Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Mylord Seymour an den Doktor B.

Immer wird mir das Fräulein liebenswürdiger und ich – ich werde immer unglücklicher. Der Fürst und Derby suchen ihre Hochachtung zu erwerben; beide sehen, daß dies der einzige Weg zu ihrem Herzen ist. Der doppelte Eigensinn, den meine Leidenschaft angenommen, hindert mich ein Gleiches zu tun. Ich bin nur bemüht sie zu beobachten, und eine untadelhafte Aufführung zu haben. Sie hingegen meidet mich und das Fräulein C*. Ich höre sie nicht mehr reden; aber die Erzählungen des Derby, dem sie Achtung erweiset, sind mir beständige Beweise des Adels ihrer Seele. Ich glaube, daß sie die erste tugendhafte Bewegung in sein Herz gebracht hat. Denn vor einigen Tagen sagt' er mir; er hätte das Fräulein in eine Gesellschaft führen sollen, und wie er in ihr Zimmer gegangen sie abzuholen, habe er ihre Kammerjungfer vor ihr knien gesehen; das Fräulein selbst halb angezogen, ihre schönen Haare auf Brust und Nacken zerstreut, ihre Arme um das knieende Mädchen geschlungen, deren Kopf sie an sich gedrückt, während sie ihr mit beweglicher Stimme von dem Wert des Todes der Gerechten und der Belohnung der Tugend gesprochen. Tränen wären aus ihren Augen gerollt, die sie endlich gen Himmel gehoben, und das Andenken ihres Vaters und noch eines Mannes für ihren Unterricht gesegnet hätte. Dieser Anblick hätte ihn staunen gemacht; und wie das Fräulein ihn gewahr worden, habe sie gerufen: »O Mylord, Sie sind gar nicht geschickt mich in diesem Augenblicke zu unterhalten; haben Sie die Güte zu gehen, und mich bei meiner Tante zu entschuldigen; ich werde heute niemand sehen.« Das feierliche und rührende Ansehen, so sie gehabt, hätte ihm ihren Vorwurf zweifach verbittert, da er die Geringschätzung gefühlt, die sie für seine Denkensart habe. Er hätte auch geantwortet; wenn sie die Ehrfurcht sehen könnte, die er in diesem Augenblicke für sie fühlte, so würde sie ihn ihres Vertrauens würdiger achten. Da sie aber, ohne ihm zu antworten, ihren Kopf auf den von ihrem Mädchen gelegt, wäre er fortgegangen, und hätte von der Gräfin L* gehört, daß diese Szene den Tod des Pfarrers von P. anginge, der das Fräulein zum Teil erzogen und der Vater ihrer Kammerjungfer gewesen; der Graf Löbau und seine Gemahlin wären froh, daß der schwärmerische Briefwechsel, den das Fräulein mit diesem Manne unterhalten, nun ein Ende hätte, und man sie auf eine ihrem Stande gemäßere Denkungsart leiten könne. Sie wären auch beide mit ihm zu dem Fräulein gegangen, und hätten ihr ihre Traurigkeit und den Entschluß verwiesen, daß sie nicht in die Gesellschaft gehen wolle. »Meine Tante«, habe sie geantwortet, »so viele Wochen habe ich der schuldigen Gefälligkeit gegen Sie, und den Gewohnheiten des Hofes aufgeopfert; die Pflichten der Freundschaft und der Tugend mögen wohl auch einen Tag haben!« »Ja«, habe die Gräfin versetzt, »aber deine Liebe ist immer nur auf eine Familie eingeschränkt gewesen; du bist gegen die Achtung und Zärtlichkeit, so man dir hier beweist, zu wenig empfindlich.« Das Fräulein: »Meine gnädige Tante, es ist mir leid, wenn ich Ihnen undankbar scheine; aber verdiente der Mann, der meine Seele mit guten Grundsätzen, und meinen Geist mit nützlichen Kenntnissen erfüllte, nicht ein größeres Maß von Erkenntlichkeit als der höfliche Fremdling, der mich nötigt, an seinen vorübergehenden Ergötzlichkeiten Anteil zu nehmen?« Die Gräfin: »Du hättest schicklicher das Wort abwechselnde Ergötzlichkeiten gebrauchen können.« Das Fräulein: »Alle diese Fehler beweisen Ihnen, daß ich für den Hof sehr untauglich bin.« Die Gräfin: »Ja, heute besonders, du sollst auch zu Hause bleiben.«

Derby erzählte mir dieses mit einem leichtsinnigen Ton, aber gab genau auf meine Bewegungen acht. Sie wissen, daß ich sie selten verbergen kann, und in diesem Falle war mir's ganz unmöglich. Der Charakter des Fräuleins rührte mich. Ich mißgönnte Derbyn, sie gesehen und gehört zu haben. Unzufrieden auf mich, meinen Oncle und den Fürsten, brach ich in den Eifer aus, zu sagen: »Das Fräulein hat den edelsten und seltensten Charakter; wehe den Elenden, die sie zu verderben suchen!« »Sie sind ein ebenso seltener Mann«, erwiderte er, »als das Fräulein ein seltenes Frauenzimmer ist. Sie wären der schicklichste Liebhaber für sie gewesen, und ich hätte ihr Vertrauter und Geschichtschreiber sein mögen.«

»Ich glaube nicht, Mylord Derby, daß Ihnen das Fräulein oder ich diesen Auftrag gemacht hätte«, sagte ich. Über diese Antwort sah ich eine Miene an ihm, die mir gänzlich mißfiel; sie war lächelnd und nachdenkend; aber, mein Freund, ich konnte mich nicht enthalten in meinem Herzen zu sagen, so lächelt Satan, wenn er sich eines giftigen Anschlags bewußt ist.


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