Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Mylord Seymour an den Doktor T**

Lieber Freund, ich hörte Sie oft sagen, die Beobachtungen, die Sie auf Ihren Reisen durch Deutschland über den Grundcharakter dieser Nation gemacht, hätte in Ihnen den Wunsch hervorgebracht, auf einer Seite den Tiefsinn unsrer Philosophen mit dem methodischen Vortrag der Deutschen, und auf der andern das kalte und langsam gehende Blut ihrer übrigen Köpfe, mit der feurigen Einbildungskraft der unsern, vereinigt zu sehen. Sie suchten auch lang eine Mischung in mir hervorzubringen, wodurch meine heftige Empfindungen möchten gemildert werden, indem Sie sagten, daß dieses die einzige Hindernis sei, warum ich in den Wissenschaften, die ich doch liebte, niemals zu einer gewissen Vollkommenheit gelangen würde. Sie gingen sanft und gütig mit mir um, weil Sie durch die Zärtlichkeit meines Herzens den Weg zu der Biegsamkeit meines Kopfs finden wollten; ich weiß nicht, mein teurer Freund, wie weit Sie damit gekommen sind; Sie haben mich das wahre Gute und Schöne erkennen und lieben gelehrt, ich wollte auch immer lieber sterben, als etwas Unedles oder Bösartiges tun, und doch zweifle ich, ob Sie mit der Ungeduld zufrieden sein würden, mit welcher ich das Ansehen meines Oheims über mich ertrage. Es deucht mir eine dreifache Last zu sein, die meine Seele in allen ihren Handlungen hindert: Mylord G. als Oheim, als reicher Mann, den ich erben soll, und als Minister, dem mich meine Stelle als Gesandtschaftsrat unterwirft. Fürchten Sie dennoch nicht, daß ich mich vergesse oder Mylorden beleidige; nein, so viel Gewalt habe ich über meine Bewegungen; sie werden durch nichts anders sichtbar, als eine tötende Melancholie, die ich vergebens zu unterdrücken suche; aber warum mache ich so viele Umschweife, um Ihnen am Ende meines Briefs etwas zu sagen, das ich gleich anfangs sagen wollte, daß ich in einer jungen Dame die schöne und glückliche Mischung der beiden Nationalcharaktere gesehen habe. Ihre Großmutter mütterlicher Seite war eine Tochter des alten Sir Watson, und ihr Vater, der verdienstvolleste Mann, dessen Andenken in dem edelsten Ruhme blühte. Diese junge Dame ist eine Freundin des Fräulein C*, von welchem ich Ihnen schon geschrieben habe, das Fräulein Sternheim ist aber erst seit einigen Wochen hier, und zwar zum erstenmal; vorher war sie immer auf dem Lande gewesen. Erwarten Sie keine Ausrufungen über ihre Schönheit; aber glauben Sie mir, wenn ich sage, daß alle mögliche Grazien, deren die Bildung und Bewegung eines Frauenzimmers fähig ist, in ihr vereinigt sind: eine holde Ernsthaftigkeit in ihrem Gesicht, eine edle anständige Höflichkeit in ihrem Bezeugen, die äußerste Zärtlichkeit gegen ihre Freundin, eine anbetungswürdige Güte und die feinste Empfindsamkeit der Seele; ist dies nicht die Stärke des englischen Erbes von ihrer Großmutter?Ich habe der kleinen Parteilichkeit des Fräulein von Sternheim für die englische Nation bereits in der Vorrede als eines Fleckens erwähnt, den ich von diesem vortrefflichen Werke hätte wegwischen mögen, wenn es ohne zu große Veränderungen tunlich gewesen wäre. – Wenn wir den weisesten Engländern selbst glauben dürfen, so ist eine Dame von so schöner Sinnesart als Fräulein St., in England nicht weniger selten als in Deutschland. Doch, hier spricht ein junger Engländer, welcher billig für seine Nation eingenommen sein darf, und ein Enthusiast, der das Recht hat, zuweilen unrichtig zu räsonieren.    A. d. H. Einen mit Wissenschaft und richtigen Begriffen gezierten Geist ohne das geringste Vorurteil, männlichen Mut Grundsätze zu zeigen und zu behaupten, viele Talente mit der liebenswürdigsten Sittsamkeit verbunden; dieses gab ihr der rechtschaffene Mann, der das Glück hatte ihr Vater zu sein. Nach dieser Beschreibung, mein Freund, können Sie den Eindruck beurteilen, welchen sie auf mich machte. Niemals, niemals ist mein Herz so eingenommen, so zufrieden mit der Liebe gewesen! Aber was werden Sie dazu sagen, daß man dieses edle reizende Mädchen zu einer Mätresse des Fürsten bestimmt? daß mir Mylord verboten ihr meine Zärtlichkeit zu zeigen, weil der Graf F. ohnehin befürchtet, man werde Mühe mit ihr haben? Doch behauptet er, daß sie deswegen an den Hof geführt worden sei. Ich zeigte meinem Oncle alle Verachtung, die ich wegen dieser Idee auf den Grafen Löbau, ihren Oncle, geworfen; ich wollte das Fräulein von dem abscheulichen Vorhaben benachrichtigen, und bat Mylorden fußfällig, mir zu erlauben, durch meine Vermählung mit ihr, ihre Tugend, ihre Ehre und ihre Annehmlichkeiten zu retten. Er bat mich, ihn ruhig anzuhören, und sagte mir: er selbst verehre das Fräulein, und sei überzeugt, daß sie das ganze schändliche Vorhaben zernichten werde; und er gab mir die Versicherung daß, wenn sie ihrem würdigen Charakter gemäß handle, er sich ein Vergnügen davon machen wolle, ihre Tugend zu krönen. »Aber solang der ganze Hof sie als bestimmte Mätresse ansieht, werde ich nichts tun. Sie sollen keine Frau von zweideutigem Ruhme nehmen; halten Sie sich an das Fräulein C*, durch diese können Sie alles von den Gesinnungen der Sternheim erfahren; ich will Ihnen von den Unterhandlungen Nachricht geben, die der Graf F. auf sich genommen hat. Alle Züge des Charakters der Fräulein geben mir Hoffnung zu einem Triumphe der Tugend. Aber er muß vor den Augen der Welt erlanget werden.«

Mein Oheim erregte in mir die Begierde, den Fürsten gedemütigt zu sehen, und ich stellte mir den Widerstand der Tugend als ein entzückendes Schauspiel vor. Diese Gedanken brachten mich dahin, meine ganze Aufführung nach der Vorschrift meines Oheims einzurichten. Mylord Derby hat mir einen neuen Bewegungsgrund dazu gegeben. Er sah sie, und faßte gleich eine Begierde nach den seltnen Reizungen, die sie hat; denn Liebe kann man seine Neigung nicht nennen. Er ist mir mit seiner Erklärung schon zuvorgekommen; wenn er sie rührt, so ist mein Glück hin; ebenso hin, als wenn sie der Fürst erhielte; dann wenn sie einen Ruchlosen lieben kann, so hätte sie mich niemals geliebt. Aber ich bin elend, höchst elend durch die zärtlichste Liebe für einen würdigen Gegenstand, den ich unglücklicherweise mit den Fallstricken des Lasters umgeben sehe. Die Hoffnung in ihre Grundsätze, und die Furcht der menschlichen Schwachheit martern mich wechselsweise. Heute, mein Freund, heute wird sie in der Hofkomödie dem Blick des Fürsten zum erstenmal ausgesetzt; ich bin nicht wohl; aber ich muß hingehen, wenn es mir das Leben kosten sollte.

Ich lebe auf, mein Freund, der Graf von F. zweifelt, daß man etwas über den Geist des Fräuleins gewinnen werde.

Mylord befahl mir, mich in der Komödie nahe an ihn zu halten. Das Fräulein kam mit ihrer unwürdigen Tante in die Loge der Gräfin F.; sie sah so liebenswürdig aus, daß es mich schmerzte. Eine Verbeugung, die ich zugleich mit Mylord an die drei Damen machte, war der einzige Augenblick, wo ich mir getrauete sie anzusehen. Bald darauf war der ganze Adel und der Fürst selbst da, dessen lüsternes Auge sogleich auf die Loge der Gräfin F. gewendet war; das Fräulein verbeugte sich mit so vieler Anmut, daß ihn auch dieses hätte aufmerksam machen müssen, wenn es ihre übrige Reize nicht getan hätten. Er redete sogleich mit dem Grafen F. und sah wieder auf das Fräulein, die er jetzt besonders grüßte. Alle Augen waren auf sie geheftet, aber eine kleine Weile darauf verbarg sich das Fräulein halb hinter der Gräfin F. Die Opera ging an; der Fürst redete viel mit F., der endlich in die Loge seiner Gemahlin ging, um Mylorden und den Gräfinnen zu verweisen, daß sie dem Fräulein den Platz wegnähmen, da sie beide das Spiel schon oft, das Fräulein aber es noch niemals gesehen hätte.

»Die Damen sein nicht Ursache, Herr Graf«, sagte das Fräulein, etwas ernsthaft; »ich habe diesen Platz gewählt, ich sehe genug, und gewinne dabei das Vergnügen, weniger gesehen zu werden

»Aber Sie berauben so viele des Vergnügens Sie zu sehen?« – Darüber hätte sie nur eine Verbeugung gemacht, die an sich nichts als Geringschätzigkeit seines Kompliments angezeigt habe. Er hätte ihre Meinung von der Komödie begehrt; darauf hätte sie wieder mit einem ganz eignen Ton gesagt: sie wundere sich nicht, daß diese Ergötzlichkeit von so vielen Personen geliebt würde.

»Ich wünsche aber zu wissen, wie es Ihnen gefällt, was Sie davon denken? Sie sehen so ernsthaft.«

»Ich bewundere die vereinigte Mühe so vieler Arten von Talente.«

»Ist das alles, was Sie dabei tun, empfinden Sie nichts für die Heldin oder den Helden?«

»Nein, Herr Graf, nicht das geringste«; hätte sie mit Lächeln geantwortet.

Man speiste bei der Fürstin von W*; der Fürst, die Gesandtschaften und übrigen Fremde, worunter der Graf Löbau, Oncle des Fräuleins Sternheim, auch gerechnet wurde. Die Gräfin F* stellte das Fräulein mit vielem Gepränge dem Fürsten vor. Dieser affektierte viel von ihrem Vater zu sprechen. Das Fräulein soll kurz und in einem gerührten Tone geantwortet haben. Die Tafel war vermengt, immer ein Kavalier bei einer Dame. Graf F., ein Neffe des Ministers, war an der Seite des Fräuleins, welche gerade so gesetzt wurde, daß sie der Fürst im Gesicht hatte; er sah sie unaufhörlich an. Ich nahm mich in acht, nicht oft nach dem Fräulein zu sehen; doch bemerkte ich Unzufriedenheit an ihr. Man hob die Tafel bald auf, um zu spielen; die Prinzessin nahm das Fräulein zu sich, ging bei den Spieltischen mit ihr herum, setzte sich auf den Sofa, und redete sehr freundlich mit ihr. Der Fürst kam, nachdem er eine Tour mit Mylorden gespielt hatte, auch dazu.

Den zweeten Tag sagte Graf F. zu Mylord: er wünschte dem Löbau alles Böse auf den Hals, das Fräulein hieher gebracht zu haben. Sie ist ganz dazu gemacht, um eine heftige Leidenschaft zu erwecken; aber ein Mädchen, das keine Eitelkeit auf ihre Reize hat, bei einem Schauspiel nichts als die vereinigte Mühe von vielerlei Talenten betrachtet, an einer ausgesuchten Tafel nichts als eine Äpfel-Kompotte ißt, Wasser dazu trinkt, an einem Hofe nach dem Hause eines Landpfarrers seufzet, und bei allem dem voll Geist und voll Empfindung ist – ein solches Mädchen ist schwer zu gewinnen!

Gott wolle es, dacht' ich; lange kann ich den gewaltsamen Stand, in dem ich bin, nicht aushalten!

Schreiben Sie mir bald; sagen Sie mir, was Sie von mir denken, und was ich hätte tun sollen.


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