Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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von Sternheim an Emilia

Was wird die Vorsicht noch aus mir machen? In widrigen Begegnissen, in den empfindlichsten Erschütterungen aller Kräfte der Seele und des Lebens erhält sie mich. Gewiß nicht zum Unglück, aber zu jeder möglichen Prüfung. Allein, o meine Liebe, ganz allein, von niemand als zuredenden Freunden umgeben, stund ich an meinem Scheideweg. Lord Derby ist tot – diese beiliegenden Blätter meines Tagebuchs von Tweedale sagen Ihnen Seymours und Richs Ankunft, und den Ersatz, welchen Derby mir machen wollte. Gott lasse seine ewigen Tage glücklicher sein, als er die meinigen machte, die ihm hier in seine Gewalt gegeben waren! Lord Seymour verfolgt mein Herz; er liebte mich, o meine Emilia, er liebte mich zärtlich, rein, von dem ersten Tage, da er mich sah. Der Stolz seines Oheims, seine Abhänglichkeit von ihm, und eine übertriebene feine Empfindung von Tugend und Ehre wollte, daß er schwieg, bis ich die Versuchungen des Fürsten überwunden hätte. Sie wissen, was dieses Schweigen mir zuzog; aber Sie wissen nicht, was Lord Seymour darunter gelitten hatte. Hier, lesen Sie seine Briefe mit denen vom Lord Derby, und senden Sie sie mir mit allen den meinen an Sie zurück. Sie werden bei Derbys Briefen über den Mißbrauch von Witz, Tugend und Liebe schaudern. Hätte ich nicht selbst böse sein müssen, wenn ich seine Ränke hätte argwöhnen sollen? Was ist Seymours Herz dagegen? Ihren Rat hätte ich gewünscht, durch einen gemeinsamen Geist erhalten zu können. Die Gräfin Douglaß ist eingenommen; Lord Rich, der edle, unschätzbare Lord Rich bittet mich seine Schwester zu werden; der liebenswürdige Seymour ist täglich zu meinen Füßen! Alle Einwendungen meiner Delikatesse werden bestritten; und, o Freundin meines Herzens, du, die du alle seine Bewegungen von Jugend auf kanntest, dir kann ich, dir will ich es nicht verbergen, daß eine innerliche Stimme mich meine Vermählung mit Lord Seymour als ein von dem Schicksal gegebenes Mittel ergreifen heißt, um meiner unsteten Wanderschaft ein Ende zu machen. Und war er nicht der Mann, den mein Herz sich wünschte? Er weiß es, soll ich nun zurücke? Lord Rich, fürchte ich, würde an seinen Platz eintreten wollen. Seymour zeigte mir viele Tage die heftigste zärtlichste Liebe. Lord Rich hatte lange Unterredungen mit ihm, war aber kalt, ruhig, sah oft tiefdenkend lange mich an, und brachte mich dadurch zu dem Entschluß unverheuratet zu bleiben. Aber zwei Tage nach Seymours Briefe brachte er mir mein Tagebuch und die noch dabei gelegenen letzten Briefe von Summerhall in mein Zimmer; mit einer rührenden vielbedeutenden Miene trat er zu mir, küßte die Blätter meines Tagebuchs, drückte sie an seine Brust, und bat mich um Vergebung, eine Abschrift davon genommen zu haben, welche er aber mit der Urschrift in meine Gewalt gebe. »Aber erlauben Sie mir«, fuhr er fort, »Sie um dieses Urbild Ihrer Empfindungen zu bitten; lassen Sie, meine englische Freundin, mich diese Züge Ihrer Seele besitzen, und erhören Sie meinen Bruder Seymour. Das Paquet seiner Briefe wird Ihnen die unerfahrne Redlichkeit seines Herzens bewiesen haben. Sie werden ihn durch Annehmung seiner Hand zu dem glücklichsten und rechtschaffensten Mann machen.« Nach einigem Stillschweigen legte er seine Hand auf die Brust, sah mich zärtlich und ehrerbietig an, und fuhr mit gerührtem Ton fort: »Sie kennen die unbegrenzte Verehrung, die ewig in diesem Herzen für Sie leben wird; Sie kennen die Wünsche die ich machte, die nicht aufgehört haben, aber unterdrückt sind. Ich würde gewiß meine seligsten Tage, dafern es nur Hoffnungstage wären, nicht aufopfern, wenn ich nicht mitten unter der Anbetung, unter dem Verlangen meiner Seele, sagen müßte, und sagen könnte: Seymour sei Ihrer würdig, er verdiene Ihre Achtung und Ihr Mitleiden.« Er sah mich hier sehr aufmerksam an, und hielt inne. Mit einem halb erstickten Seufzen sagte ich: »O Lord Rich!« und er fuhr mit einem männlich freundlichen Tone fort: »Sie haben die Gewalt, eine edlen jungen Mann in der Marter einer verworfenen Liebe vergehen zu machen; wenden Sie, beste weibliche Seele, diese Gewalt zu dem Glück einer ganzen Familie an! Sie können meiner Mutter, einer würdigen Frau, den Kummer abnehmen, ihre Söhne unverheuratet zu sehen. Ihre schwesterliche Liebe wird mich glücklich machen, und Sie werden alle Ihre Tugenden in einem großen wirksamen Kreis gesetzt sehen!« – »Teurer Lord Rich«, antwortete ich gerührt, »wie nahe dringen Sie in mich! Sehen Sie meine Bedenklichkeiten nicht?« Ich verbarg mein Gesicht mit meinen Händen; er schloß mich in seine Arme und küßte meine Stirne. »Beste, geliebteste Seele, ja, ich kenne ihre feinen Bedenklichkeiten; Sie verdienen die vermehrte Anbetung meines Bruders; aber Sie sollen den Bau seiner Hoffnung nicht zerstören. Lassen Sie mich, ich bitte Sie, ihm die Erlaubnis bringen zu hoffen.« Mit tränenden Augen sah der würdige Mann mich an; eine Zähre der meinigen fiel ihm auf seine Hand; er betrachtete sie mit inniger Rührung; als aber das anfangende Zittern seiner Hände sie bewegte, so küßte er sie hinweg, und seine Blicke blieben einige Minuten auf die Erde geheftet. Ich nahm das Original meiner Briefe und des Tagebuchs, und reichte es ihm mit der Anrede: »Nehmen Sie dieses, würdigster Mann, was Sie das Urbild meiner Seele nennen zum Unterpfand der zärtlichen und reinen Freundschaft!« – »Meine Schwester«, fiel er mir ins Wort. »Keine List, Lord Rich! Ich will ohne Kunst werden, was Sie so sehnlich wünschen, daß ich sein möge.« Er ließ sich auf ein Knie nieder, segnete mich, küßte meine Hände mit eifriger Zärtlichkeit und eilte weg. »Sagen Sie noch nichts«, rief ich ihm nach, »ich bitte Sie.« Da war ich und weinte, und entschloß mich Lady Seymour zu werden; ich bekräftigte diesen Entschluß am Ende eines Gebets an die göttliche Vorsicht.

 

Nachschrift. Nun weiß es Lord Seymour. Seine Entzückungen gehen über die Kräfte meiner Feder. Meine Gräfin Douglaß umarmte mich mütterlich, Lord Rich als ein zärtlicher Bruder. Der gute Lord Seymour bewacht mich, als ob er besorgte, es möchte jemand meine Entschließung ändern. Sein Kammerdiener ist an seine Frau Mutter geschickt, welche an Tugend und Geist eine zweite Lady Summers sein muß. O segnen Sie mich, meine Freunde! Mein Herz schlägt ruhig. Wie selig macht eine Entschließung, die von Tugend, Weisheit und Rechtschaffenheit gebilliget wird! Nun freue ich mich auf die Reise zu dem Grabe meiner Eltern. Zu den Füßen ihres Leichensteins will ich mit meinem Gemahl knien, und ihren himmlischen Segen auf diese Verbindung erflehen. Tränen des Danks will ich auf ihre Asche vergießen, für die Liebe der Tugend und der Wohltätigkeit, die sie in meine Seele gossen, und für die Sorge, die sie nahmen, mir richtige Begriffe von wahrem Glück und Unglück zu geben! – Meine Emilia werd ich umarmen, meine Untertanen sehen! O glückliche, selige Aussichten! Mein lieber Lord Seymour sucht seinem Bruder nachzufolgen; in allem fragt er ihn – und mit wie vieler zärtlicher Erkenntlichkeit sehe ich Lord Richs Bemühen um meine Glückseligkeit, indem er alles versucht, den ungleichen und oft reißenden Lauf von Seymours Charakter ins Gleiche und Sanfte zu ändern. Er ist, sagt er, ein schöner aber stark rauschender Bach, der im Grund eine Menge reiner Goldkörner führt.


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