Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Wie getreu erfüllt mein Freund das Versprechen, welches ich Ihnen für das Glück unsrer Sophie gemacht habe! – Wie angenehm ist der Eintritt in dieses Haus, worin die edelste Einfalt und ungezwungenste Ordnung der ganzen Einrichtung ein Ansehn von Größe geben! Die Bedienten mit freudiger Ehrerbietung und Emsigkeit auf Ausübung ihrer Pflichten bedacht! – Der Herr und die Frau mit ein Ausdruck der Glückseligkeit, die aus Güte und Klugheit entspringt; beide, mich für meine entschlossene Verwendung für ihr Bündnis segnend! Und wie sehr unterscheiden sich die zwei kleinen Dörfer meines Bruders von allen größern und volkreichern, die ich bei meiner Zurückreise von Hofe gesehen habe! Beide gleichen durch die muntere und emsige Arbeitsamkeit ihrer Einwohner zween wohlangelegten Bienenstöcken; und Sternheim ist reichlich für die Mühe belohnt, die er sich gegeben, eine schicklichere Einteilung der Güter zu machen, durch welche jeder von den Untertanen just so viel bekommen hat, als er Kräfte und Vermögen hatte anzubauen. Aber die Verwendung des neu erkauften Hofguts von dem Grafen A., welches gerade zwischen den zweien Dörfern liegt, dies wird ein segensvoller Gedanke in der Ausführung sein!

Er ist zu einem Armenhause für seine Untertanen zugerichtet worden. Auf einer Seite; unten, die Wohnung für einen wackern Schulmeister, der zu alt geworden, dem Unterricht der Kinder noch nützlich vorzustehen, und nun zum Oberaufseher über Ordnung und Arbeit bestellt wird; oben, die Wohnung des Arztes, welcher für die Kranken des Armenhauses und der beiden Dörfer sorgen muß. Arbeiten sollen alle nach Kräften – zur Sommerszeit in einer nahe daran angelegten Sämerei und einem dazugehörigen Gemüsgarten. Beider Ertrag ist für die Armen bestimmt. An Regen- und Wintertagen sollen die Weibsleute Flachs, und die dazu taugliche Männer Wolle spinnen, welche auch für ihr und anderer Notleidenden Leinen und Kleidung verwandt wird. Sie bekommen gut gekochtes gesundes Essen. Der Hausmeister betet morgens und abends mit ihnen. Die Weibspersonen arbeiten in einer, und die Mannspersonen in der andern Stube, welche beide durch einen Ofen erwärmt werden. In der von den Weibsleuten ißt man; denn weil diese den Tisch decken, und für die Näharbeit und die Wäsche sorgen müssen, so ist ihre Stube größer. Diejenige arme Witwe, oder alte ledige Weibsperson, welche das beste Zeugnis von Fleiß und gutem Wandel in den Dörfern hatte, wird Oberaufseherin und Anordnerin, so wie es der arme Mann, der ein solches Zeugnis hat, unter den Männern ist. Zu ihrem Schlafplatz ist der obere Teil des Hauses in zween verschiedne Gänge durch eine volle Mauer geteilt, auf deren jedem fünf Zimmer sind, jedes mit zween Betten, und allen Notdürftigkeiten für jedes insbesondere; auf einer Seite gegen den Garten die Männer; und auf der gegen das Dorf die Weiber; je zwei in einem Gemach, damit, wenn einem was zustößt, das andre Hülfe leisten oder suchen kann. Von der Mitte des Fensters an geht eine hölzerne Schiedwand von der Decke bis auf den Boden, etliche Schuh lang über die Länge der Bettstellen, so daß beide auf eine gewisse Art allein sein können, und auch, wenn eines krank wird, das andre seinen Teil gesunde Luft besser erhalten kann. Auf diese zween Gänge führen zwo verschiedne Stiegen, damit keine Unordnung entstehen möge.

Unter dem guten Hausmeister stehen auch die Knechte, die den Bau des Feldguts besorgen müssen; und da ihnen ein besserer Lohn als sonstwo bestimmt ist, so nimmt man auch die besten und des Feldbaues verständigsten Arbeiter, wobei zugleich auf solche, die einen guten Ruf haben, vorzüglich gesehen wird.

Fremden Armen soll ein mäßiges Almosen abgereicht, und dabei Arbeit angeboten werden, wofür sie Taglohn bekommen, und eine Stunde früher aufhören dürfen, um das nächste fremde Ort, so fünfviertel Stunden davon liegt, noch bei Tag erreichen zu können. Sternheim hat auf seine Kosten einen schnurgeraden Weg mit Bäumen umpflanzt dahin machen lassen; so wie er auch von dem einen seiner Dörfer zum andern getan hat. Nachts müssen die bestellten Wächter der beiden Ortschaften wechselsweise bis ans Armenhaus gehen, und die Stunden ausrufen. Meine Schwester will ein klein Fündelhaus für arme Waisen dabei stiften, um Segen für das Kind zu sammeln, welches sie unter ihrem liebreichen wohltätigen Herzen trägt. Mein Gedanke, gnädige Mama, ist, in meiner größern und weitläuftigern Herrschaft auch eine solche Armenanstalt zu machen, und wo möglich, mehrere Edelleute ein Gleiches zu tun zu überreden.

Fremde und einheimische Bettler bekommen bei keinem Bauren nichts. Diese geben bloß nach Vermögen und freiem Willen nach jeder Ernte ein Almosen in das Haus, und so werden alle Armen menschlich und ohne Mißbrauch der Wohltäter versorgt. Auf Säufer, Spieler, Ruchlose und Müßiggänger ist eine Strafe, teils an Fronarbeit, teils an Geld gelegt, welches zum Nutzen des Armenhauses bestimmt ist. – Künftigen Monat werden vier Manns- und fünf Weibspersonen das Haus beziehen, meine Schwester fährt alle Tage hin, um die völlige Einrichtung zu machen. In der Sonntagspredigt wird der Pfarrer über die Materie von wahrem Almosen und von würdigen Armen eine Rede halten, und der ganzen Gemeinde die Stiftung und die Pflichten derer, welche darin aufgenommen werden, vorlesen. Sodann ruft er die Aufgenommene mit ihren Namen vor den Altar, und redt ihnen insbesondere zu über die rechte Anwendung dieser Wohltat, und ihr Verhalten in den letzten und ruhigen Tagen ihres Lebens gegen Gott und ihren Nächsten; dem Hausmeister, dem Arzt und der Hausmeisterin desgleichen über ihre obliegenden Pflichten. Zu diesem Vorgang werden wir alle von P. aus kommen, ich bin's gewiß.
 

Der benachbarte Adel ehrte und liebte den Obersten Sternheim so sehr, daß man ihn bat auf einige Zeit junge Edelleute in sein Haus zu nehmen, welche von ihren Reisen zurückgekommen waren, und nun vermählt werden sollten, um den Stamm fortzuführen. Da wollte man sie die wahre Landwirtschaft eines Edelmanns einsehen und lernen lassen. Unter diesen war der junge Graf Löbau, welcher in diesem Hause die Gelegenheit hatte, das endlich ruhig gewordne Fräulein Charlotte P. kennenzulernen und sich mit ihr zu verbinden.

Herr von Sternheim nahm die edle Beschäftigung, diesen jungen Herren richtige Begriffe von Regierung der Untertanen zu geben, recht gerne auf sich. Seine Menschenliebe erleichterte ihm diese Mühe durch den Gedanken: Vielleicht gebe ich ihnen den so nötigen Teil von Mitleiden gegen Geringe und Unglückliche, deren hartes mühseliges Leben durch die Unbarmherzigkeit und den Stolz der Großen so oft erschwert und verbittert wird. Überzeugt, daß das Beispiel mehr würkt als weitläuftige Gespräche, nahm er seine jungen Leute überall mit sich, und, wie es der Anlaß erfoderte, handelte er vor ihnen. Er machte ihnen die Ursachen begreiflich, warum er dieses verordnet, jenes verboten, oder diese, oder jene andere Entscheidung gegeben; und je nach der Kenntnis, die er von den Gütern eines jeden hatte, fügte er kleine Anwendungen für sie selbst hinzu. Sie waren Zeugen von allen seinen Beschäftigungen, und nahmen Anteil an seinen Ergötzlichkeiten; bei Gelegenheit der letztern, bat er sie oft inständig, die ihrigen ja niemals auf Unkosten ihrer armen Untertanen zu suchen; wozu vornehmlich die Jagd einen großen Anlaß gebe. Er nannte sie ein anständiges Vergnügen, welches aber ein liebreicher menschlicher Herr allezeit mit dem Besten seiner Untertanen zu verbinden suche. Auch die Liebe zum Lesen war eine von den Neigungen, die er ihnen zu geben suchte, und besonders gab ihm die Geschichte Gelegenheit von der moralischen Welt, ihren Übeln und Veränderungen zu reden, die Pflichten der Hof- und Kriegsdienste auszulegen, und ihren Geist in der Überlegung und Beurteilung zu üben. »Die Geschichte der moralischen Welt«, sagte er, »macht uns geschickt mit den Menschen umzugehen, sie zu bessern, zu tragen und mit unserm Schicksal zufrieden zu sein; aber die Beobachtung der physikalischen Welt macht uns zu guten Geschöpfen in Absicht auf unsern Urheber. Indem sie uns unsre Unmacht zeigt, hingegen seine Größe, Güte und Weisheit bewundern lehrt, lernen wir ihn auf eine edle Art lieben und verehren; außerdem, daß uns diese Betrachtungen sehr glücklich über mancherlei Kummer und Verdrüßlichkeiten trösten und zerstreuen, die in der moralischen Welt über dem Haupte des Großen und Reichen oft in größerer Menge gehäuft sind als in der Hütte des Bauren, den nicht viel mehr Sorgen als die für seine Nahrung drücken.«

So wechselte er mit Unterredungen und Beispiel ab. In seinem Hause sahen sie, wie glücklich die Vereinigung eines rechtschaffenen Mannes mit einer tugendhaften Frau seie. Zärtliche, edle Achtung war in ihrem Bezeugen; und die Dienerschaft ehrfurchtsvoll, und bereit, ihr Leben für die ebenso gnädige als ernstliche Herrschaft zu lassen.

Sternheim hatte auch die Freude, daß alle diese junge Herren erkenntliche und ergebene Freunde von ihm wurden, welche in ihrem Briefwechsel sich immer bei ihm Rats erholten. Der Umgang mit dem verehrungswürdigen Baron P., der ihnen öfters kleine Feste gab, hatte viel zu ihrer Vollkommenheit beigetragen.

Seine Gemahlin hatte ihm eine Tochter gegeben, welche sehr artig heranwuchs und von ihrem neunten Jahr an (da Sternheim das Unglück hatte, ihre Mutter in einem Wochenbette zugleich mit dem neugebornen Sohne zu verlieren) der Trost ihres Vaters und seine einzige Freude auf Erden war, nachdem auch der Baron P. durch einen Sturz vom Pferde in so schlechte Gesundheitsumstände geraten, daß er wenige Monate darauf ohne Erben verstorben war. Dieser hatte in seinem Testamente nicht nur seine vortreffliche Frau wohl bedacht, sondern, nach den Landesrechten, die Gräfin von Löbau, seine jüngere Schwester, und die junge Sophie von Sternheim, als die Tochter der ältern Schwester, zu Haupterben eingesetzt; welches zwar dem Grafen und der Gräfin als unrecht vorkam, aber dennoch Bestand hatte.

Die alte Frau von P., von Kummer über den frühen Tod ihres Sohns beinahe ganz niedergedrückt, nahm ihren Wohnplatz bei dem Herrn von Sternheim, und diente der jungen Fräulein zur Aufsicht. Der Oberste machte ihr durch seine ehrerbietige Liebe und sein Beispiel der geduldigsten Unterwerfung viele Erleichterung in ihrem Gemüte. Der edeldenkende Pfarrer und seine Töchter waren beinahe die einzige Gesellschaft, in welcher sie Vergnügen fanden. Gleichwohl genoß das Fräulein von Sternheim die vortrefflichste Erziehung für ihren Geist und für ihr Herz. Eine Tochter des Pfarrers, die mit ihr gleiches Alter hatte, wurde ihr zugegeben, teils einen Wetteifer im Lernen zu erregen, teils zu verhindern, daß die junge Dame nicht in ihrer ersten Jugend lauter düstre Eindrücke sammeln möchte; welches bei ihrer Großmutter und ihrem Vater leicht hätte geschehen können. Denn beide weinten oft über ihren Verlust, und dann führte Herr von Sternheim das zwölfjährige Fräulein bei der Hand zu dem Bildnis ihrer Mutter, und sprach von ihrer Tugend und Güte des Herzens mit solcher Rührung, daß das junge Fräulein kniend bei ihm schluchzte, und oft zu sterben wünschte, um bei ihrer Frau Mutter zu sein. Dieses machte den Obersten fürchten, daß ihre empfindungsvolle Seele einen zu starken Hang zu melancholischer Zärtlichkeit bekommen, und durch eine allzusehr vermehrte Reizbarkeit der Nerven unfähig werden möchte, Schmerzen und Kummer zu ertragen. Daher suchte er sich selbst zu bemeistern und seiner Tochter zu zeigen, wie man das Unglück tragen müsse, welches die Besten am empfindlichsten rührt; und weil das Fräulein eine große Anlage von Verstand zeigte, beschäftigte er diesen mit der Philosophie, nach allen ihren Teilen, mit der Geschichte und den Sprachen, von denen sie die englische zur Vollkommenheit lernte. In der Musik brachte sie es, auf der Laute und im Singen, zur Vollkommenheit. Das Tanzen, soviel eine Dame davon wissen soll, war eine Kunst, welche eher von ihr eine Vollkommenheit erhielt, als daß sie dem Fräulein welche hätte geben sollen; denn, nach dem Ausspruch aller Leute, gab die unbeschreibliche Anmut, welche die junge Dame in allen ihren Bewegungen hatte, ihrem Tanzen einen Vorzug, den der höchste Grad der Kunst nicht erreichen konnte.

Neben diesen täglichen Übungen erlernte sie mit ungemeiner Leichtigkeit alle Frauenzimmerarbeiten, und von ihrem sechszehnten Jahre an bekam sie auch die Führung des ganzen Hauses, wobei ihr die Tag- und Rechnungsbücher ihrer Frau Mutter zum Muster gegeben wurden. Angeborne Liebe zur Ordnung und zum tätigen Leben, erhöht durch eine enthusiastische Anhänglichkeit für das Andenken ihrer Mutter, deren Bild sie in sich erneuern wollte, brachten sie auch in diesem Stücke zu der äußersten Vollkommenheit. Wenn man ihr von ihrem Fleiß und von ihren Kenntnissen sprach, war ihre bescheidene Antwort: »Willige Fähigkeiten, gute Beispiele und liebreiche Anführung haben mich so gut gemacht, als tausend andre auch sein könnten, wenn sich alle Umstände so zu ihrem Besten vereinigt hätten wie bei mir.«

Übrigens war zu allem, was engländisch hieß, ein vorzüglicher Hang in ihrer Seele, und ihr einziger Wunsch war, daß ihr Herr Vater einmal eine Reise dahin machen, und sie den Verwandten ihrer Großmutter zeigen möchte.

So blühte das Fräulein von Sternheim bis nach ihrem neunzehnten Jahre fort, da sie das Unglück hatte, ihren würdigen Vater an einer auszehrenden Krankheit zu verlieren, der mit kummervollem Herzen seine Tochter dem Grafen Löbau und dem vortrefflichen Pfarrer in S. als Vormündern empfahl. An den letztern hatte er einige Wochen vor seinem Tode folgenden Brief geschrieben.


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