Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Zu Ende des Brachmonats

Emilia, haben Sie sich jemals in den Platz eines Menschen stellen können, der in einem elenden Kahn auf der stürmenden See ängstlich sein Leben fühlt, und mit zitternder Hoffnung hin und her um Anschein der Hoffnung sieht? Lange stoßen ihn die Wellen herum, und lassen ihn Verzweiflung fühlen; endlich erblickt er eine Insel, die er zu erreichen hofft, mit gefalteten Händen ruft er: O Gott, ich sehe Land! – Ich, mein Kind, ich fühle alles dieses; ich sehe Land. Der Graf von Hopton ist in seinem Haus auf dem Gebürge, und Lady Douglaß, seine Schwester, hat die Tochter meiner Wirtin zu sich genommen. Sie ging mit ihrem Bruder und einer Tapete zur Lady, ihre Dienste anzubieten. Voller Verwunderung über ihre Arbeit und ihre Antworten hat die Lady gefragt, wer sie unterrichtet hätte, und das dankbare Herz des guten Mädchens erzählte ihr von mir, was sie wußte und empfand. Die edle Dame wurde bis zu Tränen gerührt; sie versprach dem Mädchen sogleich sie zu nehmen, ließ den jungen Leuten zu essen geben, und schickte den Sohn allein nach Hause mit zwo Guineen für seine Eltern und dem Versprechen: sie wollte vor ihrer Abreise noch selbst zu ihnen kommen. Mich ließ sie besonders grüßen und für meine Mühe mit ihrem Mädchen segnen. Ich habe sie um Papier, Feder und Dinte bitten lassen; ich will mich dieser Gelegenheit bedienen, um an meine Lady Summers zu schreiben; aber ich will der Lady Douglaß den Brief offen geben, um ihr meine Aufrichtigkeit zu zeigen. Ich würde strafbar sein, wenn ich nicht alle Gelegenheit anwendte, um meine Freiheit zu erlangen, da sich edle Mittel dazu anbieten. Ich will auch den Lord Hopton um seine Gnade für meine armen Wirte bitten; die guten Leute wissen sich vor Freude über die Versorgung ihrer Tochter und über das Geld, so sie bekommen haben, nicht zu fassen; sie liebkosen und segnen mich wechselsweise. Meine Waise lasse ich nicht zurück; das Kind würde nun, da ich sie an gutes Bezeigen gewöhnt habe, durch den Verlust doppelt unglücklich sein, und alle meine Tage würden durch ihr Andenken beunruhiget, wenn ich zum Glücke zurückkehrte, und sie dem offenbaren Elend zum Raube ließe.

* * *

Oh! Meine Freundin, es war Vorbedeutung, die mich in meinem letztern Blatte das Gleichnis eines auf der tobenden See irrenden Kahns finden ließ; ich war bestimmt die höchsten Schmerzen der Seele zu fühlen, und dann in dem Augenblick der Hoffnung zu sterben. Die unaussprechliche Bosheit meines Verfolgers reißt mich dahin, wie eine schäumende Welle Kahn und Menschen in den Abgrund reißt. Diese Gewalt wurde ihm gelassen, und mir alle Hülfsmittel entzogen; bald wird ein einsames Grab meine Klagen endigen, und meiner Seele die Endzwecke zeigen, warum ich dieses grausame Verhängnis erdulden mußte. Ich bin ruhig, ich bin zufrieden; mein letzter Tag wird der freudigste sein, den ich seit zwei Jahren hatte. Ihnen, meine bis in den letzten Augenblick zärtlich geliebte Freundin, wird die Lady Summers mein Paquet Papiere schicken, und Ihr Herz bei dem Gedanken, daß alles mein Leiden sich in einer seligen Ewigkeit verloren hat, beruhiget werden. Meine letzten Kräfte sind Ihnen gewidmet. Sie waren die Zeugin meines glücklichen Lebens; Sie sollen auch, so viel ich es tun kann, von dem Ende meiner trübseligen Tage wissen.

Ich war voller Hoffnungen und mit fröhlichen Aussichten umgeben, als der vertrauteste Bösewicht des Derby anlangte, um mir den verhaßten Vorschlag zu tun; ich sollte mich zu dem Lord nach London begeben; er liebe seine Gemahlin nicht, wäre auch selbst kränklich geworden, und halte sich meistens auf einem Landhause zu Windsor auf, wo ihm mein Umgang sehr angenehm sein würde. Er selbst schrieb in einem Billet: wenn ich freiwillig kommen wollte und ihn lieben würde, so denke er, sich von Lady Alton scheiden zu lassen, und unsere Heurat zu bestätigen, wie es die Gesetze und meine Verdienste erfoderten; aber wenn ich aus einer meiner ehemaligen Wunderlichkeiten diesen Vorschlag verwerfe, so möchte ich mir mein Schicksal gefallen lassen, wie er es für gut finden würde. – Dies mußte ich anhören, denn lesen wollte ich das Billet nicht; das Ärgste von dieser unerträglichen Beleidigung war, daß ich den unseligen Kerl sehen mußte, durch dessen Hand meine falsche Verbindung geschehen war. Auf das äußerste betrübt und erbittert verwarf ich alle diese unwürdigen Vorschläge, und der Barbar rächte seinen Herrn, indem er mich nach der zweiten förmlichen Absage mit der heftigsten Bosheit beim Arm und um den Leib packte, zum Hause hinaus gegen den alten Turm hinschleppte, und mit Wüten und Fluchen zu einer Türe hineinstieß, mit dem Ausdruck, daß ich da krepieren möchte, damit sein Herr und er einmal meiner loswürden. Mein Sträuben und die entsetzliche Angst, so ich hatte, ich möchte mit Gewalt nach London geführet werden, hatte mich abgemattet, und halb von Sinnen gebracht; ich fiel nach meiner ganzen Länge in das mit Schutt und Morast angefüllte Gewölbe, wo ich auf den Steinen meine linke Hand und das halbe Gesicht beschädigte, und heftig aus der Nase und Mund blutete. Ich weiß nicht, wie lang ich ohne Bewußtsein dalag; als ich mich wieder fühlte, war ich ganz entkräftet und voll Schmerzen; die faule dünstige Luft, die ich atmete, beklemmte in kurzer Zeit meine Brust so sehr, daß ich an dem letzten Augenblicke meines Lebens zu sein glaubte. Ich sah nichts, aber ich fühlte mit der einen Hand, daß der Boden stark abhängig war, und besorgte daher bei der geringsten Bewegung gar in einen Keller zu fallen, wo ich nicht ohne Verzweiflung meinen Geist aufgegeben hätte. Mein Jammer und die Empfindungen, die ich davon hatte, ist nicht zu beschreiben; die ganze Nacht lag ich da; es regnete stark; das Wasser schoß unter der Türe herein auf mich zu, so daß ich ganz naß und starr wurde, und von meinem Unglück gänzlich darnieder geschlagen, mir den Tod wünschte. Ich bekam, wie mich deucht, innerliche Zückungen. So viel weiß ich noch; als ich mich wieder besinnen konnte, war ich auf meinem Bette, um welches meine armen furchtsamen Wirte stunden, und wehklagten. Meine Waise hatte meine Hand und ächzte ängstlich; ich fühlte mich sehr übel, und bat die Leute, mir den Geistlichen des Grafen von Hopton zu holen, weil ich sterben würde. Mit aufgehobenen Händen bat ich sie; der Sohn ging fort, und die Eltern erzählten mir, daß sie mir nicht hätten helfen dürfen, bis Sir John (wie sie ihn nannten) abgereiset gewesen wäre. Schreckliches Los der Armut, daß sie selten Herz genug hat, sich der Gewalt des reichen Lasters entgegenzusetzen! Der Regen hatte den Bösewicht aufgehalten, doch, sagen sie, sei er noch an die Türe des Turms gegangen, hätte sie aufgemacht und gehorcht, den Kopf verdrießlich in die Höhe geworfen, und ohne die Türe zuzuschließen, oder ihnen noch etwas zu sagen, wäre er davongegangen. Sie hätten aus Furcht vor ihm noch eine Stunde gewartet, und wären dann mit einem Licht zu mir gekommen, da sie mich denn für tot angesehen und herausgetragen hätten. Der Geistliche kam, und die Lady Douglaß mit ihm; beide betrachteten mich aufmerksam und mitleidend. Ich reichte der Lady meine Hand, der sie die ihrige mit Güte entgegengab. »Edle Lady«, sagte ich mit tränenden Augen, »Gott wird diese menschenfreundliche Bemühung um mich an Ihrer Seele belohnen; glauben Sie nur auch, daß ich es würdig bin.« Ich bemerkte, daß ihre Augen auf meine Hand und das Bildnis meiner Mutter geheftet waren; – da sagte ich ihr, »es ist meine Mutter, eine Enkelin von Lord David Watson – und hier«, indem ich die andere Hand erhob, »ist mein Vater, ein würdiger Edelmann in Deutschland; schon lange sind beide in der Ewigkeit, und bald, bald hoffe ich, bei ihnen zu sein«, setzte ich mit gefalteten Händen hinzu. Die Dame weinte, und sagte dem Geistlichen, er solle meinen Puls fühlen; er tat's, und versicherte, daß ich sehr übel wäre. Mit liebreichem Eifer sah sie um sich, und fragte, ob ich nicht weggebracht werden könnte. »Nicht ohne Lebensgefahr«, sagte der Geistliche. »Ach das ist mir leid«, sprach die liebe Dame, indem sie mir die Hand drückte. Sie ging hinaus, und der Geistliche fing an mit mir zu reden; ich sagte ihm kurz, daß ich aus einer edlen Familie stammte, und durch den schändlichen Betrug einer falschen Heurat aus meinem Vaterlande gerissen worden sei; Mylady Summers, unter deren Schutz ich gestanden, könnte ihnen Zeugnisse von mir geben. Ich hieß ihn zugleich die Papiere nehmen, welche ich an sie geschrieben hatte, und die hinter einem Brette lagen. Ich setzte selbst ohne sein Fragen ein Bekenntnis meiner Grundsätze hinzu, und bat ihn, sich mit Ihrem Mann im Briefwechsel einzulassen. Die Dame klopfte an, und kam mit Maria, der Tochter meiner Wirte, die eine Schachtel trug, zu meinem Bette. Sie hatte allerlei Labsale und Arzneien darin, wovon sie mir gab. Die kleine Lidy kam auch herein, und warf sich bei meinem Bette auf die Knie. Die Dame betrachtete das Mädchen und mich mit zunehmender Traurigkeit. Endlich nahm sie Abschied, ließ die Maria bei mir, und der Geistliche versprach, den Morgen wieder dazusein. Aber er kam den ganzen Tag nicht; doch wurde zweimal nach mir gefragt. Ich war diesen Morgen besser, als ich gestern gewesen war; daher schrieb ich Ihnen. Nun ist's bald sechs Uhr abends, und ich werde zusehends schlechter; meine zitternde ungleiche Schrift wird es Ihnen zeigen. Wer weiß, was heute nacht aus mir wird; ich danke Gott, daß ich sterblich bin, und daß mein Herz mit dem Ihrigen noch reden konnte. Ich bin ganz gefaßt, und dem Augenblicke nah, wo Glück und Elend gleichgültig ist. –


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