Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Madam Leidens an Emilia

Tweedale, Sitz des
Grafen von Douglaß-March

Ich schreibe auf meinen Knien, um meine Dankbarkeit gegen Gott für das entzückende Gefühl von Freiheit, Leben und Freundschaft in kindlicher Demut auszudrücken. O meine geliebte, meine teure Freundin! durch wie viel Schmerzen bin ich gegangen, und wie sehr erfreut es mich, Ihren Kummer und die Sorgen meiner Lady Summers endigen zu können. Morgen schickt die Gräfin Douglaß einen Kurier an meine Lady; dieser wird auch gleich mit einem Paquet an Ihren Mann nach Harwich abgehen, um ja Ihre Unruhe nicht einen Augenblick zu verlängern. Die Auszüge von meinen mit Reißblei geschriebenen Papieren werden Ihnen zeigen, wie hart und dornigt der Weg war, welchen ich in dem letztern Jahre zu gehen hatte. Aber wie angenehm ist mir der Ausgang davon geworden, da ich von der Hand der leutseligsten Tugend daraus geführt wurde! Ist dieses nicht eine Probe, daß ich mich in den Tagen meiner Prüfung der Vorsorge Gottes nicht unwürdig machte, weil sie eine der edelsten Seelen zu meiner Hülfe schickte? – Auf meinem letzten Blatte glaubte ich die letzte Nacht meines Lebens angebrochen zu sehen, und dachte auch, von der Gräfin Douglaß verlassen, zu sterben; aber um eilf Uhr kam der Geistliche mit einem Wundarzt, und morgens darauf ein von zwei Pferden getragenes Bette mit der Lady Douglaß selbst, die mir auf die liebreichste Art ihr Haus, ihre Vorsorge und Freundschaft anbot. Bald wäre mir das Übermaß meiner Freude schädlich geworden; denn indem ich der Lady Hand an meine Brust drückte, und von meinem Dank und von meiner Freude sprechen wollte, sank ich zurück; als ich erwachte, baten sie mich ruhig zu bleiben, und sagten, daß sie mit meinen Wirten verabredet hätten, sie sollten ein Grab im Garten aufwerfen, und dem Lord Derby wissen lassen, ich wäre tot; die Leute wären es zufrieden, und sie wollte mich nun in des Grafen von Hoptons Haus bringen. Nachmittags um vier Uhr fühlte ich mich stark genug, um aufzustehen, Molly kleidete mich in Gegenwart der Lady Douglaß an; ich nahm die fünf Guineen, so ich bei mir hatte, und machte sie zusammen, um sie meinen Wirten zu geben. Den Augenblick, als ich aufstund, der Lady eine Bitte wegen der guten Waise zu machen, kroch die arme kleine Lidy auf ihren Knien herein, und bat mit Schluchzen und aufgehobenen Händchen, ich sollte sie doch mitnehmen; innig gerührt sah ich sie und die Lady an, welche nach einem Augenblick Nachdenken dem Mädchen die Hand bot, und mit mitleidiger Stimme sagte: »Ja, meine Kleine, du sollst auch mitkommen.« »Gott segne Sie, teure Lady«, sagte ich, »für Ihre großmütige Menschenliebe; ich wollte Sie um Erlaubnis bitten, dieses unschuldige Opfer auch zu retten.« – »Gerne«, antwortete sie, »sehr gerne, es erfreut mich, daß Sie so zärtlich für sie sorgen.« Ich umarmte meine weinende Wirte mit Tränen, sah noch seufzend mich in der traurigen Gegend um, und reiste mit der Lady ab. Graf Hopton empfing mich mit vieler Höflichkeit; aber seine Blicke durchspürten zugleich meine ganze Person mit einem Ausdruck, als ob er abwägen wollte, ob ich mehr die Nachstellungen eines Liebhabers oder des Mitleidens einer tugendliebenden Dame verdiente. Eine Bewegung seiner Augen von Betrachtung der Lidy auf mich, machte mich erröten, und dieses ihn lächeln; ich erriet, daß er mich für ihre Mutter hielt, und empfand die Verringerung seiner für mich vorteilhaft gefaßten Begriffe. Lady Douglaß führte mich in ein artiges Zimmer, und hieß mich zu Bette gehen; Molly war dabei und fragte die Dame, wo die kleine Lidy hinsollte? – »Hieher«, sagte Lady Douglaß, »denn Sie werden die Kleine am liebsten bei sich haben, und es gefällt mir sehr, daß Sie auch im Unglück der Pflichten der Natur getreu geblieben sind.« »Beste Lady«, fiel ich ein, »Sie – – – –« – »Keine Unruhe, meine Liebe«, sprach sie mit lebhaftem, aber liebreichem Tone, »legen Sie sich, ich komme dann zurück, aber von allem unangenehmen Vergangenen sollen Sie nicht reden –« und damit ging sie weg. Ich warf mich aufs Bette mit der traurigen Betrachtung, daß ich den ersten freien Atemzug durch Erduldung eines widrigen Urteils bezahlen müsse. Ich wollte diese Begriffe keine Wurzeln in der Lady Douglaß fassen lassen, und verlangte Schreubzeug und Papier. Ich schrieb den andern Tag der Lady die Erklärung ihrer Zweifel wegen der kleinen Lidy, und zeigte die Beweggründe an, warum ich mich des Kindes angenommen hätte. Ich bat sie daneben mir bald Gelegenheit zu geben, Nachrichten an Lady Summers gelangen zu lassen; denn durch diese Dame würde sie auch überzeuget werden, daß alles, was ich ihr sagte, die Wahrheit sei, und daß sie ihre bisherige Güte für mich nicht zu bereuen haben würde. Sie konnte die drei Blätter kaum gelesen haben, so kam sie zu mir, und bat mich gleich beim Eintritt in das Zimmer, ihr die Unruhe zu vergeben, die sie mir gemacht hätte; aber es wäre nicht leicht möglich gewesen bei einer fremden Person einen solchen Grad von Liebe und Sorge für das Kind eines Feindes zu denken, und ich könne glauben, daß, da sie mich wegen meiner vermeinten Muttertreue geliebt habe, sie mich wegen meiner großmütigen Liebe gegen das Blut meines unwürdigen Verfolgers desto mehr liebe und bewundere. Zwo Stunden redte sie mit mir von vielen Sachen in einem feinen zärtlichen Tone fort. Die teure Lady besitzt eine bei den Großen seltene Eigenschaft; sie nimmt Anteil an den Leiden der Seele, und sucht mit der edelsten feinsten Empfindung Trostworte und Hülfsmittel aus. In den Zeiten meines ehemaligen Umganges mit der großen glücklichen Welt beobachtete ich, daß ihr Mitleiden meistens für äußerliche Übel, Krankheiten, Armut usw. in Bewegung kam; Kummer des Gemüts, Schmerzen der Seele, von denen man ihnen redete oder die sie verursachten, machten wenig Eindruck, und brachten selten eine Anteil nehmende Bewegung hervor. – Aber sie werden auch selten gewöhnt, an den innerlichen Wert oder die wahre Beschaffenheit der Sachen zu denken; durch äußerlichen Glanz verblenden sie und werden verblendet. Witz hat die Stelle der Vernunft, eine kalte gezwungene Umarmung heißt Freundschaft, Pracht und Aufwand, Glück – – – – O mein Kind, sollte ich jemals wieder diesem Kreise mich nähern, so will ich mit inniger Sorge alles vermeiden, was mich in den Stufen meiner Erniedrigung und meines Unglücks an den Großen und Glücklichen schmerzte. Die Gräfin Douglaß nimmt die kleine Lidy zu sich; sie sagt, ich hätte genug für das Kind getan, und es solle niemand mehr Anlaß haben, die Übung der größten Tugend als die Folge eines Fehltritts zu beurteilen; am allerwenigsten solle Derby auch nicht vermuten können, daß eine Anhänglichkeit für ihn auf irgendeine Weise Ursache an meinem Mitleiden gewesen sei. Ich sah alles Edle ihrer Beweggründe und dankte ihr zärtlich, daß sie mich nicht nur für künftigen falschen Beurteilungen schützte, sondern auch der Belästigung des Lobs enthöbe, das man meiner sogenannten Großmut noch einmal geben könnte. Meine Briefe an Lady Summers hat die Gräfin gelesen; sie wollte es nicht tun, um mich von ihrem Vertrauen in mich zu überzeugen. Die Briefe an Sie hab ich ihr durchgeblättert, weil sie aber ganz deutsch sind, so hätte die Übersetzung viele Zeit gekostet; ich redete ihr also kurz von dem Inhalt eines jedes Blatts; denn ich eilte zu sehr Ihnen Nachrichten zu geben, und gerne schlüpfte ich über das Gute darin hinweg, weil mich dünkte, daß das Vergnügen mich loben zu hören die Summe meiner innerlichen Zufriedenheit vermindert. Möchte ich doch bald Nachrichten von Lady Summers haben, und zu ihr reisen können, um mich bald, bald in die Arme meiner Emilia zu werfen. Mein Enthusiasmus für England ist erloschen; es ist nicht, wie ich geglaubt habe, das Vaterland meiner Seele. – – Ich will auf meine Güter, einsam will ich da leben und Gutes tun. Mein Geist, meine Empfindungen für die gesellschaftliche Welt sind erschöpft; ich kann ihr auch zu nichts mehr gut sein, als einigen Unglücklichen eine kleine Lehrschule von Ertragung widriger Schicksale zu halten. In Wahrheit, es ist bei der neu erheiterten Aussicht in meine künftigen Tage einer der ersten Wünsche meiner Seele gewesen, daß bei jedem Anbau eines jungen Herzens diejenigen Samenkörner meiner Erziehung eingestreuet würden, deren erquickende Früchte in der Zeit meiner härtesten Leiden reif wurden, die mein anfängliches Murren besänftigten, und mir die Stärke gaben, alle Tugenden des Unglücklichen auszuüben. Mein erneuertes Gefühl der Schönheiten unsrer physikalischen Welt kann ich Ihnen unmöglich in seiner Stärke beschreiben; es war groß, mannichfaltig, wie die schöne Aussicht dieses Edelsitzes, wo man über einen jähen Absturz an dem Flusse Tweda die fruchtbarsten Hügel von ganz Schottland übersieht, die von Schafen wimmeln. Die Sehkraft meiner Augen dünkt mich vervielfältigt, wird verfeinert, so wie sie mich in den Bleygebürgen vermindert und stumpf gemacht dünkte. Können nicht, meine Emilia, alle Kräfte meiner Seele wieder so aufleben wie das Gefühl für die wohltätigen Wunder der Schöpfung, und das von der frohen Hoffnung, die Freundin meines Herzens bald wieder zu umarmen? –


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