Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Fräulein von Sternheim an Emilia

Ich komme von der angenehmsten Reise zurück, die ich jemals mit meiner Tante gemacht habe. Wir waren zehn Tage bei dem Grafen von T*** auf seinem Schlosse, und haben da die verwittibte Gräfin von Sch*, welche immer da wohnt, zwei andere Damen von der Nachbarschaft, und zu meiner unbeschreiblichen Freude den Herrn ** gefunden, dessen vortreffliche Schriften ich schon gelesen, und so viel Feines für mein Herz und meinen Geschmack daraus erlernt hatte. Der ungezwungene ruhige Ton seines Umgangs, unter welchen er seinen Scharfsinn und seine Wissenschaft verbirgt; und die Gelassenheit, mit welcher er sich in Zeitvertreibe und Unterredungen einflechten ließ, die der Größe seines Genies und seiner Kenntnisse ganz unwürdig waren, erregten in mir für seinen leutseligen Charakter die nämliche Bewunderung, welche die übrige Welt seinem Geiste widmet. Immer hoffte ich auf einen Anlaß, den man ihm geben würde, uns allen etwas Nützliches von den schönen Wissenschaften, von guten Büchern, besonders von der deutschen Literatur zu sagen, wodurch unsere Kenntnisse und unser Geschmack hätte verbessert werden können; aber wie sehr, meine Emilia, fand ich mich in meiner Hoffnung betrogen! Niemand dachte daran, die Gesellschaft dieses feinen, gütigen Weisen für den Geist zu benützen; man mißbrauchte seine Geduld und Gefälligkeit auf eine unzählbare Art mit geringschätzigen Gegenständen, auf welchen der Kleinigkeitsgeist haftet, oder mit neu angekommenen französischen Broschüren, wobei man ihm übel nahm, wenn er nicht darüber in Entzückung geriet, oder wenn er auch andre Sachen nicht so sehr erhob, als man es haben wollte. Oh! wie geizte ich nach jeder Minute, die mir dieser hochachtungswerte Mann schenkte; wenn er mit dem liebreichsten, meiner Wißbegierde und Empfindsamkeit angemeßnen Tone meine Fragen beantwortete, oder mir vorzügliche Bücher nannte, und mich lehrte, wie ich sie mit Nutzen lesen könne. Mit edler Freimütigkeit sagte er mir einst: ob sich schon Fähigkeiten und Wissensbegierde in beinahe gleichem Grade in meiner Seele zeigten, so wäre ich doch zu keiner Denkerin geboren; hingegen könnte ich zufrieden sein, daß mich die Natur durch die glücklichste Anlage, den eigentlichen Endzweck unsers Daseins zu erfüllen, dafür entschädiget hätte; dieser bestehe eigentlich im Handeln, nicht im Spekulieren;Wohlverstanden, daß die Spekulationen der Gelehrten, sobald sie einigen Nutzen für die menschliche Gesellschaft haben, eben dadurch den Wert von guten Handlungen bekommen.    H. und da ich die Lücken, die andre in ihrem moralischen Leben und in dem Gebrauch ihrer Tage machen, so leicht und fein empfände, so sollte ich meine Betrachtungen darüber durch edle Handlungen, deren ich so fähig sei, zu zeigen suchen.Herr ** (den wir zu kennen die Ehre haben) hat uns auf Befragen gesagt, seine Meinung sei eigentlich diese gewesen: Er habe an dem Fräulein von St. eine gewisse Neigung über moralische Dinge aus allgemeinen Grundsätzen zu räsonieren, Distinktionen zu machen, und ihren Gedanken eine Art von systematischer Form zu geben, wahrgenommen, und zugleich gefunden, daß ihr gerade dieses am wenigsten gelingen wolle. Ihn habe bedünkt, das, worin ihre Stärke liege, sei die Feinheit der Empfindung, der Beobachtungsgeist, und eine wunderbare, und gleichsam zwischen allen ihren Seelenkräften abgeredete Geschäftigkeit derselben, bei jeder Gelegenheit die Güte ihres Herzens tätig zu machen; und dieses habe er eigentlich dem Fräulein von St. sagen wollen.    H.

Niemals, meine Emilia, war ich glücklicher als zu der Zeit, da dieser einsichtsvolle Ausspäher der kleinsten Falten des menschlichen Herzens, dem meinigen das Zeugnis edler und tugendhafter Neigungen beilegte. Er verwies mir, mit der achtsamsten Güte, meine Zaghaftigkeit und Zurückhaltung in Beurteilung der Werke des Geistes, und schrieb mir eine richtige Empfindung zu, welche mich berechtigte, meine Gedanken so als andre zu sagen. Doch bat er mich weder im Reden noch im Schreiben einen männlichen Ton zu suchen. Er behauptete, daß es die Wirkung eines falschen Geschmacks sei, männliche Eigenschaften des Geistes und Charakters in einem Frauenzimmer vorzüglich zu loben. Wahr sei es, daß wir überhaupt gleiche Ansprüche wie die Männer an alle Tugenden und an alle die Kenntnisse hätten, welche die Ausübung derselben befördern, den Geist aufklären oder die Empfindungen und Sitten verschönern; aber daß immer in der Ausübung davon die Verschiedenheit des Geschlechts bemerkt werden müsse. Die Natur selbst habe die Anweisung hiezu gegeben, als sie z. E. in der Leidenschaft der Liebe den Mann heftig, die Frau zärtlich gemacht; in Beleidigungen jenen mit Zorn, diese mit rührenden Tränen bewaffnet; zu Geschäften und Wissenschaften dem männlichen Geiste Stärke und Tiefsinn, dem weiblichen Geschmeidigkeit und Anmut; in Unglücksfällen dem Manne Standhaftigkeit und Mut, der Frau Geduld und Ergebung vorzüglich mitgeteilt; im häuslichen Leben jenem die Sorge für die Mittel die Familie zu erhalten, und dieser die schickliche Austeilung derselben aufgetragen habe, usw. Auf diese Weise, und wenn ein jeder Teil in seinem angewiesnen Kreise bleibe, liefen beide in der nämlichen Bahn, wiewohl in zwoen verschiednen Linien, dem Endzweck ihrer Bestimmung zu; ohne daß durch eine erzwungene Mischung der Charakter die moralische Ordnung gestört würde. – Er suchte mich mit mir selbst und meinem Schicksale, über welches ich Klagen führte, zufrieden zu stellen; und lehrte mich, immer die schöne Seite einer Sache zu suchen, den Eindruck der widrigen dadurch zu schwächen, und auf diese nicht mehr Aufmerksamkeit zu wenden, als vonnöten sei, den Reiz und Wert des Schönen und Guten desto lebhafter zu empfinden.

O Emilia! in dem Umgang dieses Mannes sind die besten Tage meines Geistes verflossen! Es ist etwas in mir, das mich empfinden läßt, daß sie nicht mehr zurückkommen werden, daß ich niemals so glücklich sein werde nach meinen Wünschen und Neigungen, so einfach, so wenig fodernd sie sind, leben zu können! Schelten Sie mich nicht gleich wieder über meine zärtliche Kleinmütigkeit; vielleicht ist die Abreise des Herrn ** daran Ursache, die für mich eine abscheuliche Leere in diesem Hause läßt. Er kommt nur manchmal hieher. Wie Pilgrime einen verfallenen Platz besuchen, wo ehemals ein Heiliger wohnte, besucht er dieses Haus, um noch den Schatten des großen Mannes zu verehren, der hier lebte, dessen großen Geist und erfahrne Weisheit er bewunderte, der sein Freund war und ihn zu schätzen wußte.

Den Tag nach seiner Abreise langte ein kleiner französischer Schriftsteller an, den ein Mangel an Pariser Glück und die seltsame Schwachheit unsers Adels die französische Belesenheit immer der deutschen vorzuziehen in dieses Haus führte. Die Damen machten viel Wesens aus der Gesellschaft eines Mannes, der geradenwegs von Paris kam, viele Marquisinnen gesprochen hatte, und ganze Reihen von Abhandlungen über Moden, Manieren und Zeitvertreibe der schönen Pariser Welt zu machen wußte; der bei allen Frauenzimmerarbeiten helfen konnte, und der galanten Wittib sein Erstaunen über die Delikatesse ihres Geistes und über die Grazien ihrer Person und ihrer gar nicht deutschen Seele in allen Tönen und Wendungen seiner Sprache vorsagte.

So angenehm es mir anfangs war, ein Urbild der Gemälde zu sehen, die mir schon oft in Büchern von diesen Mietgeistern der Reichen und Großen in Frankreich vorgekommen waren; so wurde ich doch schon am vierten Tag seiner leeren, und nur in andern Worten wiederholten Erzählungen von Meubles, Putz, Gastereien und Gesellschaften in Paris herzlich müde. Aber die Szene wechselte bei der Rückkunft des Herrn **, der sich die Mühe nahm, diesen aus Frankreich berufenen Hausgeist an den Platz seiner Bestimmung zu setzen.

Das Gepränge, womit das sklavische Vorurteil, so unser Adel für Frankreich hat, dem Herrn ** den Pariser vorstellte; das Gezier, die Selbstzufriedenheit, womit der Franzose sich als den Autor sehr artiger und beliebter Büchergen anpreisen hörte, würde meine Emilia, wie mich, geärgert haben.

Aber wie schön leuchtete die Bescheidenheit unsers weisen Landsmannes hervor, der mit der Menschenfreundlichkeit, womit der echte Philosoph die Toren zu ertragen pflegt, den Eindruck verhehlte, den der fade Belesprit auf ihn machen mußte, ja sogar sich mit wahrer Herablassung erinnerte, eines von seinen Schriftchen gelesen zu haben.

Mir schien der ganze Vorgang, als ob ein armer Prahler mit lächerlichem Stolze dem edeln Besitzer einer Goldmine ein Stückgen zackigt ausgeschnittenes Flittergold zeigte, es zwischen seinen Fingern hin und her wendete, und sich viel mit dem Geräusche zugute täte, so er damit machen könnte, und wozu freilich der Vorrat gediegenen Golds des edelmütigen Reichen nicht tauglich ist; aber dieser lächelte den Toren mit seinem Spielwerk leutselig an, und dächte, es schimmert und tönt ganz artig, aber du mußt es vor dem Feuer der Untersuchung und dem Wasser der WiderwärtigkeitIch habe so viel Wahres und zugleich dem eigentümlichen Charakter des Geistes der Fräulein von St. so Angemessenes in diesem Gleichnisse gefunden, daß ich mich nicht entschließen konnte, etwas daran zu ändern, ungeachtet ich sehr wohl empfinde, daß das ›Feuer der Untersuchung‹ und das ›Wasser der Widerwärtigkeit‹ keine Gnade vor der Kritik finden können, und würklich in Bunyans »Pilgrimsreise« besser an ihrem Platze sind als in diesem Buche.    H. bewahren, wenn dein Vergnügen dauerhaft sein soll.

Herr ** fragte den Bel-esprit nach den großen Männern in Frankreich, deren Schriften er gelesen hätte und hochschätzte; aber er kannte sie, wie wir andern, nur dem Namen nach, und schob immer anstatt eines Mannes von gelehrten Verdiensten den Namen eines reichen oder großen Hauses ein.

Ich, die schon lange über den übeln Gebrauch, den man von der Gesellschaft und Gefälligkeit des Herrn machte, erbost war, zumal da ihn dem ungeachtet alle um sich haben wollten, und mich wie neidisch sumsende Wespen hinderten, etwas Honig für mich zu sammeln, auch nur den Pariser immer reden machten: ich warf endlich die Frage auf: was für einen Gebrauch die französischen Damen von dem Umgang ihrer Gelehrten machten? Ich vernahm aus der Antwort,

sie lernten von ihnen:

die Schönheiten der Sprache und des Ausdrucks;

von allen Wissenschaften eine Idee zu haben, um hie und da etliche Worte in die Unterredung mischen zu können, die ihnen den Ruhm vieler Kenntnisse erhaschen hälfen;

wenigstens die Namen aller Schriften zu wissen, und etwas, das einem Urteil gleiche, darüber zu sagen;

sie besuchten auch mit ihnen die öffentlichen physikalischen Lehrstunden, wo sie ohne viele Mühe sehr nützliche Begriffe sammelten;

ingleichem die Werkstätte der Künstler, deren Genie für Pracht und Vergnügen arbeitet, und alles dieses trüge viel dazu bei, ihre Unterredungen so angenehm und abwechselnd zu machen.

Da fühlte ich mit Unmut die vorzügliche Klugheit der französischen Eigenliebe, die sich in so edle nützliche Auswüchse verbreitet. Immer genug, wenn man begierig ist die Blüte der Bäume zu kennen; bald wird man auch den Wachstum und die Reife der Früchte erforschen wollen.

Wie viel hat diese Nation voraus, denn nichts wird schneller allgemein als der Geschmack des Frauenzimmers.

Warum brachten seit so vielen Jahren die meisten unserer Kavaliere von ihren Pariser Reisen ihren Schwestern und Verwandtinnen, unter tausenderlei verderblichen Modenachrichten, nicht auch diese mit, die alles andere verbessert hätte? Aber da sie für sich nichts als lächerliche und schädliche Sachen sammeln, wie sollten sie das Anständige und Nutzbare für uns suchen?

Ich berechnete noch überdies den Gewinn, den selbst das Genie des Gelehrten durch die Fragen der lehrbegierigen Unwissenheit erhält, die ihn oft auf Betrachtung und Nachdenken über eine neue Seite gewisser Gegenstände führt, die er als gering übersah, oder die, weil sie allein an das Reich der Empfindungen grenzte, von einem Frauenzimmer eher bemerkt wurde als von Männern. Gewiß ist es, daß die Bemühung andere in einer Kunst oder Wissenschaft zu unterrichten, unsere Begriffe feiner, deutlicher und vollkommener macht. Ja, sogar des Schülers verkehrte Art etwas zu fassen, die einfältigsten Fragen desselben können der Anlaß zu großen und nützlichen Entdeckungen werden; wie diese von dem Gärtner zu Florenz, über die bei abwechselnder Witterung bemerkte Erhöhung oder Erniedrigung des Wassers in seinem Brunnen, die vortreffliche Erfindung des Baromets veranlaßte. Aber ich komme zu weit von dem liebenswürdigen Deutschen weg, dessen feines und mit unendlichen Kenntnissen bereichertes Genie in unserer aus so verschiednen Charakteren zusammengesetzten Gesellschaft, moralische Schattierfarben zu seinen reizenden Gemälden der Menschen sammelte. Er sagte mir dieses, als ich seine Herablassung zu manchen nichtsbedeutenden Gesprächen lobte.

Mit Entzücken lernte ich in ihm das Bild der echten Freundschaft kennen, da er mir von einem hochachtungswürdigen Manne erzählte, der von dem ehemaligen Besitzer dieses Hauses erzogen worden, und als ein lebender Beweis der unzähligen Fähigkeiten unsers Geistes anzuführen sei; weil er die Wissenschaft des feinsten Staatsmannes mit aller Gelehrsamkeit des Philosophen, des Physikers und des schönen Geistes verbände, alle Werke der Kunst gründlich beurteilen könne, die Staatsökonomie und Landwirtschaft in allen ihren Teilen verstehe, verschiedene Sprachen gut rede und schreibe, ein Meister auf dem Klavier und ein Kenner aller schönen Künste sei, und mit so vielen Vollkommenheiten des Geistes das edelste Herz und den großen Charakter eines Menschenfreundes in seinem ganzen Umfang verbinde – –.

Sie sehen aus diesem Gemälde, ob Herr ** Ursache hat, die Freundschaft eines solchen Mannes für das vorzügliche Glück seines Lebens zu halten! Und Sie werden sich mit mir über die Entschließung freuen, welche er gefaßt hat, den ältesten Sohn seines Freundes an den seit kurzem veränderten Ort seiner Bestimmung mitzunehmen. Durch die halbe Länge Deutschlandes von den Freunden seines Herzens entfernt, will er alle die Gesinnungen, die er für die Eltern hat, auf das Haupt dieses Knaben versammeln; ihn zu einem tugendhaften Mann erziehn, und dadurch, weit von seinen Freunden, die Verbindung seines Herzens mit den ihrigen unterhalten. O Emilia! Was ist Gold? was sind Ehrenstellen, die die Fürsten manchmal dem Verdienste zuteilen, gegen diese Gabe der Freundschaft des Herrn ** an den Sohn seiner glücklichen Freunde? Wie sehr verehrt ihn mein Herz! Wie viele Wünsche mache ich für seine Erhaltung! Und wie selig müssen seine Abendstunden nach so edel ausgefüllten Tagen sein!

Mein Brief ist lang; aber meine Emilia hat eine Seele, die sich mit Ergötzen bei der Beschreibung einer übenden Tugend verweilt, und mir Dank dafür weiß. Herr ** reiste abends weg, und wir, zu meinem Vergnügen, den zweeten Morgen darauf. Denn jeder Platz des Hauses und Gartens, wo ich ihn gesehen hatte, und itzt mit Schmerzen vermißte, stürzte mich in einen Anfall innerlicher Traurigkeit, die mir an unserm Hof nicht vermindert wird. Doch ich will nach seinem Rat immer die schöne Seite meines Schicksals suchen, und Ihnen in Zukunft nur diese zeigen.

Nun muß ich mich zu einem Fest anschicken, welches Graf F* auf seinem Landgut geben wird. Ich liebe die aufgehäuften Lustbarkeiten nicht; aber man wird tanzen, und Sie wissen, daß ich von allen andern Ergötzungen für diese die meiste Neigung habe. –


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