Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Madam Leidens an Emilia

Sagen Sie, meine Emilia, woher kömmt es, daß man auch bei der besten Gattung Menschen eine Art von eigensinniger Befolgung eines Vorurteils antrifft. Warum darf ein edeldenkendes, tugendhaftes Mädchen nicht zuerst sagen, diesen würdigen Mann liebe ich? Warum vergibt man ihr nicht, wenn sie ihm zu gefallen sucht, und sich auf alle Weise um seine Hochachtung bemühet?Diese Frage ist eben nicht schwer zu beantworten; das edeldenkende, tugendhafte Mädchen darf dies nicht, weil man keine eigene Moral für sie machen kann.

Den Anlaß dieser Fragen gab mir Lord Rich, dessen Geist alle Fesseln des Wahns abgeworfen zu haben scheint, und der allein der wahren Weisheit und Tugend zu folgen denkt. Er bezeugt eine Art Widerwillen gegen die zärtliche Neigung, der Miß Emma, von welcher er doch allezeit mit der größten Achtung sprach, ihren Verstand, ihr Herz rühmte, alle ihre Handlungen seines Beifalls würdigte, und den ihrigen liebte. Nun setzt er der sanften Glut, die seine Verdienste in ihrem Herzen angefacht haben, nichts als die kälteste Heftigkeit entgegen; und gewiß aus dem nämlichen Eigensinne fängt er an, mir, die ich außer meiner Hochachtung für seine Kenntnisse ganz gleichgültig gesinnt bin, eine anhaltende zärtliche Aufmerksamkeit, die mir Zwang antut, zu bezeigen. Ich unterdrücke zehnmal die Aussprüche einer Empfindung, oder eines Gedankens, nur um seinen Beifall zu vermeiden, und nicht einen Tropfen Öl wissentlich in das anglimmende Feuer zu gießen. Denn, da ich nicht geneigt bin, seine Liebe anzunehmen, warum sollte ich sie meiner weiblichen Eitelkeit zu Gefallen vergrößern? Wir werden heute nach Mittag zu ihm gehen, um einem neuen Versuch von Besäung der Acker mit einer Maschine zuzuschauen. Meine Lady ist gar zu gerne dabei, wenn etwas umgegraben oder gepflanzet wird, »jeder Tag«, sagt sie, »führt mich näher zu der Vereinigung mit unserer mütterlichen Erde, und ich glaube, daß dieses meine innerliche Neigung gegen sie bestärkt.« Ich würde, liebste Emilia, einen glücklichen Tag gehabt haben, wenn nicht der Zufall wider mich und den guten Lord Rich gearbeitet hätte. Der Pfarrer war da, ich kam neben ihm zu sitzen, als uns Lord Rich von dem Feldbau und der Verschiedenheit der Erde, und der daher erforderlichen Verschiedenheit des Anbaues redte. Sein Ton war edel, einfach, und deutlich; er erzählte uns von den vielfachen Erfindungen, wozu der schlechte Ertrag der Güter die Landleute dieser und jener Nation getrieben hätte, und wie weit ihre Mühe belohnet worden sei. Da er zu reden aufhörte, konnte ich mich nicht hindern dem Pfarrer zuzulispeln, daß ich wünschte, die Moralisten möchten durch ihre Kenntnis der verschiedenen Stärke und Gattung angeborner Neigungen und Leidenschaften auch auf Vorschriften der mannichfaltigen Mittel geraten, wie alle auf ihre Art nützlich und gut gemacht werden könnten.

»Es ist schon lang geschehen«, sagte er, »aber es gibt zu viel unverbesserlichen moralischen Boden, wo der beste Bau und Samen verloren ist.«

»Es ist mir leid«, erwiderte ich; »daß ich denken muß, es gebe in der moralischen Welt auch sandige Striche, in denen nichts wächst – Heiden, die kaum kleines trocknes Gesträuche hervorbringen, und morastige Gegenden, welche die allgemeine moralische Verbesserung ebenso weit hinaussetzen, wie in der physikalischen viele Menschenalter vorbeigehen, ehe Not und Umstände sich vereinigen, den Sand mit Bäumen und Hecken durchzuziehen, um dadurch wenigstens zu verhindern, daß ihn der Wind nicht auf gutes Land treibe, und auch dieses verderbe. Lange braucht's, bis man Heiden anbaut, Morästen ihr Wasser abzapft, und sie nützlich macht; dennoch beweisen alle Ihre Versuche, daß die Tugend der Nutzbarkeit in der ganzen Erde liege, wenn man nur die Hindernisse ihrer Wirkung wegnimmt. Der Grundstoff der moralischen Welt hält gewiß auch durchgehends die Fähigkeiten der Tugend in sich; aber sein Anbau wird oft vernachlässiget, oft verkehrt angefangen, und dadurch Blüte und Früchte verhindert. Die Geschichte beweist es, wie mich dünkt. Barbarische Völker werden edel, tugendhaft; andere, die es waren, durch Nachlässigkeit wieder verwildert: wie ein Acker, der einst Weizen trug, und eine ganze Familie ernährte, durch Unterlassung des Anbaues Dornbüsche und schädliches Gehecke zu tragen anfängt.« Mit ruhiger Geduld hörte der Pfarrer mir zu; aber Lord Rich, der sich hinter uns gesetzt hatte, stund auf einmal lebhaft auf, und indem er mich über meinen Stuhl bei den Armen faßte, sagte er gerührt. »Madam Leidens, was haben Sie mit dem Ton Ihres Herzens in der großen Welt gemacht? Sie können nicht glücklich darin gewesen sein.« – »Dannoch Mylord«, antwortete ich: »Man lernt da die wahre Verschiedenheit zwischen Geist und Herz kennen, und sieht, daß der erste als ein schöner Garten angelegt werden kann.« Mit Enthusiasmus sagte er:

»Edelangebaute Seele, in einer gesegneten Gegend bist du erwachsen, und die schöne Menschlichkeit pflegte dich!«

Aus Bewegung meines Herzens küßte ich die Bildnisse meiner Eltern, die ich immer an meinen Händen trage; Tränen fielen auf sie; ich ging ans Fenster; Lord Rich folgte mir; eine anteilnehmende Traurigkeit war in seinen Zügen, als ich nach einigen Minuten ihn ansah, und er seine Blicke auf die Bilder heftete. »Dies sind die Bildnisse Ihrer Eltern, Madam Leidens, leben sie noch? –« sagte er sanft. – »Oh, nein, Mylord, sonst wäre ich nicht hier, und meine Augen würden nur Freudentränen zu vergießen haben.« – »Also hat Sie ein Sturm nach England geführt?« – »Nein, Mylord, denn Freundschaft und freie Wahl ist kein Sturm«, versetzte ich, indem ich mich zu lächeln bemühte. Lebhaft sagte Lord Rich, »Dank sei Ihrer halben Aufrichtigkeit, daß sie mich Ihrer Freiheit zu wählen versichert. Die edelste Neigung, welche jemals ein Mann ernährte, wird auf diesen Grund ihre Hoffnung bauen.« – »Das kann nicht sein, Mylord, denn ich sage Ihnen, daß die Eigentümerin dieses Grunds auf ewig mit der Hoffnung entzweiet ist.« Lady Summers war bei uns, als ich dieses sagte, und streckte bei den letzten Worten ihre Hand aus, mir den Mund zuzuhalten; »das sollen Sie nicht sagen«, sprach sie; »wollen Sie eigenmächtig die künftigen Tage zu den vergangenen werfen? Die Vorsicht wird Ihrer nicht vergessen, meine Liebe, machen Sie nur keine eigensinnigen Foderungen an sie.« Dieser Vorwurf machte mich aus Empfindlichkeit erröten, ich küßte die Hand der Lady, mit welcher sie meinen Mund hatte zuhalten wollen, und fragte sie zärtlich: »Teure Lady, wenn Sie mich eigensinnig in meinen Foderungen gefunden?« – »In Ihrer beständigen Traurigkeit über das Vergangene, wo Sie Zurückfoderungen aus dem Reiche der Toten machen«, war ihre Antwort. – »O meine geliebte würdige Lady Summers, warum, ach – warum –« Diese Ausrufung entfloh mir, weil ich, gerührt über ihre Güte, innig bedauerte, daß wir sie durch eine falsche Erzählung betrügen mußten; aber sie nahm es anders, und fiel mir ein. »Meine Tochter, sagen Sie mir kein ›Ach warum‹ mehr; leiten Sie das Gefühl Ihres Herzens auf die Gegenstände der Zufriedenheit, die sich Ihnen anbieten, und zählen Sie auf meine mütterliche Zärtlichkeit, solange Sie sie genießen mögen.« Ich drückte ihre Hand an meine Brust, und sah sie voll Rührung an mit dem vollkommnesten Gefühle kindlicher Liebe; ihr Herz empfand es, und belohnte mich durch eine mütterliche Umarmung. Lord Rich hatte uns mit Bewegung betrachtet, und ich sah den nämlichen Augenblick die schönen Augen der Emma voll schmelzender Liebe auf ihn geheftet; ich sagte ihm auf italienisch, dort wären unvermischte Empfindungen, die allein fähig sein, die Tage eines edeldenkenden Mannes mit der feinsten Glückseligkeit zu erfüllen. Er antwortete in nämlicher Sprache: »Nicht so, Madam Leidens, denn diese Art Empfindlichkeit ist nicht diejenige, welche eine einsamwohnende Person beglücken kann.« Was wollte er damit sagen? Ich schüttelte den Kopf halb mißvergnügt und sagte nur: »O Mylord, von was für einer Farbe sind Ihre Empfindungen?« – »Von der allerdauerhaftesten, denn sie sind aus übender Tugend entstanden.« – Ich gab keine Antwort, sondern wandte mich, nach einer Verbeugung gegen ihn, zur Emma, die an meinem Arm, aber ganz in ein trauriges Stillschweigen gehüllt, nach Summerhall zurückging; und nun höre ich, daß sie wegreisen wird.


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