Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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51. Die Verhältnisse klären sich

Am nächsten Morgen ging das holländische Schiff, die »Brigitta«, unter Segel. Auf elf Uhr früh war die Abfahrt angesetzt, und um zehn Uhr sollte Horbach, der einzige Passagier des Fahrzeugs, an Bord sein. Es war Sonntag, und Herr Nitschke brauchte deshalb nicht die Erlaubnis seines Prinzipals einzuholen, um den Freund wenigstens bis zum Strand zu begleiten. Van Roeken hatte übrigens noch am vorigen Abend eine lange und geheime Unterredung mit Horbach gehabt, in die zuletzt auch das eine malaiische Mädchen mit einbezogen wurde; dann war er hinüber zu Keurhuis und Bylderheer in die beabsichtigte Gesellschaft gefahren, wohin er die Neuigkeit von Heffkens Verhaftung und damit die ganze Gesellschaft fast in Aufruhr brachte, denn Heffken war eine zu allgemein bekannte und eigentlich auch gefürchtete Persönlichkeit gewesen. Als er morgens zwischen drei oder vier Uhr heimkam, wartete Madame übrigens nicht auf ihn. Ihre Zimmer lagen still und dunkel, und van Roeken ging in seine Arbeitsstube, wo er bis Tagesanbruch beschäftigt war, Briefe zu schreiben.

Als Horbach zu dieser Zeit herunterkam, um Abschied von ihm zu nehmen und an Bord zu gehen, befahl van Roeken, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, das Frühstück, und die beiden Männer saßen zwei volle Stunden hinter ein paar Flaschen schweren Weines, die heute statt Kaffees dienen mußten. Horbach spürte auch schon ihre Wirkung im Kopf; er wurde sehr heiter und schien sich außerordentlich wenig aus der Trennung von Java zu machen. Van Roeken dagegen blieb, obgleich er viel mehr als Horbach getrunken hatte, kalt wie Eis, übergab dem Scheidenden noch ein Paket Briefe für den Kapitän, die dieser in der Kapstadt lassen sollte, und schloß sich dann in seine Stube ein, um ein paar Stunden zu schlafen.

Horbach indessen traf noch auf dem Weg zum Zollhaus, wo er Nitschke finden sollte – ein paar gute Freunde, mit denen er bei einem der Schiffsmakler einkehrte, das begonnene Frühstück fortzusetzen.

Nitschke konnte in der Zwischenzeit das abfahrbereite Schiffsboot kaum noch bewegen, so lange zu warten, bis Horbach endlich eintraf; dann aber war dieser so betrunken, daß er ohne irgendwelchen Abschied in das Boot taumelte und, am Schiff angelangt, an Bord gehißt werden mußte. Glücklicherweise hatte er sein gesamtes Gepäck schon am Tage vorher auf die »Brigitta« schaffen lassen, und dort trugen ihn Matrosen in seine Kabine und ließen ihn den Rausch ausschlafen. Das war sein Abschied von Java.

Eine volle Woche dauerte es indessen, bis das Verhör gegen Heffken beginnen konnte, denn so langweilig und zeittötend die Gerichte auch bei uns verfahren mögen, soviel bequemer machen sie es sich noch in der heißen Zone, wo die Geschäftsstunden noch dazu auf ein Minimum reduziert werden. Es ist dies auch sehr erklärlich, und wir Deutschen können uns davon einen vortrefflichen Begriff machen, wenn wir uns einen an den alten Schlendrian und Kanzleistil gewöhnten Assessor denken, der bei 28 Grad Reaumur im Schatten irgendeine Arbeit vornehmen sollte. Joost aber erleichterte durch seine direkten Aussagen das Verfahren ungemein. Die Regierung hatte ihm nämlich die Zusage bestätigt, die ihm schon Lockhaart oben in Bandong gab, denn es lag ihr besonders daran, dem Urheber der in letzter Zeit so häufig verübten und schlauen Betrügereien auf die Spur zu kommen. Dabei konnte sie recht gut einen doch nur untergeordneten Helfershelfer wie Joost durch die Finger schlüpfen lassen. Joost suchte sich dann auch dieser Gnade würdig zu erweisen und brachte solche überzeugende Beweise von Heffkens verschiedenen Verbrechen, daß dessen Schuld schon nach den ersten Verhören vollständig bewiesen war. In diesen Enthüllungen wurde auch Klapa in mancher Hinsicht bloßgestellt, da der Javaner in die meisten Unternehmungen Heffkens verwickelt schien. Bei den späteren Verhören glaubte dann Klapa, der von Heffkens Verhaftung wußte, nichts anderes, als daß ihn dieser selber verraten habe, und zögerte nun auch seinerseits nicht, sämtliche Unterschlagungen, die der Buchhalter seit einer längeren Reihe von Jahren an den Regierungsprauen verübt hatte, ans Licht und die Beweise dafür zu bringen. -

Van Roeken hatte sich in der ganzen Zeit nur wenig im Geschäft gezeigt und selbst dann fast gar nicht mit seinen Leuten verkehrt, mit Nitschke sogar noch kein einziges Wort wieder gesprochen. Schämte er sich vielleicht daß seine häuslichen Verhältnisse bekanntgeworden waren? Aber er hätte darüber beruhigt sein können, denn weder Lockhaart, Horbach noch Nitschke hatten ein Wort von jenem Abend gegenüber irgendeinem Dritten erwähnt. Nur van Roeken selber schrieb es in der ersten Aufregung seinem Kompagnon nach Bandong und bat ihn, so rasch er könne wieder zurückzukommen und die Leitung des Geschäfts in der nächsten Zeit zu überwachen. Wagner schien das aber für keinen ausreichenden Grund gehalten zu haben, seine einmal genommenen Ferien so rasch wieder zu unterbrechen, und blieb noch, trotz dieser Nachricht, eine volle Woche in den Bergen. Ja, Lockhaart wie van Straaten reisten ebenfalls wieder hinauf, um wenigstens in Buitenzorg mit ihm und den Damen zusammenzutreffen.

Van Roeken verzehrte sich indessen – ganz gegen seinen sonstigen Charakter – fast vor Ungeduld und war schon selber im Begriff, nach Buitenzorg hinaufzufahren, um Wagner dort zu sprechen, als er einen Brief erhielt, daß dieser am nächsten Morgen um zehn Uhr wieder in seiner Wohnung eintreffen würde. – Um neun Uhr schon war van Roeken dort, um ihn zu erwarten, und ließ dem Angekommenen kaum Zeit, ein Bad zu nehmen und seinen Anzug zu wechseln, so drängte es ihn, das, was ihm auf dem Herzen drückte, loszuwerden.

»Leopold«, sagte Wagner, als die beiden Freunde endlich nebeneinander auf der kühlen Veranda des Hauses saßen, »du siehst bleich und angegriffen aus. Du hast dir den Zwischenfall zu sehr zu Herzen genommen, aber – du wirst dich erinnern, was ich dir immer gesagt habe.«

»Ich bin wenigstens jetzt bereit, deinem Rat zu folgen«, erwiderte van Roeken leise, »ich wollte, ich hätte es früher getan.«

»Besser spät als nie. Aber was beabsichtigst du?«

»Ich will mich von meiner Frau scheiden lassen.«

»Du hättest sie nie heiraten sollen.«

»Gut! Aber es ist einmal geschehen, und alles, was ich jetzt tun kann, ist: mich wieder auf immer von ihr zu trennen. Sie selber, die nichts so sehr fürchtet wie einen derartigen öffentlichen Prozeß, noch dazu da Heffken als Dieb vor Gericht steht, ist auch schon mit allem einverstanden und wird nicht die geringste Schwierigkeit machen.«

»Und die bösen Zungen in Batavia?«

»Ich habe der schlimmsten von ihnen so lange getrotzt«, sagte van Roeken, »daß ich sie jetzt alle miteinander nicht fürchte. Was mir früher aber außerordentlich unbequem schien, kommt mir jetzt vortrefflich zustatten, und ich bin froh, daß – Fräulein Bernold Java noch nicht wieder verlassen hat.«

»In der Tat? Und weshalb, wenn man fragen darf?« sagte Wagner, während er etwas Medoc in ein Glas füllte und Wasser hinzugoß.

»Weil ich sie jetzt heiraten will!« rief van Roeken entschlossen. »Es ist ein bildhübsches, gebildetes, braves, gutes Mädchen – ich bin ihr überhaupt diese Genugtuung schuldig, und – schaffe mir dann ein angenehmes Familienleben, indem ich mich auch um die übrige Gesellschaft Batavias gar nicht mehr zu kümmern brauche.«

Wagner hatte sein Glas langsam an die Lippen gehoben und trank es jetzt, ohne dem Freund noch zu antworten, ebenso bedächtig aus.

»Hm«, sagte er endlich, während er einen Blick zur Straße auf einen heranrollenden Wagen warf, »du bist zu dem Entschluß ein wenig spät gekommen.«

»Doch noch nicht zu spät – und was meinst du dazu?«

»Oh, er wäre vortrefflich, aber ich sehe nicht ein, daß er ausführbar ist!«

»Und warum nicht? Ich lasse mich noch in dieser Woche von meiner Frau scheiden.«

»Sehr schön das«, sagte Wagner ruhig, »aber ich mich nicht von meiner, und ich begreife wirklich nicht, wie du das alles vereinigen willst.«

»Du dich nicht von deiner?« rief van Roeken, erstaunt den Freund anstarrend. »Seit wann bist du verheiratet?«

»Seit vorgestern abend mit Hedwig Bernold«, lachte Wagner, indem er hinaus in den Garten deutete, »und dort werde ich gleich das Vergnügen haben können, dir meine Frau vorzustellen.«

»Hedwig – Bernold – deine Frau?« stammelte van Roeken, seinen Kompagnon anstarrend, als ob er ihm eben das Unglaublichste mitgeteilt hätte. »Du – du hältst mich jedenfalls zum besten.«

»Dort kommt meine Frau«, wiederholte ruhig der Freund, »und sie mag es dir selber bestätigen.«

Van Roeken hielt noch immer seinen Blick fest und ungläubig auf Wagner geheftet, dessen ausgestreckter Arm deutete aber auf den heranrollenden Wagen. Van Roeken erkannte in der Tat Hedwig mit Frau van Straaten, und als ihm die Wahrheit des Gehörten jetzt dämmern mochte, sagte er leise: »Also wirklich? Aber dann will ich ihr nicht hier begegnen«, setzte er, seinen Hut ergreifend, rasch hinzu, »wenigstens nicht in diesem Augenblick. Sei so gut und schicke meinen Bendi vorn auf die Straße, ich werde ihn dort erwarten.«

»Aber du kannst doch nicht vermeiden, ihre Bekanntschaft zu machen?«

»Nein – doch soll das wenigstens nicht jetzt geschehen. Du wirst einsehen, daß ich ihr in diesem Augenblick nicht gegenübertreten kann – eine weitere Erklärung des Geschehenen wirst du mir dann später geben, wie auch meine Glückwünsche entgegennehmen.« Und ehe ihn Wagner daran hindern konnte, verließ er dessen Wohnung gerade in demselben Augenblick durch die Hintertür und den Garten, als Mevrouw van Straaten und Hedwig mit der alten Kathrine in einer, wie Lockhaart mit seinem Schwager in einer anderen Carreta vor dem Portico hielten. Wagner behielt kaum Zeit, einem seiner Leute den Auftrag zu geben, van Roekens Wunsch zu erfüllen und den Bendi seines Kompagnons hinaus auf den Weg zu beordern, um dort seinen Herrn aufzunehmen.

Der alte Herr Lockhaart war indessen aus seinem Wagen gesprungen und half Hedwig heraus, und ihren Arm dann in den seinen ziehend, führte er sie zuerst in ihre neue Heimat ein. Wagner eilte ihnen entgegen, um seine junge aufgeregte Frau zu begrüßen, der alte Herr aber, die Hand nach ihm ausstreckend, sagte mit herzlicher, tiefbewegter Stimme: »Wagner, ich bringe Ihnen hier einen Schatz, den Sie nicht teuer genug bewahren und hegen können. Möge mit dieser Stunde ein guter Geist Ihre Schwelle überschreiten und Ihnen Frieden, Glück und Segen bringen. Mich selber aber, ihr lieben jungen Leute, betrachtet von dieser Zeit an als einen treuen Freund, der euch in späteren Jahren vielleicht auch noch durch mehr als Worte beweisen wird, welchen innigen Anteil er an eurem Schicksal nimmt. Ich mag wenigstens von jetzt an kein Fremder in diesem Haus sein.«

»Mein lieber, väterlicher Freund!« sagte Hedwig, seine Hand, ehe er es verhindern konnte, an ihre Lippen ziehend.

Der alte Lockhaart aber rief lachend: »Nein, Kind, das geht nicht – als Brautführer hab' ich noch andere Rechte!« Und ihren Kopf zu sich emporhebend, drückte er einen sanften, väterlichen Kuß auf ihre Stirn.

»Und nun geht es weiter!« rief er dann fröhlich. »Donnerwetter, Wagner, wo ist Ihr Frühstückstisch? Ich hoffe doch wahrhaftig nicht, daß Sie uns alle trocken hier begrüßen wollen?«

»Da kommt schon mein Maître de plaisir«, erwiderte mit leuchtenden Augen Wagner, indem er seine junge Frau umfaßte und küßte, und auf den Porticus heraus trat Herr Nitschke, feierlich und außerordentlich sauber und anständig gekleidet, in schwarzem Frack und weißer Halsbinde, während die malaiischen Diener die Flügeltüren aufrissen und die reichgedeckte Tafel zeigten.

In dem Augenblick rollte noch ein Bendi in den Garten, und als sich alle danach umdrehten, rief Lockhaart erstaunt aus: »Unser Mann in Schwarz! Herr Salomon Holderbreit! Was führt den zu uns?«

Herr Salomon Holderbreit schien aber ebenso, wenn nicht noch mehr überrascht, wie Herr Lockhaart, denn schwerlich hatte er eine so zahlreiche und noch dazu diese Gesellschaft hier erwartet. Zurück konnte er aber nicht mehr, denn sie hätten ihn alle gesehen, und es blieb ihm nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Augenscheinlich verlegen stieg er aus seinem kleinen Fuhrwerk, und es konnte Lockhaart nach den auf ihn gerichteten Blicken nicht entgehen, daß ihm vor allen anderen der Besuch gelte. Die Augen des Missionars hafteten wenigstens allein auf ihm, während er mit einer etwas scheuen Bewegung die übrige Gesellschaft grüßte.

Lockhaart ging ihm entgegen. Ein eigenartiger Verdacht stieg in ihm auf, und mit leiser Stimme fragte er den Geistlichen: »Bringen Sie mir eine Nachricht?«

»Ja«, sagte Herr Holderbreit, »die letzten Grüße eines Toten, der mir aufgetragen hat, Ihnen und – Fräulein Bernold, ich glaube jetzt wohl Frau Hedwig Wagner, seine Bitte um Vergebung für allen Kummer zu überbringen, den er Ihnen bereitete.«

Lockhaart stand tief erschüttert neben dem Mann und hielt seinen Arm fest gefaßt. »Er ist tot?« wiederholte er mit kaum hörbarer Stimme. »Und so rasch – so furchtbar rasch – aber ihm ist wohl!«

»Ich hoffe es«, sagte Holderbreit freundlich, »denn er starb in dem reuigen Bewußtsein seiner Fehler – doch weiß ich nicht, ob ich den heutigen Tag mit dieser Trauernachricht stören darf.«

»Nein«, wehrte Lockhaart ab, »nicht heute – überlassen Sie das mir, den richtigen Zeitpunkt dafür zu wählen. Aber ich danke Ihnen recht freundlich für die Mühe, die Sie sich deshalb gegeben haben. Wie sahen Sie Oswald von Dorsek?«

»Ich bin die letzten drei Tage nicht von seinem Lager gekommen. Er hatte keinen Freund dort oben unter all den fremden Menschen, und ich hielt es für meine Pflicht, ihm all die fernen Freunde durch die Tröstungen der Religion zu ersetzen.«

»Das haben Sie getan, Holderbreit?« sagte Lockhaart, ihn bewegt ansehend, »Gott lohne es Ihnen, Sie sind ein guter Mensch. Was ich aber von jetzt an für Sie hier auf Java tun kann, soll mit Freuden geschehen. Wenden Sie sich getrost an mich, wenn Sie meiner bedürfen sollten.«

»Ich danke Ihnen; ich nehme Sie vielleicht beim Wort.«

»Und weshalb haben Sie Bandong schon verlassen?«

»Mein Paß, den man mir ja nur für so kurze Zeit ausgestellt hatte, war abgelaufen, und der Resident konnte mir nicht gestatten, meinen Aufenthalt dort länger auszudehnen. Er hat mir schon ein paar Tage länger Frist gegeben, damit ich den Sterbenden nicht verlassen mußte. Außerdem hätte ich doch nicht in dem Hotel bleiben können, da mir Mevrouw Soltersdrop wegen des früheren Mißverständnisses eine sehr unangenehme Szene bereitete.«

»Gut – wir wollen sehen, was sich tun läßt. Aber kommen Sie nicht mit herein?«

»Der Todesbote paßt nicht in die Gesellschaft der Fröhlichen«, sagte Salomon Holderbreit abwehrend. »Außerdem wissen Sie vielleicht am besten, verehrter Herr Lockhaart, daß ich mich hier nicht recht wohl fühlen könnte.«

»Aber kein Mensch weiter als ich weiß davon.«

»Ich danke Ihnen dafür – aber wie dem auch sei, erlauben Sie, daß ich mich verabschiede, und bitte, bringen Sie dem jungen Paar in meinem Namen die herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche. Sie werden mir zutrauen, daß sie ernst gemeint sind.«

Lockhaart drückte ihm fest die Hand, und Salomon Holderbreit wandte sich mit einer leichten Verbeugung um und rollte in der nächsten Minute in seinem Wagen schon wieder zum Tor hinaus.


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