Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Fortsetzung den zweiten Tag

Doktor – Menschenfreund! nehmen Sie teil an unserer Freude. Der Engel, Sternheim, lebt noch. Eine göttliche Schickung hat sie erhalten. Seymour weint Tränen der Freude, und umfaßt die armen Wirte dieser Hütte unaufhörlich. Vor einer Stunde schleppten wir uns bleich, traurig, mit einer Totenstille gegen den kleinen Garten, wo man uns gestern das Grab gewiesen hatte. Der Mann und sein Sohn gingen unentschlossen und mit einem merklichen Widerwillen mit uns. Als wir nahe an der Stelle des Sandhügels waren, und ich den Leuten kurz sagte – grabt auf – sank mein Bruder an meinen Hals, und umfaßte mich, indem er mit Schmerz »o Rich!« ausrief, und seinen Kopf auf meiner Achsel verbarg. Diese Bewegung von ihm, just da die erste Schaufel voll Sand durch einen meiner Leute vom Grab gehoben wurde, durchbohrte meine Seele; ich schloß meine Arme um ihn, und erhob meine Augen zum Himmel, um Stärke für ihn und mich zu erflehen. Den nämlichen Augenblick aber fielen Mann, Frau, und Sohn vor uns auf die Knie, und baten um unsern Schutz. Ich geriet in die äußerste Bestürzung, weil ich mich vor der Entdeckung eines an der Dame verübten Mords fürchtete. »Leute! was wollt ihr, was soll euer Rufen um Schutz?« – »Wir haben unsern Lord betrogen«, riefen sie; »die Frau ist nicht gestorben, sie ist fort.« – »Wohin, Leute, wohin«, rief ich; »betrügt ihr uns nicht?« – »Nein, guter Lord, sie ist bei des Grafen Hoptons Schwester; diese hat sie zu sich genommen, und gesagt, wir sollten dem Lord melden, sie wäre tot; wir hatten die Frau lieb, und ließen sie gehen; aber wenn es nun der Lord erfährt, so wird er Rache an uns nehmen.« Seymour umarmte den Mann mit lautem Freudengeschrei, und sagte, »o mein Freund, du sollst mit mir kommen, ich will dich beschützen und belohnen. Wo ist der Graf Hopton? Wie ist dies zugegangen? – Rich – lieber Bruder Rich, wir wollen gleich abreisen.« Ich versicherte ihn, daß ich ebenso begierig sei wie er, die Dame selbst zu sehen; er solle Anstalten zur Reise machen, ich wollte indessen mit den Leuten reden. Ich beruhigte sie mit dem Verspruch, daß der Lord sie für ihre Liebe zu der Frau selbst belohnen würde; denn er habe gar nicht gerne gehört, daß John so übel mit ihr umgegangen sei; dabei gab ich ihnen eine Handvoll Guineen, und fragte sie nach dem Leben und Bezeugen der Dame. O Doktor! wie viel Glanz breitete die einfache abgekürzte Erzählung dieser Leute über die Tugend meiner Freundin aus! Gestern murrte ich über ihr hartes Schicksal; und itzt möchte ich der Vorsicht für das edle Beispiel danken, welches sie den übrigen Menschen durch die Prüfung dieser großen Seele gegeben hat. Tief, unauslöschlich sind die Züge ihres Charakters in mein Herz gegraben! – Wir reisen ab. Am Fuße des Berges schickte ich einen meiner Leute an Lord Derby mit der für ihn gewiß trostvollen Nachricht. Denn da er sich dem Zeitpunkt nähert, wo man alles versäumte Gute möchte einholen, und alles verübte Böse auslöschen können: so muß es eine Erquickung für ihn sein, die Summe seiner Vergehungen um ein so großes vermindert zu sehen.


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