Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Lord Rich aus den Bleygebürgen an Doktor T.

Ich glaube, Sie kennen mich nicht mehr, aber die starke Seite meiner Seele ist mit der Ihrigen verwandt, und Seymour ist mein Bruder. Von diesem und von dem Gegenstand seiner Schmerzen soll ich Ihnen reden. Wir kamen heute abend hier an; unsere Reise war traurig, und jeder nähernde Schritt zu dieser Gegend beklemmte unser Herz. Die ganze Erde hat keinen Winkel mehr, der so elend, so rauh sein kann wie der Zirkel um diese Hütte. Mit Grausamkeit hat das Schicksal in dieser Landschaft dem boshaftesten unter allen Menschen die Hand geboten, die empfindsamste Seele zu martern. Wenn ich an die edle kindliche Bewegung ihres Herzens denke, die sie bei den Schönheiten der Natur gegen ihren Schöpfer zeigte, so fühle ich das Maß des Leidens, so diese unfruchtbare Steine für sie enthielten; – und die Hütte, worin sie eine so lange Zeit wohnte, ihre arme Lagerstätte, wo sie den edelsten Geist aushauchte, der jemals eine weibliche Brust belebte. – O Doktor! selbst Ihr theologischer Geist würde, wie mein philosophischer Mut, in Tränen ausgebrochen sein, wenn Sie dieses, wenn Sie den Sandhügel gesehen hätten, der an dem Fuße eines einsamen magern Baums die Überbleibsel des liebenswürdigsten Frauenzimmers bedeckt. Der arme Lord Seymour sank darauf hin, und wünschte seine Seele da auszuweinen und neben ihr begraben zu werden; ich mußte ihn mit unsern zween Leuten davon wegziehen. Im Hause wollt' er sich auf ihr Sterbebette werfen; ich ließ es aber wegnehmen, und führte ihn auf den Platz, wo die Leute sagen, daß sie meistens gesessen wäre; da liegt er seit zwo Stunden, unbeweglich auf seine Arme gestützt, sieht und hört nichts. Die Leute scheinen mir keine guten Leute zu sein; ich fürchte, sie haben ihre Hände auch zu dem Einkerkern geboten. Sie sehen scheu aus; sie beredeten sich schon etlichemal vor der Hütte allein, haben auf meine Fragen nach der Dame kurz und verwirrt geantwortet, und waren sehr betroffen, wie ich sagte, das Grab müßte morgen geöffnet werden. Ich zittre selbst davor; ich befürchte Merkmale eines gewaltsamen Todes zu finden. Was würde da aus meinem Bruder werden? Ich sage nichts von mir selbst; ich verberge meinen Jammer, um Seymours seinen nicht zu vergrößern, aber gewiß hat die Angst des Untergangs in einem Sturm, und die Qual eines lechzenden Durstes in den sandigten Gegenden von Asien meine Seele nicht so heftig angegriffen als der Gedanke an den Leiden dieses weiblichen Engels. Mein Bruder ist aus Mattigkeit eingeschlafen, er liegt auf den Kleidern unsrer Leute, die sie auf den Boden gebreitet haben; immer fährt er auf, und stößt ächzende Seufzer aus; doch beruhiget mich unser Wundarzt wegen seiner Gesundheit. Ich kann nicht schlafen, der morgende Tag quält mich voraus; ich sammle Mut, um Seymourn zu stützen, aber ich bin selbst wie ein Rohr, und ich fürchte bei dem Anblick dieser Leiche, mit ihm zu sinken. Denn ich liebte sie nicht mit der jugendlich aufwallenden Leidenschaft meines Bruders; meine Liebe war von der Art Anhänglichkeit, welche ein edeldenkender Mann für Rechtschaffenheit, Weisheit, und Menschenliebe fühlt. Niemals hab ich Verstand und Empfindungen so moralisch gesehen, als beide in ihr waren; niemals das Große mit einem so richtigen Maß wahrer Würde, und das Kleine mit einer so reizenden Leichtigkeit behandeln gesehen. Ihr Umgang hätte das Glück eines ganzen Kreises geistvoller und tugendliebender Personen gemacht; – und hier mußte sie unter aufgetürmten Steinen, bei ebenso gefühllosen Menschen, unter der höchsten Marter des Gemüts, ihren schönen Geist aufgeben! O Vorsicht! du siehst die Frage, welche in meiner Seele schwebt; aber du siehst auch die Ehrerbietung für das Unergründliche deiner Verhängnisse, welche ihren Ausdruck zurückhält! –


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