftigsten der Gewohnheit, den Umständen und ihrer Verhältnis mit andern, bald in diesem, bald in jenem Stücke bringen müssen. Dieser Gedanke dünkte mich ein gemeinschaftlicher Wink der Trauer und des Gewissens zu sein. Aber ich komme von meiner Erscheinung ab. Doch Sie, mein väterlicher Freund, haben verlangt, ich soll, wie es der Anlaß gebe, das, was mir begegnet, und meine Gedanken dabei aufschreiben, und das will ich auch tun. Ich werde von andern wenig reden, wenn es sich nicht besonders auf mich bezieht. Alles, was ich an ihnen selbst sehe, befremdet mich nicht, weil ich die große Welt aus dem Gemälde kenne, welches mir mein Papa und meine Großmama davon gemacht haben.

Ich kam also in das Zimmer zu meiner Tante, da schon etliche Damen und Kavaliere da waren. Ich hatte mein weißes Kleid an, welches mit blauen italienischen Blumen garniert worden war; mein Kopf nach der Mode in D. gar schön geputzt. Meinen Anstand und meine Gesichtsfarbe weiß ich nicht; doch mag ich blaß ausgesehen haben; weil, kurz nachdem mich die Gräfin als ihre geliebte Nichte vorgestellt hatte, ein von Natur artig gebildeter junger Mann mit einem verkehrt lebhaften Wesen sich näherte, und Brust und Achseln mit einer seltsamen Beugung gegen meine Tante, den Kopf aber seitwärts gegen mich mit einer Art Erschrockenheit gewendet, ausrief: »Meine gnädige Gräfin, ist es würklich ihre Niece?« – »Und warum wollen Sie meinem Zeugnis nicht glauben?« – »Der erste Anblick ihrer Gestalt, die Kleidung und der leichte Sylphidengang haben mich auf den Gedanken gebracht, es wäre die Erscheinung eines liebenswürdigen Hausgespenstes.« – »Armer F**«, sagte eine Dame; »und Sie fürchten sich vielleicht vor Gespenstern?«

»Vor den häßlichen«, versetzte der witzige Herr, »habe ich natürlichen Abscheu, aber mit denen, welche dem Fräulein von Sternheim gleichen, getraue ich mir ganze Stunden allein hinzubringen.«

»So, und Sie brächten mit diesem schönen Einfall mein Haus in den Ruf, daß es darin spüke!«

»Das möchte ich wohl; um alle übrige Kavaliere abzuhalten, hieher zu kommen; aber dann würde ich auch den reizenden Geist zu beschwören suchen, daß er sich wegtragen ließe.«

»Gut, Graf F**, gut, das ist artig gesagt!« wurde in dem Zimmer von allen wiederholt.

»Nun, meine Nichte, würden Sie sich beschwören lassen?«

»Ich weiß sehr wenig von der Geisterwelt«, antwortete ich; »doch glaube ich, daß für jedes Gespenst eine eigne Art von Beschwörung gewählt werden müsse, und die Entsetzung, die ich dem Grafen bei meiner Erscheinung verursachte, läßt mich denken, daß ich unter dem Schutz eines mächtigern Geistes bin, als der ist, der ihn beschwören lernt.«

»Vortrefflich, vortrefflich; Graf F**, wie weiter?« rief der Oberste von Sch***.

»Ich habe doch mehr erraten als Sie alle«, antwortete der Graf; »denn wenngleich das Fräulein kein Geist ist, so sehe ich doch, daß sie unendlich viel Geist haben müsse.«

»Das mögen Sie erraten haben, und das war vermutlich auch der Grund, warum Sie in dieses Schrecken gerieten«, sagte das Fräulein von C**, Hofdame bei der Prinzessin von W***, die bisher sehr stille gewesen war.

»Sie mißhandeln mich immer, meine ungnädige C**. Denn Sie wollen doch damit sagen, der kleine Geist hätte sich vor dem größern zu fürchten angefangen.«

Ja, dachte ich, in diesem Scherz ist in Wahrheit viel Ernst. Ich bin würklich eine Gattung von Gespenstern, nicht nur in diesem Hause, sondern auch für die Stadt und den Hof. Jene kommen, wie ich, mit der Kenntnis der Menschen unter sie, und verwundern sich über nichts, was sie sehen und hören, machen aber, wie ich, Vergleichungen zwischen dieser Welt, und der, woher sie kommen, und jammern über die Sorglosigkeit, womit die Zukunft behandelt wird; die Menschen aber bemerken an ihnen, daß diese Geschöpfe, ob sie wohl ihre Form haben, dennoch ihrem innerlichem Wesen nach nicht unter sie gehören.

Das Fräulein von C** ließ sich hierauf in eine Unterredung mit mir ein, an deren Ende sie mir viele Achtung bewies, und den höflichen Wunsch äußerte, öfters in meiner Gesellschaft zu sein. Sie ist sehr liebenswürdig, etwas größer als ich, wohl gewachsen, ein großes Ansehn in ihrem Gang und der Bewegung ihres Kopfs; ein länglicht Gesicht, nach allen Teilen schön gebildet, blonde Haare und die vortrefflichste Gesichtsform; einnehmende Züge von Sanftmut; nur manchmal, dünkte mich, wären ihre freimütige ganz liebreiche Augen zu lang und zu bedeutend auf die Augen der Mannsleute geheftet gewesen. Ihr Verstand ist liebenswürdig, und alle ihre Ausdrücke sind mit dem Merkmal des gutgesinnten Herzens bezeichnet. Sie war in der ganzen Gesellschaft die Person, die mir am besten gefiel, und ich werde mir das Anerbieten ihrer Freundschaft zunutze machen.

Endlich kam die Gräfin F***, für welche mir meine Tante viele Achtung zu haben empfohlen hatte, weil ihr Gemahl meinem Oncle in seinem Prozesse viele Dienste leisten könne. Ich tat alles, aber doch fühlte ich einen Unmut über die Vorstellung, daß die Gefälligkeit der Nichte gegen die Frau des Ministers die Gerechtsamen des Oheims sollte stützen helfen. An seinem Platze würde ich weder meine noch des Ministers Frau in diese Sache mengen, sondern eine männliche Sache mit Männern behandeln. Der Minister, den seine Frau führt, steht mir auch nicht an; doch ist alles dieses eine eingeführte Gewohnheitssache, worüber der eine nichts klagt, und der andre nicht stutzig wird.

Das Fräulein C** und die Gräfin F*** blieben beim Abendessen. Die Unterredungen waren belebt, aber so verflochten, daß ich keinen Auszug machen kann. Die Frau von F*** schmeichelte mir bei allen Gelegenheiten, ich mochte reden oder vorlegen. Wenn sie im Sinn hat, sich dadurch bei mir beliebt zu machen, so verfehlt sie ihren Zweck. Denn diese Frau werde ich nimmer lieben, wenn ich der Stimme meines Herzens folge; und dann glaube ich nicht, daß mich eine Pflicht verbinde, meine Abneigung gegen sie zu überwinden, wie ich bei meiner Tante getan habe; wiewohl auch diese manchmal aufwachte. Aber das Fräulein C** werde ich lieben. Sie war mit mir auf meinem Zimmer, wo wir so freundlich redeten, als kennten wir uns viele Jahre her. Sie sprach viel von ihrer Prinzessin, und wie diese mich lieben würde, indem ich ganz nach ihrem Geschmack wäre. Wie ich meine Laute und meine Stimme hören lassen mußte, gab sie mir noch mehr Versicherungen darüber, und ich erhielt überhaupt viele Lobsprüche. Der Ton und die Bezeugung der Hofleute sind in der Tat dadurch angenehm, weil die Eigenliebe eines jeden so wohl in acht genommen wird.

Meine Tante war mit mir zufrieden, wie sie sagte; denn sie hatte befürchtet, ich würde ein gar zu fremdes, gar zu ländliches Ansehen haben. Die Gräfin F. hätte mich gelobt, aber etwas stolz und trocken gefunden. Ich war es auch. Ich kann die Versicherungen meiner Freundschaft und Hochachtung nicht entheiligen. Ich kann niemand betrügen, und sie geben, wenn ich sie nicht fühle. Meine Emilia! mein Herz schlägt nicht für alle, ich werde in diesem Stücke vor der Welt immer ein Gespenst bleiben. Dies ist meine Empfindung. Kein fliegender unwilliger Gedanke. Ich war billig; ich legte keinem nichts zum Argen aus. Ich sagte zu mir: Eine Erziehung, welche falsche Ideen gibt, das Beispiel, so sie ernährt, die Verbundenheit wie andere zu leben, haben diese Personen von ihrem eignen Charakter und von der natürlichen sittlichen Bestimmung, wozu wir da sind, abgeführt: Ich betrachte sie als Leute, auf die eine Familienkränklichkeit fortgepflanzt ist; ich will liebreich mit ihnen umgehen, aber nicht vertraut, weil ich mich der Sorge mit ihrer Seuche angesteckt zu werden nicht enthalten kann.

So wünschen Sie mir dann eine dauerhafte Seelengesundheit, meine liebe Freundin, und lieben Sie mich. Unserm ehrwürdigen Papa alles Gute! Wie wird er sich von seiner ihn so zärtlich besorgenden Emilie trennen können? Aber wie glücklich treten Sie den Kreis des ehlichen Lebens an, da Sie den treuen Segen eines würdigen Vaters und alle Tugenden ihres Geschlechts mit sich bringen! Grüßen Sie mir den auserwählten Mann, dessen Eigentum Sie mit allen diesen Schätzen werden.


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