Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Mylord Derby an seinen Freund in Paris

»Heida, Brüderchen«, rufen sich die Landsleute meiner Sternheim zu, wenn sie sich recht lustig machen wollen. Und weil ich meine englischen Netze auf deutschem Boden ausgesteckt habe, so will ich Dir auch zurufen: »Heida, Brüderchen! die Schwingen meines Vögelchens sind verwickelt!« Zwar sind Kopf und Füße noch frei, aber die kleine Jagd, welche auf der andern Seite nach ihr gemacht wird, soll sie bald ganz in meine Schlingen treiben, und sie sogar nötigen, mich als ihren Erretter anzusehen. Vortrefflich war mein Gedanke, mich nach ihrem Geiste der Wohltätigkeit zu schmiegen, und dabei das Ansehen der Gleichgültigkeit und Verborgenheit zu behalten. Beinahe hätte ich es zu lange anstehen lassen, und die beste Gelegenheit versäumt, mich ihr in einem vorteilhaften Lichte zu zeigen; aber die Geschwätzigkeit ihrer Tante half mir alles einbringen.

In der letzten Gesellschaft bei Hofe wurden wir alle durch ein langes Gespräch der Sternheim mit dem Fürsten besonders aufmerksam gemacht; ich hatte ihren Ton behorcht, welcher süß und einnehmend gestimmt war, und da ich nachdachte: was das Mädchen vorhaben möchte? sah ich den Fürsten ihre Hände ergreifen, und wie mich dünkte, eine küssen. Der Kopf wurde mir schwindlicht, ich verlor meine Karten, und legte mich voll Gift an ein Fenster; aber wie ich sie zum Spieltische ihrer Tante eilen und ihre Augen voller Bewegung und verwirrt auf das Spiel richten sah, näherte ich mich. Sie warf einen heftigen halbscheuen Blick nach mir. Ihre Tante fing an: Sie sähe ihr an, daß sie mit dem Fürsten für den Rat T* geredet habe: Das Fräulein bejahte es, sagte freudig, daß er ihr Gnade für die Familie versprochen, und setzte etwas von dem Notstande dieser Leute hinzu. Dieses faßte ich mir, um gleich den andern Tag etwas für sie zu tun, ehe der Fürst die Bitte der Sternheim erfüllte. Ich ging nach meiner Gewohnheit in dem Überrock meines Kerls an die Fenster des Speisesaals vom Grafen Löbau, weil ich alle Tage wissen wollte, wer mit meiner Schönen zur Nacht esse; kaum war ich in der Gasse, so sah ich Tragsessel kommen, die an dem Hause hielten: zwo ziemlich verkappte Frauenzimmer kamen an die Tür, und ich hörte die Stimme der Sternheim deutlich sagen, »zu Rat T* am S*** Garten«. Ich wußte das Haus, lief in mein Zimmer, holte mir Geld, und warf es, da sie noch da war, bei dem Rat T* durchs Fenster, an welchem das Fräulein saß, murmelte einige Worte von Freude über die Wohltätigkeit, und als man an die Türe kam, eilte ich davon. Zauberkraft war in meinen Worten; denn da ich zween Tage darauf dem Fräulein in Graf F*s Hause entgegenging, um ihr meine angenommene Ehrerbietung zu bezeugen, bemerkte ich, daß ihr schönes Auge sich mit einem Ausdruck von Achtung und Zufriedenheit auf meinem Gesichte verweilte; sie fing an mir etliche Worte auf englisch zu sagen, aber da sie sehr spat gekommen war, wurde ihr gleich vom jungen Grafen F* eine Karte zu ziehen angeboten; sie sah unschlüssig, wie durch eine Ahndung um, und zog einen König, der sie zur Partie des Fürsten bestimmte. »Mußte ich just diese ziehen«, sagte sie mit unmutiger Stimme; aber sie hätte lange wählen können, sie würde nichts als Könige gezogen haben, dann der Graf F* hatte keine andre Karten in der Hand, und ihre Tante war mit Bedacht spat gekommen, da alle Spieltische besetzt, und der Fürst just als von ungefähr in die Gesellschaft gekommen, und so höflich war, keinem sein Spiel nehmen zu wollen, sondern dem Zufall unter der Leitung des diskreten F. die Sorge übertrug, ihm jemand zu schaffen. Der französische Gesandte und die Gräfin F* machten die Partie mit; mein Pharaon erlaubte mir manchmal hinter den Stuhl des Fürsten zu treten, und meine Augen dem Fräulein etwas sagen zu lassen; bezaubernde, unnachahmliche Anmut begleitete alles, was sie tat, der Fürst fühlte es einst, als sie mit ihrer schönen Hand Karten zusammenraffte, so stark, daß er hastig die seinige ausstreckte, einen ihrer Finger faßte, und mit Feuer ausrief: »Ist es möglich, daß in P** alle diese Grazien erzogen wurden? Gewiß, Herr Marquis, Frankreich kann nichts Liebenswürdigers zeigen.«

Der Gesandte hätte kein Franzose und kein Gesandter sein müssen, wenn er es nicht bekräftiget hätte, wäre er auch nicht davon überzeugt gewesen; und meine Sternheim glühete von Schönheit und Unzufriedenheit. Denn die Blicke des Fürsten mögen noch lebhafter gewesen sein als der Ton, mit welchem er redete. Mein Mädchen mischte die Karte mit niedergeschlagnem Auge fort. Als sie selbige austeilte; machte ich eine Wendung; sie blickte mich an; ich zeigte ihr ein nachdenkendes trauriges Gesichte, mit welchem ich sie ansah, meine Augen auf den Fürsten heftete und mit schnellem Schritte mich an den Pharao-Tisch begab, wo sie mich spielen sehen konnte. Ich setzte stark, und spielte zerstreut; meine Absicht war, die Sternheim denken zu machen, daß meine Beobachtung der Liebe des Fürsten gegen sie Ursache an der Nachlässigkeit für mein Glück, und der scheinbaren Zerstreuung meiner Gedanken sei. Dieses konnte sie nicht anders als der Stärke meiner Leidenschaft für sie zuschreiben, und es ging, wie ich es haben wollte. Sie war auf alle meine Bewegungen aufmerksam. Als die Spiele geendigt waren, ging ich schwermütig zu dem Piquet, eben da das Fräulein ihr gewonnenes Geld zusammen faßte; es war viel und alles von dem Fürsten.

»Heute noch«, sagte sie, »sollen es die Kinder des Rat T* bekommen, denen ich sagen werde, daß Euere Durchlaucht ihnen zulieb es so großmütig verloren haben.«

Der Fürst sah sie lächelnd und vergnügt an, und ich riß mich aus dem Zimmer weg mit dem Entschluß, auf sie zu lauren, wenn sie zum Rat T* ginge, um mich dort einzudringen und ihr von meiner Liebe zu reden. Den ganzen Nachmittag hatte sie mich mit Tiefsinn und Heftigkeit wechselsweise behaftet gesehen; mein Eindringen konnte auf die Rechnung meiner starken Leidenschaft geschrieben werden. Ich habe ohnehin während meinem Aufenthalt in Deutschland gefunden, daß ein günstiges Vorurteil für uns darin herrschet, kraft dessen man von unsern verkehrtesten Handlungen auf das Gelindeste urteilt; ja, sie noch manchmal als Beweise unsrer großen und freien Seelen ansieht.

Bei dieser Kunst den Augenblick des Zufalls zu benutzen, habe ich mehr gewonnen als ich durch ein ganzes Jahr Seufzen und Winseln erhalten hätte. Lies diese Szene und bewundere die Gegenwart des Geistes und die Gewalt, die ich über meine sonst unbändige Sinnen in der ganzen halben Stunde hatte, die ich allein, ganz allein mit meiner Göttin in einem Zimmer war, und ihre schöne Figur in der allerreizendsten Gestalt vor mir sah. Sie war nach Hause gegangen, um ihr Oberkleid und ihren Kopfputz abzulegen, und warf nur einen großen Mantel und eine Kappe über sich, als sie sich zu Rat T* tragen ließ. Die Kappe, welche sie abzog, nahm allen Puder von ihren Kastanien-Haaren hinweg, und brachte auch die Locken etwas in Unordnung; ein kurzes Unterkleid; und die schöne erhöhete Farbe, die ihr mein Anblick und meine Unterredung gab, machten sie unbeschreiblich reizend.

Als sie einige Minuten da war, pochte ich an die Türe, und rief sachte nach der Madam T*. Sie kam; ich sagte ihr, daß ich Sekretär bei Mylord G. wäre, der mich mit einem Geschenk für ihre Familie zu dem Fräulein von Sternheim geschickt hätte, der ich es selbst übergeben solle, und mit ihr deswegen zu reden habe; die Frau hieß mich einen Augenblick warten, und lief hin, ihren Mann und ihre Kinder in ein ander Zimmer zu schaffen; sie winkte mir sodann. Ich Narr zitterte beinahe, als ich den ersten Schritt in die Türe trat; aber die kleine Angst, die das Mädchen befiel, erinnerte mich noch zu rechter Zeit an die Oberherrschaft des männlichen Geistes, und eine überbleibende Verwirrung mußte mir dazu dienen, mein gezwungenes Eindringen zu beschönen. Ehe sie sich von ihrem Erstaunen mich zu sehen erholen konnte, war ich zu ihren Füßen; machte in unsrer Sprache einige lebhafte Entschuldigungen wegen des Überfalls, und wegen des Schreckens, den ich ihr verursacht, aber es sei mir unmöglich gewesen noch länger zu leben, ohne ihr das Geständnis der lebhaftesten Verehrung zu machen, und daß, da mir durch Mylord G. die vielen Besuche in dem Hause ihres Oncles untersagt worden, und ich gleichwohl mit Augen gesehen, daß andere die Kühnheit hätten, ihr ihre Gesinnungen zu zeigen: so wollte ich nur das Vorrecht haben, ihr zu sagen, daß ich sie wegen ihrem seltenen Geist verehrte, daß ich Zeuge von ihrer ausübenden Tugend gewesen wäre, und sie allein mich an den Ausspruch des Weisen erinnert hätte, der gesagt, daß wenn die Tugend in sichtbarer Gestalt erschiene, niemand der Gewalt ihrer Reizungen würde widerstehen können; daß ich dieses Haus als einen Tempel betrachtete, in welchem ich zu ihren Füßen die Gelübde der Tugend ablegte, welche ich durch sie in ihrer ganzen Schönheit hätte kennenlernen, daß ich mich nicht würdig schätzte, ihr von Liebe zu reden, ehe ich mich ganz umgebildet hätte, wobei ich ihr Beispiel zum Muster nehmen würde. Meine Erscheinung und der Jast der Leidenschaften, in welchem ich zu ihr sprach, hatte sie wie betäubt, und auch anfangs etwas erzürnt; aber das Wort Tugend, welches ich etlichemal aussprach, war die Beschwörung, durch welche ich ihren Zorn besänftigte, und ihr alle Aufmerksamkeit gab, die ich nötig hatte, um mir ihre Eitelkeit gewogen zu machen. Ich sah auch, wie mitten unter den Runzeln, die der Unmut der jungfräulichen Sittsamkeit über ihre Stirne gezogen hatte, da sie mich etlichemal unterbrechen und forteilen wollte, mein Plato mit seiner sichtbar gewordenen Tugend diese ernsthaften Züge merklich aufheiterte und der feinste moralische Stolz auf ihren zur Erde geschlagnen Augen saß. Diese Bemerkung war mir für diesmal genug, und ich endigte meine ganz zärtlich gewordene Rede mit einer wiederholten demütigen Abbitte meiner Überraschung.

Sie sagte mit einer etwas zitternden Stimme: sie bekenne, daß mein Anblick und meine Anrede ihr sehr unerwartet gewesen sei, und daß sie wünschte, daß mich meine Gesinnungen, wovon ich ihr redete, abgehalten hätten, sie in einem fremden Hause zu überraschen.

Ich machte einige bewegliche Ausrufungen, und mein Gesicht war mit der Angst bezeichnet ihr mißfallen zu haben; sie betrachtete mich mit Sorgsamkeit und sagte: »Mylord; Sie sind der erste Mann, der mir von Liebe redt, und mit dem ich mich allein befinde; beides macht mir Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlassen, und mir dadurch eine Probe der Hochachtung zu zeigen, die Sie für meinen Charakter zu haben vorgeben.«

» Vorgeben! O Sternheim, wenn es vorgebliche Gesinnungen wären, so hätte ich mehr Vorsicht gebraucht um mich gegen Ihren Zorn zu bewahren. Anbetung und Verzweiflung war's, die mich zu der Verwegenheit führten hieher zu kommen; sagen Sie, daß Sie mir meine Verwegenheit vergeben und meine Verehrung nicht verwerfen.«

»Nein, Mylord, die wahre Hochachtung des rechtschaffenen Mannes werde ich niemals verwerfen; aber wenn ich die Ihrige erhalten habe, so verlassen Sie mich.«

Ich erhaschte ihre Hand, küßte sie und sagte zärtlich und eifrig: »Göttliches, anbetungswertes Mädchen! Ich bin der erste Mann, der dir von Liebe redet: O wenn ich der erste wäre, den du liebtest!«

Seymour fiel mir ein, es war gut, daß ich ging; an der Tür legte ich mein Paquet Geld hin, und sagte zurück: »Geben Sie es der Familie.«

Sie sah mir mit einer leutseligen Miene nach; und seitdem habe ich sie zweimal in Gesellschaften gesehen, wo ich mich in einer ehrerbietigen Entfernung halte und nur sehr gelegen etliche Worte von Anbetung, Kummer oder so etwas sage, und wenn sie mich sehen oder hören kann, mich sehr weislich und züchtig aufführe.

Von Mylord G. weiß ich, daß man bei Hof verschiedene Anschläge macht, ihren Kopf zu gewinnen; das Herz, denken sie, haben sie schon; weil sie gerne Gutes tut, und ihr der Fürst alles bewilligen wird. Man hält in ihrer Gegenwart immer Unterredungen von der Liebe und galanten Verbindungen, die man leicht, und was man in der Welt »philosophisch« heißt, beurteilt. Alles dieses dient mir; denn je mehr sich die andern bemühen, ihre Begriffe von Ehre und Tugend zu schwächen, und sie zum Vergessen derselben zu verleiten; je mehr wird sie gereizt mit allem weiblichen Eigensinn ihre Grundsätze zu behaupten. Die trockne Höflichkeit des Mylord G., die argwöhnische und kalte Miene des Seymour beleidigt die Überzeugung, die sie von dem Werte ihrer Tugend hat. Ich beweise ihr Ehrerbietung; ich bewundere ihren seltnen Charakter, und achte mich nicht würdig ihr von Liebe zu reden, bis ich nach ihrem Beispiel umgebildet sein werde, und so werde ich sie, in dem Harnisch ihrer Tugend und den Banden der Eigenliebe verwickelt zum Streit mit mir untüchtig sehen; wie man die Anmerkung von den alten Kriegsrüstungen machte, unter deren Last endlich der Streiter erlag und mit seinem schönen festen Panzer gefangen wurde. Sage mir nichts mehr von der frühen Sättigung, in welche mich der so lange gesuchte Genuß der schönen frommen *** brachte, und daß mich, nach aller Mühe, mit dieser Tugend das nämliche Schicksal erwarte. Du bist weit entfernt eine richtige Idee von der seltenen Kreatur zu haben, von der ich Dir schreibe. Eine zärtliche Andächtige hat freilich ebenso viel übertriebne Begriffe von der Tugend als meine Sternheim, und es ist angenehm alle diese Gespenster aus einer liebenswürdigen Person zu verjagen; aber der Unterschied ist dieser; so wie die Devote bloß aus Zärtlichkeit für sich selbst den schrecklichen Schmerzen der Hölle durch Frömmigkeit zu entfliehen und hingegen den Genuß der ewigen Wonne zu erhalten sucht, folglich aus lauter Eigennutz tugendhaft ist, und Furcht der Hölle und Begierde nach dem Himmel, allein aus dem feinen Gefühl ihrer Sinnen quillt: So kann auch ihre Ergebung an einen Liebhaber, allein aus der Vorstellung des Vergnügens der Liebe kommen; denn wenn die Sinnen nicht so viel bei frommen Leuten gälten, woher kämen wohl die sinnlichen Beschreibungen ihrer himmlischen Freuden, und woher die entzückte Miene, mit welcher sie Leckerbissen verkäuen?

Aber meine Moralistin ist ganz anders gestimmt; sie setzt ihre Tugend und Ihre Glückseligkeit in lauter Handlungen zum Besten des Nebenmenschen. Pracht, Gemächlichkeit, delikate Speisen, Ehrenbezeugungen, Lustbarkeiten – nichts kann bei ihr dem Vergnügen Gutes zu tun, die Waagschale halten, und aus diesem Beweggrunde wird sie einst die Wünsche ihres Verehrers krönen, und das nämliche Nachdenken, das sie hat, alles Übel der Gegenstände ihrer Wohltätigkeit zu erleichtern und neues Glück für sie zu schaffen, dieses Nachdenken wird sie auch zur Vergrößerung meines Vergnügens verwenden, und ich halte für unmöglich, daß man ihrer satt werden sollte. Doch in kurzer Zeit werde ich Dir Nachricht davon geben können, denn die Komödie eilt zum Schlusse, weil die Leidenschaft des Fürsten so heftig wird, daß man die Anstalten zu ihrer Verwicklung eifriger betreibt, und Feste über Feste veranstaltet.


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