Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Derby an seinen Freund

Ich reise nach England, und komme vorher zu Dir. Sage mir nichts von meiner letzten Liebe; ich will nicht mehr daran denken; es ist genug an der unruhigen Erinnerung, die sich mir wider meinen Willen aufdringt. Meine halbe Lady ist fort aus dem Dorfe, wo ihrem abenteuerlichen Charakter ein abenteuerliches Schicksal zugemessen wurde; mit stolzem Zorn ist sie fort; meinen Wechselbrief zerriß sie in tausend Stücke, und alle meine Geschenke hat sie zurückgelassen. Ich hätte sie bald deswegen wieder eingeholt, aber wenn sie mir meine Streiche vergeben könnte, so würde ich sie verachten. Lieben kann sie mich nach allem diesem unmöglich, und ich hätte nicht mehr glücklich mit ihr sein können; wozu würde also die Verlängerung meiner Rolle gedient haben? Sie muß doch immer meine Wahrheitsliebe verehren, und meine Kenntnisse der geheimsten Triebfedern unsrer Seele bewundern. Ich verließ sie, unschlüssig, was ich mit ihr und meinem Bündnis machen sollte; aber ihre unaufhörliche Anfoderung, sie nach Florenz zu führen, und die Drohung auch ohne mich abzureisen, brachte mich dahin, ihr ganz trocken zu schreiben:

Ich sehe wohl, daß sie sich meiner Liebe nur bedient habe, um ihrem Oheim Löbau zu entgehen, und ihren Ehrgeiz in Sicherheit zu setzen, daß sie das Glück meiner Liebe, und meines Herzens niemals in Betrachtung gezogen, indem sie mir nicht den geringsten Zug meines eigenen Charakters zugut gehalten, und mich nur dann geachtet habe, wenn ich mich nach ihren Phantasien gebogen, und meine Begriffe mit ihren Grillen geputzt; es sei mir unmöglich dem Gemälde gleich zu werden, welches sie mir von den beliebten Eigenschaften ihres Mannes vorgezeichnet, indem ich nicht Seymour wäre, für welchen allein sie die zärtliche Leidenschaft nährte, die ich von ihr zu verdienen gewünscht hätte; ihre Bestürzung, wenn ich ihn genennt, ihre Sorgsamkeit nicht von ihm zu reden, ja selbst die Liebkosungen, die sie mir zu Vertilgung meines Argwohns gemacht – wären lauter Bekräftigungen der Fortdauer ihrer Neigung zu Seymour. Sie wäre die erste, welche mich zu dem Entschlusse mich zu vermählen gebracht hätte; dennoch aber hätt' ich noch so viel Vorsichtigkeit übrig behalten, mich zuvor ihrer ganzen Gesinnungen versichern zu wollen; hierzu hätte mir die Maske das Priesterrocks, den einer meiner Leute angezogen, die Gelegenheit verschafft. Meine Liebe und Ehre würde dadurch ebenso fest gebunden gewesen sein, als durch die Trauung, und wenn sie der Primas von England, oder der Papst selbst verrichtet hätte; aber da die Vereinigung unserer Gemüter als das erste Hauptstück fehlte, so wäre es gut, daß wir uns ohne Zeugen und Gepränge trennten, wie wir uns verbunden hätten, weil ich nicht niederträchtig genug sei, mich mit dem bloßen Besitz ihrer reizenden Person zu vergnügen, ohne Anteil an ihrem Herzen zu haben, und nicht einfältig genug, um sie für den Lord Seymour nach England zu führen; sie hätte nicht Ursache über mich zu klagen, denn ich wäre es, der sie den Verfolgungen des Fürsten, und der Gewalt ihres Oncles entrissen; ich hätte nur ihre Hand, sie aber, weil sie die Liebe nicht für mich gefühlt habe, welcher sie mich versichert, hätte mein Herz betrogen; und nun schenke ich ihr ihre volle Freiheit wieder.

Ich schickte den Kerl ab, und ging nach B. bei meiner Tänzerin ein ohnfehlbares Mittel gegen alle Gattungen von unruhigen Gedanken zu suchen; auch gab sie mir einen guten Teil meiner Munterkeit wieder.

Mein Bruder könnte zu keiner gelegnern Zeit gestorben sein als itzt. Meine Gelder wurden seltner geschickt, und dieser närrische Roman war ein wenig kostbar; doch, sie verdiente alles. Hätte sie mich nur geliebt, und ihre Schwärmerei abgeschworen! – Ich war närrisch genug, mich meinen Brief gereun zu lassen, und ließ vor zween Tagen nach ihr fragen; aber weg war sie; und alles wohl erwogen, hat sie recht daran getan; wir können und sollen uns nicht mehr sehen. Ihre Briefe, ihr Bildnis hab ich zerrissen wie sie meinen Wechsel: Aber D., wo alles von ihr spricht, wo mich alles an sie erinnert, ist mir unerträglich. Halte mir eine lustige Bekanntschaft zurechte, wie sie für einen englischen Erben gehört, um meine wieder erhaltene Portion Freiheit mit ihr zu verzehren. Denn mein Vater wird mir das Joch über den Hals werfen, sobald ich ihm nahe genug dazu sein werde. Er kann mir geben, welche er will; keine Liebe bring ich ihr nicht zu. Das wenige, was von meinem Herzen noch übrig war, hat mein deutsches Landmädchen aufgezehrt; – der Platz ist nun völlig leer, ich fühle es; hier und da schwärmen noch einige verirrte Lebensgeister herum, und wenn ich ihnen glaubte, so flüsterten sie mir was von dem Bilde meiner vierzigtägigen Gemahlin zu, deren Schatten noch darin herumwandern soll; aber ich achte nicht auf dieses Gesumse. Meine Vernunft und die Umstände reden meinem ausgeführten Plan das Wort; und am Ende ist es doch nichts anders als die Gewohnheit, die mir ihr Bild in D. zurückruft, wo ich sie in allen Gesellschaften zu sehen pflegte, und immer von ihr reden höre. – Aber bei dem allen schwör ich Dir, nimmermehr soll eine Methaphysikerin, noch eine Moralistin meine Geliebte werden. Ehrgeiz und Wollust allein haben Leute in ihren Diensten, die Unternehmungen wagen, und ausführen helfen; auch sind dieses die einzigen Gottheiten, die ich künftig verehren will; jener, weil ich von ihm so viel Ansehen und Gewalt zu erlangen hoffe, um alle Gattungen des Vergnügens in meinen Schutz zu nehmen und zu verteidigen, bis ich einst die liebenswürdigste davon bei einer Parlamentswahl ersäufe, oder bei einem Pferderennen den Kopf zerquetsche. Ha, siehst du, wie schön die gewöhnlichen Lordseigenschaften in mir erwacht sind; erst durch alle seine Ränke ein artiges Mädchen an mich gezogen, und sie denen entrissen, durch welche sie glücklich geworden wäre; unsinnige Verschwendungen gemacht, und wenn man alles dessen satt ist, den Ton eines Patrioten bei Wetterennen und Wahlen angenommen und der Zeit überlassen, was nach diesen verschiedenen Aufgärungen in dem Faß Nützliches übrigbleiben mag. –

 

Hier, meine Freundin, muß ich selbst wieder das Wort nehmen, um Ihnen von dem, was auf die unglückliche Veränderung in dem Schicksal meiner geliebten Dame gefolget ist, eine zusammenhängende Geschichte zu liefern.

Das Haus meiner Schwester war itzt der einzige Ort, wohin wir in diesen Umständen Zuflucht nehmen konnten. Man durfte ihr weder von Rache, noch von Behauptung ihrer Rechte sprechen; und der Gedanke, auf ihre Güter zu gehen, war in diesen Umständen auch nicht zu fassen. Ihr Kummer war so groß, daß sie hoffte, er würde sie töten; ich glaube auch, daß es geschehen wäre, wenn wir uns länger in dem Hause aufgehalten hätten, wo die unglückliche Heurat vollzogen worden war. Da ich bei den Zurüstungen auf unsre Abreise ein paarmal die Türe des Wohnzimmers von Lord Derby öffnete, und sie einen Blick hinwarf, glaubte ich, ihr Schmerz würde sie auf der Stelle ersticken. Sie blieb mit dem äußersten Jammer beladen in meinem Zimmer, während daß ich einpacken mußte. Aber alle Geschenke von Lord Derby, welche sehr schön und in großer Menge da waren, mußte ich der Wirtin übergeben. Wir nahmen nichts als das wenige zusammen, so wir von unsrer Flucht aus D. mitgebracht hatten. Die Wirtin, welche auf einen Monat voraus bezahlt war, wollte uns noch behalten; aber wir reisten den zweiten Tag, von ihrem Segen für uns, und Flüchen über den gottlosen Lord begleitet, morgens um vier Uhr ab.

Still und blaß wie der Tod, die Augen zur Erde geschlagen, saß meine liebe Dame bei mir; kein Wort, keine Träne erleichterte ihr beklemmtes Herz; zween Tage reisten wir durch herrliche Landschaften, ohne daß sie auf etwas achtete; nur manchmal umfaßte sie mich mit einer heftigen gichterischen Bewegung, und legte ihren Kopf einige Augenblicke auf meine Brust; ich wurde immer ängstiger, und weinte mit lauter Stimme; darüber sah sie mich rührend an, und sagte mit ihrem himmlischen Ton, indem sie mich an sich drückte:

»O meine Rosina, dein Kummer zeigt mir erst den ganzen Umfang meines Elends. Sonst lächeltest du, wenn du mich sahst, und nun betrübt mein Anblick dein Herz! Oh, laß mich nicht denken, daß ich auch dich unglücklich gemacht habe! Sei ruhig, du siehst ja mich ganz gelassen.«

Ich war froh, sie wieder so viel reden zu hören, und einige Zähren aus ihren erstorbenen Augen fallen zu sehen; ich antwortete:

»Ich wollte gerne ruhig sein, wenn ich Sie nicht so niedergeschlagen sähe, und wenn ich nur noch einige Funken der Zufriedenheit bei Ihnen bemerkte, die Sie sonst bei dem Anblick einer schönen Gegend fühlten.«

Sie schwieg einige Minuten, und betrachtete den Himmel um uns her; dann sagte sie unter zärtlichem Weinen:

»Es ist wahr, liebe Rosina, ich lebe, als ob mein Unglück alles Gute und Angenehme auf Erden verschlungen hätte; und dennoch liegt die Ursache meines Jammers weder in den Geschöpfen, noch in ihrem wohltätigen Urheber. Warum bin ich von der vorgeschriebenen Bahn abgewichen?«

Sie fing darauf eine Wiederholung ihres Lebens, und der merkwürdigsten Umstände ihres Schicksals an. Ich suchte sie mit sich selbst, und den Beweggründen ihrer Handlungen, besonders mit den Ursachen ihrer heimlichen Heurat, und Flucht aus D., zufriedenzustellen, und gewann doch so viel, daß sie bei dem Anblick der vollen Scheuren, und dem Gewühle der Herbstgeschäfte in den Dörfern, die wir durchfuhren, vergnügt aussah, und sich über das Wohl der Landleute freute. Aber der Anblick junger Mädchen, besonders, die in einerlei Alter mit ihr zu sein schienen, brachte sie in ihre vorige Traurigkeit, und sie bat Gott mit gefalteten Händen, daß er ja jede reine wohldenkende Seele ihres Geschlechts, vor dem Kummer bewahren möge, der ihr zärtliches Herz durchnage.

Unter diesen Abwechslungen kamen wir glücklich in Vaels an. Mein Schwager und meine Schwester empfingen uns mit allem Trost der tugendhaften Freundschaft, und suchten meine liebe Dame zu beruhigen; aber am fünften Tage wurde sie krank, und zwölf Tage lang dachten wir nichts anders, als daß sie sterben würde. Sie schrieb auch einen kleinen Auszug ihres Verhängnisses, und ein Testament. Aber sie erholte sich wider ihr Wünschen; und als sie wieder aufsein konnte, setzte sie sich in die Kinderstube meiner Emilia, und lehrte ihr kleines Patchen lesen; diese Beschäftigung, und der Umgang mit meinem Schwager und meiner Schwester beruhigten sie augenscheinlich; so, daß mein Schwager es einmal wagte, sie über ihre Entschließungen, und Entwürfe für die Zukunft zu befragen. Sie sagte: sie hätte noch nichts bedacht, als daß sie auf ihren Gütern ihr Leben beschließen wollte; aber bis zu Ende der drei Jahre, für welche sie dem Graf Löbau ihre Einkünfte versichert hätte, wollte sie nichts von sich wissen lassen; – und wir mußten ihrem eifrigen Anhalten hierin nachgeben. Sie nahm eine fremde Benennung an; sie wollte in Beziehung auf ihr Schicksal Madam Leidens heißen, und als eine junge Offizierswitwe bei uns wohnen. Sie verkaufte die schönen Brillanten, welche die Bildnisse ihres Herrn Vaters und ihrer Frau Mutter umfasseten, und entschloß sich auch den übrigen Teil ihres Schmucks zu Geld zu machen, und von den Zinsen zu leben; daneben aber wollte sie Gutes tun, und einige arme Mädchen im Arbeiten unterrichten.

Dieser Gedanke wurde nachher die Grundlage zu dem übrigen Teil ihres Schicksals. Denn eines dieser Mädchen, welche von einer der reichsten Frauen in der Gegend aus der Taufe gehoben worden, ging zu ihrer Pate, um ihr etwas von der erlernten Arbeit zu weisen. Diese Frau fragte nach der Lehrmeisterin, und drang hernach in meinen Schwager, daß er die Madam Leidens zu ihr bringen möchte, um eine wohltätige Schule in ihrem Hause zu errichten, und als Gesellschafterin bei ihr zu leben. Meine Dame wollte es anfangs nicht eingehen, indem sie fürchtete, zuviel bekannt zu werden ; aber mein Schwager stellte ihr so eifrig vor, daß sie eine Gelegenheit versäume, viel Gutes zu tun, daß er sie endlich überredte, zumal da sie dadurch das Haus ihrer Emilia zu erleichtern glaubte, wo sie befürchtete, Beschwerden zu machen, ohngeachtet sie Kostgeld bezahlte.

Sie kleidete sich bloß in streifige Leinwand, zu Leibkleidern gemacht, mit großen weißen Schürzen, und Halstüchern, weil ihr noch immer etwas Engländisches im Sinne lag; ihre schöne Haare und Gesichtsbildung versteckte sie in außerordentliche große Hauben; sie wollte sich damit verstellen, aber ihre schönen Augen, das Lächeln der edlen Güte, so unter den Zügen des innerlichen Grams hervorleuchtete, ihre feine Gestalt und Stellung, und der artigste Gang zogen alle Augen nach sich, und Madam Hills war stolz auf ihre Gesellschaft. Ihre Abreise schmerzte uns, denn der Wohnort von Madam Hills war drei Stunden entfernt; aber ihre Briefe trösteten uns wieder. Auch Sie werden sie gewiß lieber lesen als mein Geschmier.


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