Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Es war ein Sonntagmorgen. Wagner hatte sein übliches Bad genommen und gefrühstückt und saß eben noch emsig mit einem Paket Papieren beschäftigt, als draußen ein Bendi hielt und gleich darauf van Roeken in sein Zimmer trat.

»Hast du sie gesehen?« waren die ersten Worte, die er sprach, noch ehe er den Freund begrüßt hatte. »Hast du sie gesprochen?«

»Noch nicht«, sagte Wagner lächelnd. »Du bist ja in einer ordentlichen Aufregung. Ist etwas vorgefallen?«

»Davon nachher – aber sie war doch gestern den ganzen Nachmittag im Hotel.«

»Allerdings – ich ließ auch anfragen, ob ich sie sprechen könnte, aber sie fühlte sich unwohl und ließ mich abweisen. Henkel ist übrigens entzückt von ihr. Er behauptet, daß es ein wunderschönes Mädchen sei und jetzt nur etwas bleich und angegriffen aussähe.«

»Henkel hat nicht den geringsten Geschmack«, sagte kopfschüttelnd van Roeken. »Muster darf man ihn zum Beispiel gar nicht aussuchen lassen. Ich traue ihm auch hierin nicht; das bleibt sich aber gleich, schön oder nicht, sie ist einmal da und muß so rasch wie möglich wieder fort.«

»Wieder fort? Und womit? Liegt denn ein Schiff segelfertig?«

»Es sind fünf, die in der nächsten Zeit und noch vor der Mail segeln werden«, sagte van Roeken. »Eins über New York, eins nach Toulon, und der Orion, der Falling star und der Christian direkt.«

»Direkt keins von allen dreien«, warf Wagner ein; »der Christian geht erst nach China, der Orion nach Bengalen, um seine Fracht einzunehmen, und der Falling star hat so ziemlich alle Molukken anzulaufen; du wirst aber dem armen Mädchen nicht zumuten wollen, allein ein halbes oder dreiviertel Jahr in der Welt und auf See herumzufahren, nur um dir wieder rasch aus dem Weg zu kommen. Auch über Toulon und New York darfst du sie nicht schicken – wer weiß, welche Gelegenheit sie in New York nehmen müßte, den Umweg und Aufenthalt gar nicht gerechnet. Und das nach Toulon bestimmte Schiff ist ein alter Kasten, der wahrscheinlich noch nicht einmal von hier auslaufen darf, ohne vorher nachgesehen und repariert zu werden. Jetzt hilft es nichts; hast du gesündigt, mußt du auch dafür büßen, und wenn die junge Dame selbst vorziehen sollte, in Batavia zu bleiben, wäre ich der letzte, der es ihr ausreden würde.«

»Du bist des Teufels!« rief van Roeken rasch und erschrocken. »Und was glaubst du, würde meine Frau dazu sagen? Sie ist auf der Spur!«

»Aber wie wäre das möglich!« rief Wagner erstaunt. »Gestern mittag ist die junge Dame an Land gekommen; Mevrouw van Roeken steht, soviel ich weiß, mit dem Hotel in gar keiner Verbindung.«

»Du weißt, daß Heffken wieder ausgeht«, seufzte van Roeken still vor sich hin; »der unglückliche Mensch scheint aber eine stille Neigung zu mir gefaßt zu haben, denn wie er mir gestern abend versichert hat, bin ich sein erster Besuch gewesen, den er nach seiner Verletzung beglückt hat.«

»Du scheinst nicht recht erbaut davon zu sein?«

»Nein!« rief van Roeken heftig. »Weil ich fest überzeugt bin, daß er bloß zu mir herübergekommen ist, um zu spionieren, wenn ich auch nicht recht begreife, welches Interesse er an der ganzen Sache haben kann.«

»Er weiß doch noch nichts von Fräulein Bernolds Ankunft?« rief Wagner rasch.

»Gewiß weiß er davon«, bekräftigte van Roeken mit einem Fluch, »und irgendein böser Geist muß es ihm verraten haben, sonst bleibt es ein Rätsel, wie er schon Wind davon bekommen konnte.«

»Und hat er etwas geäußert?«

»Gewiß; und noch dazu in Gegenwart meiner Frau. Ich dachte, der Schlag solle mich rühren, als er mich direkt fragte, was das für eine junge Dame gewesen sei, die heute – also gestern – mit einem von unseren Kommis vom Zollhaus heraufgekommen wäre.«

»Und was sagtest du?«

»Ich gab natürlich eine ausweichende Antwort«, versicherte van Roeken, »denn meine Frau wurde gleich stutzig und schien sich außerordentlich für die Sache zu interessieren.«

»Du hättest ihr einfach die Wahrheit sagen sollen«, meinte Wagner. »Daß du früher heiraten wolltest, ist keine Sünde, und daß du von ihren Reizen bezaubert worden bist und alle weiteren Verpflichtungen vergessen hast, könnte gerade für deine Frau doch auch nur schmeichelhaft sein.«

»Dann kennst du meine Frau schön«, lachte van Roeken, »heiliger Himmel, wenn ich ihr das gestanden hätte und sie das Mädchen jetzt auf Java wüßte, ich glaube, sie würde rein toll vor Eifersucht.«

»Und wenn sie es jetzt zufällig erfährt, ist die Sache noch viel schlimmer«, sagte der Freund. »In dem Fall muß sie, schon deines Schweigens wegen, Verdacht schöpfen, daß doch nicht alles so richtig sei. Du kannst die unangenehmsten Szenen mit ihr bekommen.«

»Ich habe jetzt alles auf dich geschoben«, sagte van Roeken abwehrend, »und damit hat sie sich vollständig beruhigt.«

»Ich bin dir unendlich verbunden!« rief Wagner, nicht eben angenehm überrascht, »aber ich hoffe doch nicht, daß du das in Heffkens Gegenwart getan hast?«

»Er hat gar nicht darauf geachtet«, sagte van Roeken ausweichend.

»Da kennst du den schlecht!« rief der junge Deutsche, von seinem Stuhl aufspringend und mit raschen Schritten die Stube durchmessend. »Und wenn er die Geschichte zu Romelaers hinüberträgt, kann mein Betragen das größte und ungerechteste Mißverständnis hervorrufen – ganz abgesehen davon, in welches Licht du die bedauernswerte junge Fremde bringst.«

»Ach was«, lachte der Holländer, der sich durch nichts so leicht beunruhigen ließ, was ihn nicht selber und direkt betraf. »Dort klären ein paar Worte ein mögliches Mißverständnis auf; bei meiner teuren Gattin aber würden ein halbes Dutzend Demosthenesse nicht ausreichen, sie zu überzeugen, daß ich unschuldig sei. Tu mir nur den Gefallen und widersprich mir heut abend nicht.«

»Heut abend nicht?«

»Sie – hat mich gebeten, dich für heute einzuladen – zu ihrem Geburtstag, glaub' ich.«

»Ihrem Geburtstag? War denn der nicht im vorigen Monat?«

»Allerdings haben wir ihn da gefeiert«, bestätigte van Roeken, »aber sie muß das vergessen haben oder benutzt auch den Geburtstag mehrfach als passende Gelegenheit, sich einmal ein paar gute Freunde einzuladen. Die unglückliche Idee dabei ist nur, daß ich – Fräulein Bernold auch – bei mir einführen soll.«

»Aha, Heffken hat sie neugierig gemacht«, lachte Wagner, »und um die Gefahr gleich zu kennen, der sie ausgesetzt ist, rückt sie ihr direkt in die Zähne. Keck bleibt das immerhin und ganz gescheit obendrein; nach der Einleitung aber, die du, wie mir scheint, gemacht hast, werd' ich dich bitten, mich zu entschuldigen nicht allein meinet-, sondern auch der jungen Dame wegen, die wir doch hier in Batavia nicht in schlechten Leumund bringen wollen, nur damit du einer Gardinenpredigt entgehst. Außerdem möchte ich dich bitten, mir zu sagen, wie du dir das ungefähr gedacht hast, wenn du Fräulein Bernold – die sich bis jetzt noch für die dir bestimmte Gattin halten muß – bei Mevrouw van Roeken einführen willst.«

»Alle Teufel!« rief van Roeken erschrocken, »daran hab' ich noch nicht einmal gedacht. Aber du hattest mir ja doch auch versprochen, alles mit ihr zu klären.«

»Wenn es sich um eine Schiffsladung Pfeffer oder Kaffee handelte«, sagte Wagner kalt, »so wäre es auch schon abgetan. Daß diese Sache anders angefaßt sein will, scheinst du noch immer nicht zu begreifen.«

»Aber meine Frau!« stöhnte van Roeken.

»Zum Henker auch«, rief Wagner ungeduldig, »mach' mit ihr, was du willst. Warum hast du deine eigene Torheit gegen diesen Heffken ausposaunen müssen; jetzt trage auch die Folgen. Schütze dabei vor, wen du willst, nur bitte ich dich ernstlich, mich aus dem Spiel zu lassen, denn du weißt besser, als ich es dir sagen könnte, wie rasch sich hier in Batavia das geringste derartige Gerücht in allen Familien verbreitet. In dem Verhältnis aber, in dem ich zu Romelaers stehe, könnte es mir, wie du wohl begreifen wirst, nicht wünschenswert sein, den Verdacht auf mich zu lenken, als ob ich noch nebenbei eine Liebschaft unterhielte – ganz abgesehen davon, welchen nachteiligen Einfluß es auf das Schicksal und den Ruf des armen Mädchens haben müßte.«

»Aber du kommst doch heut abend?«

»Ich will kommen, vorausgesetzt, daß du mich nicht in Verlegenheit bringst; ich mache sonst das Recht der Selbsterhaltung geltend und stehe dir für nichts.«

»Wenn ich nur wüßte, wie ich meine Frau davon abbringen soll, der jungen Dame eine Einladung zu schicken, denn sie vergißt nie etwas Derartiges.«

»Das mache, wie du willst. Um elf oder zwölf Uhr werde ich übrigens zu Fräulein Bernold hinüberfahren und womöglich alles in Ordnung bringen – ich wollte, es wäre erst überstanden. Wenn sie dann erfährt, wie die Sachen hier stehen, möchte sie es vielleicht selber vorziehen, mit der hiesigen Gesellschaft in weiter keine Berührung zu kommen.«

»Und soll sie in dem Hotel bleiben?«

»Nein«, sagte Wagner; »schon allein am table d'hôte zwischen all den fremden, sie angaffenden Menschen zu sitzen muß ihr unerträglich werden, und ich will sehen, daß ich sie während der Zeit ihres Aufenthalts in irgendeiner Familie unterbringen kann.«

»Aber wo?«

»Erst muß ich sie selber kennenlernen, um zu beurteilen, wohin sie paßt, nachher... Alle Wetter, wer ist das? Ich bekomme Besuch.«

Beide Männer wandten sich dem Garten zu, in den eben einer der gewöhnlichen Mietbendis einfuhr, und van Roeken rief: »Das ist der nichtsnutzige und liederliche Nitschke, von dem es ja schon einmal hieß, daß er ertrunken oder auf andere Weise umgekommen sei. Was will er bei dir?«

»Gott weiß es; jedenfalls um irgend etwas anhalten.«

»Laß dich ja nicht mit ihm ein, du wirst ihn sonst nicht wieder los.«

»Schade um den armen Teufel«, sagte Wagner; »er ist ein ganz talentvoller Mensch, wenn er seine Sinne eben beieinander hält, aber jeder Verführung augenblicklich preisgegeben und in den Händen dieses nichtsnutzigen Horbach ein vollkommen willenloses Instrument, mit dem der Bursche machen kann, was ihm gerade beliebt. Er kommt wirklich auf das Haus zu.«

»Ich mag ihm hier nicht begegnen«, sagte van Roeken, indem er seinen Hut nahm, »sonst bettelt er mich am Ende auch an. Also ich verlasse mich auf dich, daß du noch heute alles in Ordnung bringst, und heut abend sagst du mir dann Bescheid; komm nicht zu spät.« Und mit diesen Worten verließ er nach dem Hof zu das Haus, um dort sein Fuhrwerk wiederzufinden und dem eben den Porticus betretenden Nitschke nicht in den Weg zu kommen.


 << zurück weiter >>