Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Das Fräulein von Sternheim an Emilia

O meine Emilia! wie nötig ist mir eine erquickende Unterhaltung mit einer zärtlichen und tugendhaften Freundin!

Wissen Sie, daß ich den Tag, an dem ich mich zu der Reise nach D. bereden ließ, für einen unglücklichen Tag ansehe. Ich bin ganz aus dem Kreise gezogen worden, den ich mit einer so seligen Ruhe und Zufriedenheit durchging. Ich bin hier niemanden, am wenigsten mir selbst, nütze; das Beste, was ich denke und empfinde, darf ich nicht sagen, weil man mich lächerlich-ernsthaft findet; und so viel Mühe ich mir gebe, aus Gefälligkeit gegen die Personen, bei denen ich bin, ihre Sprache zu reden, so ist doch meine Tante selten mit mir zufrieden, und ich, Emilia, noch seltener mit ihr. Ich bin nicht eigensinnig, mein Kind, in Wahrheit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß jemand hier denken solle wie ich; ich sehe zu sehr ein, daß es eine moralische Unmöglichkeit ist. Ich nehme keinem übel, daß der Morgen am Putztische, der Nachmittag in Besuchen, der Abend und die Nacht mit Spielen hingebracht wird. Es ist hier die große Welt, und diese hat die Einrichtung ihres Lebens mit dieser Haupteinteilung angefangen. Ich bin auch sehr von der Verwunderung zurückgekommen, in die ich sonst geriet, wenn ich an Personen, die meine selige Großmama besuchten, einen so großen Mangel an guten Kenntnissen sah, da sie doch von Natur mit vielen Fähigkeiten begabt waren. Es ist nicht möglich, meine Liebe, daß eine junge Person in diesem betäubenden Geräusche von lärmenden Zeitvertreiben einen Augenblick finde, sich zu sammeln. Kurz, alle hier sind an diese Lebensart und an die herrschenden Begriffe von Glück und Vergnügen gewöhnt, und lieben sie ebenso, wie ich die Grundsätze und Begriffe liebe, welche Unterricht und Beispiel in meine Seele gelegt haben. Aber man ist mit meiner Nachsicht, mit meiner Billigkeit nicht zufrieden; ich soll denken und empfinden wie sie, ich soll freudig über meinen wohlgeratnen Putz, glücklich durch den Beifall der andern, und entzückt über den Entwurf eines Soupé, eines Balls werden. Die Opera, weil es die erste war, die ich sah, hätte mich außer mir selbst setzen sollen, und der Himmel weiß, was für elendes Vergnügen ich in dem Lob des Fürsten habe finden sollen. Alle Augenblicke wurde ich in der Komödie gefragt: »Nun wie gefällt's Ihnen, Fräulein?«

»Gut«, sagte ich ganz gelassen; »es ist vollkommen nach der Idee, die ich mir von diesen Schauspielen machte.« Da war man mißvergnügt, und sah mich als eine Person an, die nicht wisse, was sie rede. Es mag sein, Emilia, daß es ein Fehler meiner Empfindungen ist, daß ich die Schauspiele nicht liebe, und ich halte es für eine Würkung des Eindrucks, den die Beschreibung des Lächerlichen und Unnatürlichen eines auf dem Schlachtfeld singenden Generals und einer sterbenden Liebhaberin, die ihr Leben mit einem Triller schließt, so ich im Englischen gelesen habe, auf mich machte. Ich kann auch niemand tadeln, der diese Ergötzlichkeiten liebt. Wenn man die Verbindung so vieler Künste ansieht, die für unser Aug und Ohr dabei arbeiten, so ist schon dieses angenehm zu betrachten; und ich finde nichts natürlicher als die Leidenschaften, die eine Aktrice oder Tänzerin einflößt. Die Intelligenz (lassen Sie mir dieses Wort), mit welcher die erste ihre Rolle spielt, da sie ganz in den Charakter, den sie vorstellt, eintritt, von edeln zärtlichen Gesinnungen mit voller Seele redt, selbst schön dabei ist, und die ausgesuchte Kleidung, die affektvolleste Musik, mit allen Verzierungen des Theaters dabei zu Gehülfen hat – wo will sich der junge Mann retten, der mit einem empfindlichen Herzen in den Saal tritt, und da von Natur und Kunst zugleich bestürmt wird?

Die Tänzerin, von muntern Grazien umgeben, jede Bewegung voll Reiz, in Wahrheit, Emilia, man soll sich nicht wundern, nicht zanken, wenn sie geliebt wird! Doch dünkt mich der Liebhaber der Aktrice edler als der von der Tänzerin. Ich habe irgendwo gelesen, daß die Linie der Schönheit für den Maler und Bildhauer sehr fein gezogen sei; geht er darüber, so ist sie verloren; bleibt er unter ihr, so fehlt seinem Werk die Vollkommenheit.

Die Linie der sittlichen Reize der Tänzerin dünkt mich ebenso fein gezogen; dann sie schien mir sehr oft übertreten zu werden.

Überhaupt bin ich es sehr zufrieden, ein Schauspiel gesehen zu haben, weil die Vorstellung, die ich davon hatte, dadurch ganz bestimmt worden ist; aber ich bin es auch zufrieden, wenn ich keines mehr sehe.

Nach der Komödie speiste ich mit der Prinzessin von W*, da wurde ich dem Fürsten vorgestellt. Was soll ich Ihnen davon sagen? Daß er ein schöner Mann und sehr höflich ist, daß er meinen werten Papa sehr gelobt hat, und daß ich mißvergnügt damit war. Ja, meine Emilia, ich kann nicht mehr so froh über die Lobsprüche sein, die man ihm gibt; der Ton, worin es geschieht, klingt mir gerade, als wenn man sagte: »Ich weiß, daß Sie von Ihrem Vater sehr eingenommen sind, ich sage Ihnen also Gutes von ihm.« Und dann, mein Kind, muß ich Ihnen sagen, daß die Blicke, die der Fürst auf mich warf, auch das Beste verdorben hätten, das er hätte sagen können.

Was für Blicke, meine Liebe! Gott bewahre mich, sie wieder zu sehen! Wie haßte ich die spanische Kleidung, die mir nichts als eine Palatine erlaubte. Wäre ich jemals auf meine Leibesgestalt stolz gewesen, so hätte ich gestern dafür gebüßt. Der bitterste Schmerz durchdrang mich bei dem Gedanken, der Gegenstand so häßlicher Blicke zu sein. Meine Emilia, ich mag nicht mehr hier sein; ich will zu Ihnen, zu den Gebeinen meiner Eltern. Die Gräfin R. bleibt zu lange weg.

Heute erzählte mir die Gräfin F. mit vielem Wortgepränge das Lob des Fürsten über meine Person und meinen Geist.

Morgen gibt der Graf ein großes Mittagessen, und ich soll dabei sein. Niemals, seitdem ich hier bin, hatte ich die Empfindungen eines Vergnügens nach meinem Geschmack. Die Freundschaft des Fräulein C* war das einzige, was mich erfreute; aber auch diese ist nicht mehr, was sie war. Sie spricht so kalt; sie besucht mich nicht mehr; wir kommen beim Spiel nicht mehr zusammen: Und wenn ich mich ihr, oder dem Mylord Seymour nähere, welche immer zusammen reden, so schweigen sie, und Mylord entfernt sich traurig, bewegt; und das Fräulein sieht ihm nach, und ist zerstreut. Was soll ich denken? Will das Fräulein nicht, daß ich Mylorden spreche? Geht er weg, um ihr seine vollkommene Ergebenheit zu zeigen? Denn er redt mit keiner andern Seele als mit ihr. O mein Kind, wie fremd ist mein Herz in diesem Lande! Ich, die mein Glück für anderer ihres hingäbe, ich muß die Sorge sehen, daß ich es zu stören denke. Liebes Fräulein C*, ich will Ihnen diese Unruhe nehmen; denn ich werde meinen Augen das Vergnügen versagen, Mylord Seymour anzuschauen. Meine Blicke waren ohnehin flüchtig genug. Ich will Sie selbst nicht mehr aufsuchen, wenn Sie in einem glücklichen Gespräche mit dem liebenswerten Manne begriffen sind. – Sie sollen sehen, daß Sophie Sternheim das Glück ihres Herzens durch keinen Raub zu erhalten sucht! – Emilia, eine Träne füllte mein Auge bei diesem Gedanken. Aber der Verlust einer geliebten Freundin, der einzigen, die ich hier hatte, der Verlust des Umgangs eines würdigen Mannes, den ich hochschätze, dieser Verlust verdient eine Träne. D. wird mich keine andre kosten: Morgen, mein Kind, morgen wünsche ich abzureisen.

Warum sagt mir Ihr Brief nichts von meinem Pflegvater; warum nichts von Ihrer Reise und von Ihrem Gesellschafter?

Emilia, Ihre Briefe, Ihre Liebe und Vertrauen sind alles Gute, so ich noch erwarte.

D. hat nichts – nichts für mich.


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