Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Mylord Derby an Mylord B* in Paris

Du bist begierig den Fortgang meiner angezeigten Intrige zu wissen. Ich will Dir alles sagen. Weil man doch immer einen Vertrauten haben muß, so kannst Du diese Ehrenstelle vertreten, und dabei für Dich selbst lernen.

Laß Dir nicht einfallen zur Unzeit ein dummes Gelächter anzufangen, wenn ich Dir frei bekenne, daß ich noch nicht viel würde gewonnen haben, wenn der Zufall nicht mehr als mein Nachdenken und die feinste Wendung meines Kopfes zu Beförderung meiner Absichten beigetragen hätten. Ich bin damit zufrieden; denn meine Liebesgeschichte steht damit in der nämlichen Klasse wie die Staatsgeschäfte der Höfe; der Zufall tut bei vielen das meiste, und die Weisheit manches Ministers besteht allein darin, durch die Kenntnis der Geschichte der vergangenen und gegenwärtigen Staaten, diesen Augenblick des Zufalls zu benutzen, und die übrige Welt glauben zu machen, daß es die Arbeit seiner tiefen Einsicht gewesen sei.Es gehört immer noch viele Einsicht dazu, den Zufall so wohl zu benutzen, und vielleicht mehr, als einen wohlausgedachten Entwurf zu machen. Aber das ist der große Haufe nicht fähig zu begreifen; und daher pflegt man ihn immer gerne glauben zu lassen, was, seinen Begriffen nach, denen, die ihn regieren, die meiste Ehre macht. Die Welt wird nur darum so viel betrogen, weil sie betrogen sein will.    A. d. H. Nun sollst Du sehen, wie ich diese Ähnlichkeit gefunden, und wie ich mir eine unvorgesehene Gelegenheit durch die Historie der Leidenschaften und die Kenntnis des weiblichen Herzens zu bedienen gewußt habe.

Ich war vor einigen Tagen in einer ungeduldigen Verlegenheit über die Auswahl der Mittel, die ich brauchen müßte, um das Fräulein von Sternheim zu gewinnen. Hätte sie nur gewöhnlichen Witz und gewöhnliche Tugend, so wäre mein Plan leicht gewesen; aber da sie ganz eigentlich nach Grundsätzen denkt und handelt, so ist alles, wodurch ich sonst gefiel, bei ihr verloren. Besitzen muß ich sie, und das mit ihrer Einwilligung. Dazu gehört, daß ich mir ihr Vertrauen und ihre Neigung erwerbe. Nun bleibt mir nichts übrig, als mir, wie er Minister, zufällige Anlässe nützlich zu machen. Von beiden erfuhr ich letzthin die Probe auf dem Landgut der Gräfin F*. Ich wußte, daß das Fräulein mit ihrer Tante auf etliche Tage hinging, und fand mich auch ein. Ich kam zweimal mit meiner Göttin und dem Fräulein R. allein auf den Spaziergang, und hatte Anlaß etwas von meinen Reisen zu erzählen. Du weißt, daß meine Augen gute Beobachter sind, und daß ich manche halbe Stunde ganz artig schwatzen kann. Der Gegenstand war von Gebäuden und Gärten. Das Fräulein von Sternheim liebt Verstand und Kenntnisse. Ich machte mir ihre Aufmerksamkeit ganz vorteilhaft zunutze, und habe ihre Achtung für meinen Verstand so weit erhalten, daß sie eine Zeichnung zu sich nahm, die ich während der Erzählung von einem Garten in England machte. Sie sagte dabei zu Fräulein R. »Dieses Papier will ich zu einem Beweis aufheben, daß es Kavaliere gibt, die zu ihrem Nutzen, und zum Vergnügen ihrer Freunde reisen.« Dies ist ein wichtiger Schritt, der mich weit genug führen wird. Keine lächerliche Grimasse, dummer Junge, daß Du mich über diese Kleinigkeit froh siehst, da ich es sonst kaum über den ganzen Sieg war; ich sage Dir, das Mädchen ist außerordentlich. Aus ihren Fragen bemerkte ich eine vorzügliche Neigung für England, die mir ohne meine Bemühung von selbst Dienste tun wird. Ich redete vergnügt und ruhig fort; denn da sie durch die gleichgültigen Gegenstände unserer Unterredung zufrieden und vertraut wurde, so hütete ich mich sehr, meine Liebe, und eine besondere Aufmerksamkeit zu entdecken. Aber bald wäre ich aus meiner Fassung geraten, weil ich eine Veränderung der Stimme und Gesichtszüge des Fräuleins von Sternheim wahrnahm. Sie schien bewegt; ihre Antworten waren abgebrochen; ich redete aber mit Fräulein R., so viel ich konnte, gleichgültig fort, beobachtete aber die Sternheim genau. Indem brachte uns ein erhöheter Gang in den Garten auf einen Platz, wo man das freie Feld entdeckte. Wir blieben stehen. Das bezaubernde Fräulein von Sternheim heftete ihre Blicke auf eine gewisse Gegend; eine feine Röte überzog ihr Gesicht und ihre Brust, die von der Empfindung des Vergnügens eine schnellere Bewegung zu erhalten schien. Sehnsucht war in ihrem Gesicht verbreitet, und eine Minute darauf stand eine Träne in ihren Augen. B*, alles, was ich jemals Reizendes an andern ihres Geschlechts gesehen, ist nichts gegen den einnehmenden Ausdruck von Empfindung, der über ihre ganze Person ausgegossen war. Kaum konnte ich dem glühenden Verlangen widerstehen, sie in meine Arme zu schließen. Aber ganz zu schweigen war mir unmöglich. Ich faßte eine ihrer Hände mit einem Arme, der vor Begierde zitterte, und sagte ihr auf englisch: ich weiß nicht mehr was; aber die Wut der Liebe muß aus mir gesprochen haben; denn ein ängstlicher Schrecken nahm sie ein und entfärbte sie bis zur Totenblässe. Da war's Zeit mich zu erholen, und ich befließ mich den ganzen übrigen Abend recht ehrerbietig und gelassen zu sein. Mein Täubchen ist noch nicht kirre genug, um das Feuer meiner Leidenschaft in der Nähe zu sehen. Dieses loderte die ganze Nacht durch in meiner Seele; keinen Augenblick schlief ich; immer sah ich das Fräulein vor mir, und meine Hand schloß sich zwanzigmal mit der nämlichen Heftigkeit zu, mit welcher ich die ihrige gefaßt hatte. Rasend dachte ich, Sehnsucht und Liebe in ihr gesehen zu haben, die einen Abwesenden zum Gegenstand hatten; aber ich schwur mir, sie mit oder ohne ihre Neigung zu besitzen. Wenn sie Liebe, feurige Liebe für mich bekömmt, so kann es sein, daß sie mich fesselt; aber auch kalt soll sie mein Eigentum werden.

Der Morgen kam und fand mich wie einen tollen brennenden Narren mit offner Brust und verstörten Gesichtszügen am Fenster. Der Spiegel zeigte mich mir unter einer Satansgestalt, die fähig gewesen wäre, das gute furchtsam Mädchen auf immer vor mir zu verscheuchen. Wild über die Gewalt, so sie über mich gewonnen, und entschlossen, mich dafür schadlos zu halten, warf ich mich aufs Bette, und suchte einen Ausweg aus diesem Gemische von neuen Empfindungen und meinen alten Grundsätzen zu finden. Geduld brauchte es auf dem langweiligen Weg, den ich vor mir sah; weil ich nicht wissen konnte, daß der Nachmittag mir zu einem großen Sprung helfen würde. Als ich wieder in ihre Gesellschaft kam, war ich lauter Sanftmut und Ehrfurcht; das Fräulein stille und zurückhaltend. Nach dem Essen ließ man uns junge Leute wieder gehen, weil die Tante und die Gräfin F* die Charte noch vollends zu mischen hatten, mit welcher sie das Fräulein dem Fürsten zuspielen wollten. Nach unserer Abrede vom vorigen Tage gingen wir in das Dorf. Als wir gegen das Wirtshaus kamen, wo meine Leute einquartiert waren, begegnete uns ein kleiner Wagen mit einer Frau und Kindern beladen, der langsam vorbeiging, und uns hinderte vorzukommen. Meine Sternheim sieht die Frau starr an, wird rot, nachdenklich, betrübt, alles schier in einem Anblick, und sieht dem Wagen melancholisch nach. Dieser hält an dem Wirtshause, die Leute steigen aus; die Blicke des Fräuleins sind unbeweglich auf sie geheftet; Unruhe nimmt sie ein; sie sieht mich und das Fräulein R* an, wendet die Augen weg, endlich legt sie ihre Hand auf meinen Arm, und sagt mir auf englisch mit einem verschönerten Gesichte und bittender zärtlicher Stimme: »Lieber Lord, unterhalten Sie doch das Fräulein R* einige Augenblicke hier, ich kenne diese Frau, und will ein paar Worte mit ihr reden.« Ich stutzte, machte eine einwilligende Verbeugung und küßte den Platz meines Rocks, wo ihre Hand gelegen war und mich sanft gedrückt hatte. Sie sieht dieses. Brennend rot und verwirrt eilt sie weg. Was, T—, dachte ich, muß das Mädchen mit dem Weibe haben; sie mag wohl irgend einmal Briefträgerin, oder sonst eine dienstfertige Kreatur in einem verborgenen Liebeshandel gewesen sein. Gestern nach meiner zärtlichen Anrede war das Mädchen stutzig; heute den ganzen Tag trocken, hoch, sah mich kaum an; ein Bettelkarrn führt eine Art Kupplerin herbei, und ihre Gesichtszüge verändern sich, sie hat mit sich zu kämpfen, und endlich werde ich der liebe Lord, auf den man die schöne Hand legt, seinen Arm zärtlich drückt, die Stimme, den Blick beweglich macht, um zu einer ungehinderten Unterredung mit diesem Weibe zu kommen. Hm! Hm! wie sieht's mit dieser strengen Tugend aus? Ich hätte das Fräulein R* in der Mistpfütze ersäufen mögen, um mich in dem Wirtshause zu verbergen und zuzuhören. Diese sieht der Sternheim nach; und sagt: »Was macht das Fräulein in dem Wirtshause?« Ich antwortete kurz: sie hätte mir gesagt, daß sie diese Bettelfrau kenne, und mit ihr etwas zu reden hätte. Sie lacht, schüttelt den Kopf mit der Miene des Affengesichts, das lang über die Vorzüge der Freundin neidisch war, nichts tadeln konnte, und nun eine innerliche Freude über den Schein eines Fehlers fühlte. »Es wird wohl eine alte gute Bekanntin vom Dorfe P. sein«, zischte die Natter, mit einem Ansehen, als ob sie ganz unterrichtet wäre. Ich sagte ihr: ich wollte einen meiner Leute horchen lassen, denn ich wäre selbst über diesen Vorgang in Erstaunen; schickte auch einen nach ihr, und suchte indessen die R* vollends auszulocken: was sie wohl von Fräulein Sternheim denke?

»Daß sie ein wunderliches Gemische von bürgerlichem und adelichem Wesen vorstellt, und ein wunderlich Gezier von Delikatesse macht, die sich doch nicht souteniert. Denn was für ein Bezeugen von einer Person vom Stande ist das, von einer Dame und einem Kavalier wegzulaufen, um – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – eine Frau zu sprechen, die sehr schlecht aussieht, und die vielleicht am besten die Art angeben könnte; wie dieses Herz zu gewinnen ist, ohne daß die vielen Anstalten und Vorkehrungen nötig wären, die man mit ihr macht –«

Ich sagte wenig darauf, doch so viel, um sie in Atem zu halten, weiter zu reden. Die Genealogie des Fräuleins Sternheim wurde also vorgenommen, ihr Vater und ihre Mutter verleumdet, und die Tochter lächerlich gemacht; mehr habe ich nicht behalten, der Kopf war mir warm. Die Sternheim blieb ziemlich lange weg. Endlich kam sie mit einem gerührten, doch zufriednen Gesichte, etwas verweinten Augen und ruhigem Lächeln gegen uns, und mit einem Ton der Stimme, so weich, so voll Liebe, daß ich noch toller als vorher wurde, und gar nicht mehr wußte, was ich denken sollte.

Das Fräulein R* betrachtete sie auf eine beleidigende Weise, und meine Göttin mochte unsere Verlegenheit gemerkt haben, denn sie schwieg, wie wir, in einem fort, bis wir wieder zu Hause kamen. Ich eilte abends fort, um meine Nachrichten zu hören. Da erzählte mir mein Kerl: er hätte die Wirtin und die Frau heulend über die Güte des Fräuleins angetroffen; die Frau sei dem Fräulein ganz fremd gewesen, hätte sich über das Anreden dieser Dame verwundert, und wäre ihr mit sorgsamem Gesicht in die Stube gefolgt, wohin sie sie mit den Kindern geführt. Da hätte ihr das Fräulein zugesprochen, sie um Vergebung über ihr Zudringen gebeten, und Hülfe angeboten, auch würklich Geld gegeben, und nachdem sie erfahren, daß sie nach D* gehe, und dort wohne, hätte sie ihren Namen und Aufenthalt der Frau aufgeschrieben, und ihr auf das liebreichste fernere Dienste versichert, auch bei der Wirtin eine gute Kutsche bestellt, welche die Frau und Kinder nach Hause bringen sollte.

Ich dachte, mein Kerl oder ich müßte ein Narr sein, und widersprach ihm alles; aber er fluchte mir für die Wahrheit seiner Geschichte; und ich fand, daß das Mädchen den wunderlichsten Charakter hat. Was, T—, wird sie rot und verwirrt, wenn sie etwas Gutes tun will, was hatte sie uns zu belügen, sie kenne diese Frau; besorgte sie, wir möchten Anteil an ihrer Großmut nehmen?

Aber diese Entdeckung, das Ungefähr, werde ich mir zunutze machen; ich will diese Familie aufsuchen, und ihr Gutes tun, wie Engländer es gewohnt sind, und dieses, ohne mich merken zu lassen, daß ich etwas von ihr weiß. Aber gewiß werde ich keinen Schritt machen, den sie nicht sehen soll. Durch diese Wohltätigkeit werde ich mich ihrem Charakter nähern, und da man sich allezeit mit einer gewissen zärtlichen Neigung an die Gegenstände seines Mitleidens und seiner Freigebigkeit heftet: so muß in ihr notwendigerweise eine gute Gesinnung für denjenigen entstehen, der, ohne ein Verdienst dabei zu suchen, das Glück in eine Familie zurückrufen hilft. Ich werde schon einmal zu sagen wissen, daß ihr edles Beispiel auf mich gewürkt habe, und wenn ich nur eine Linie breit Vorteil über ihre Eigenliebe gewonnen habe, so will ich bald bei Zollen und Spannen weitergehen.

Sie beobachtet mich scharf, wenn ich nahe bei ihr in ein Gespräch verwickelt bin. Dieser kleinen List, mich ganz zu kennen, setzte ich die entgegen, allezeit, wenn sie mich hören konnte, etwas Vernünftiges zu sagen, oder den Diskurs abzubrechen und recht altklug auszusehen. Aber obschon ihre Zurückhaltung gegen mich schwächer geworden ist, so ist es doch nicht Zeit von Liebe zu reden; die Waagschale zieht noch immer für Seymour. Ich möchte wohl wissen, warum das gesunde junge Mädchen den blassen traurigen Kerl meiner frischen Farbe und Figur vorzieht, und seinen krächzenden Ton der Stimme lieber hört als den muntern Laut der meinigen, seine toten Blicke sucht, und mein redendes Auge nicht? Sollte so viel Wasser in ihre Empfindungen gegossen sein? Das wollen wir beim Ball sehen, der angestellt ist, denn da muß eine Lücke ihres Charakters zum Vorschein kommen, wenigstens sind alle möglichen Anstalten gemacht worden, um die tiefschlafendesten Sinnen in eine muntere Geschäftigkeit zu bringen. Deinem Freund wird das Erwachen der ihrigen nicht entgehen, und dann will ich schon Sorge tragen, sie nicht einschlummern zu lassen.


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