Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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41. Ein Totgeglaubter kehrt zurück

Es wäre unmöglich, die Aufregung zu schildern, mit der Mevrouw Soltersdrop im Zimmer allein zurückblieb. Bald setzte sie sich, bald sprang sie trotz ihrer Beleibtheit wieder auf, sobald sie nur draußen Schritte hörte, und die Knie zitterten ihr ordentlich, als plötzlich die Tür aufging und Salomon Holderbreit, den so lange verschollenen Valentijn Joost an der Hand, das Zimmer betrat. Valentijn Joost verdient indessen eine kurze Beschreibung. Es war eine kleine, ziemlich wohlbeleibte Gestalt, nicht mehr ganz jung, mit einem gelben, von Sommersprossen fast zu reichlich bedachten Gesicht. Darin stand außerdem ein Paar sehr großer wasserblauer Augen, die mit dem dunklen Haar und den sehr weißen Zähnen seinen Zügen wohl nicht viel Ausdruck verliehen, hätte er die Augen nicht stets weit aufgerissen. Eigentümlich waren nur seine Bewegungen, als er durchs Zimmer ging. Er tat das nämlich mit großen Schritten, wobei er aber nur äußerst vorsichtig auftrat, als ob er sich scheue, unnötiges Geräusch zu machen. Da er die Finger etwas gespreizt trug, hätte es ihm vielleicht einen komischen Anschein gegeben; der bleibend melancholische und bestürzte Ausdruck seiner Züge milderte das aber wieder, denn er glich frappant einem Menschen, der eben eine überraschende und sehr traurige Nachricht bekommen hat. Mynheer Joost mochte zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt sein – vielleicht war er noch älter, es ließ sich nicht so genau bestimmen. Übrigens ging er sehr anständig, wenn auch gerade nicht dem Klima angemessen, in Schwarz gekleidet, was seine Erscheinung eher noch etwas düsterer und wehmütiger machte.

Als der wohl um acht Zoll größere Holderbreit mit dieser Persönlichkeit, die er am Arm hielt und fast hinter sich her zog, im Zimmer erschien, würde ein unbefangener Zuschauer kaum den wahren Sachverhalt erraten haben. Es sah weit eher aus, als ob der Geistliche den kleinen bestürzten Mann irgendwo auf einer faulen Tat ertappt und hierher geschleppt habe, damit er sein Urteil vernehme und seine Strafe empfange, und mit einer wahren Armensündermiene folgte ihm Mynheer Joost – weil er eben nicht anders konnte. Als er aber die Tür hinter sich zugedrückt hatte, machte er sich von Holderbreits Hand los, ließ beide Arme gerade herunterhängen, beugte den Kopf, den er etwas auf die Seite legte, nach vorn, sah mit den großen blauen und etwas wässerigen Augen in die Höhe und sagte: »Grietje!«

»Lassen Sie uns allein, ehrwürdiger Herr«, sagte die Frau, ohne von dem Stuhl aufzustehen, in den sie wieder gesunken war, oder dem Eintretenden nur mehr als einen flüchtigen Blick zuzuwerfen. »Lassen Sie uns wenigstens für kurze Zeit allein, ich – habe einiges mit Valentijn Joost zu besprechen, was ich gern unter vier Augen abmachen möchte.« Salomon Holderbreit neigte langsam das Haupt, warf noch einen milden, versöhnenden Blick auf die Frau und verließ dann langsam und, wie es schien, tief bewegt das Zimmer.

Salomon Holderbreit hatte die Tür schon lange hinter sich geschlossen, und noch immer sprach keiner der beiden ein Wort. Valentijn hielt wie vorher den wehmütigen, vorwurfsvollen Blick auf Mevrouw geheftet, und diese betrachtete ebenso aufmerksam, aber mit weit weniger Sentimentalität die vor ihr stehende, etwas traurige Gestalt.

»Grietje!« wiederholte Valentijn und streckte die rechte Hand nach ihr aus.

»Und bist du's denn wirklich, Valentijn?« sagte diese, ohne die Hand jedoch zu nehmen, während ein tiefer Seufzer ihre Brust hob. »Bist du's denn wirklich, der fünfzehn Jahre draußen in der Fremde herumgewandert ist und seine arme Frau hier allein hat sitzenlassen?«

»Aber allein bist du doch nicht sitzengeblieben, Grietje!« wandte Valentijn schüchtern ein.

»Nein, das bin ich auch nicht«, erwiderte schon etwas heftiger die Frau; »aber deine Schuld ist's doch nicht, Valentijn. Deine Schuld ist's nicht, daß ich nicht die langen Jahre hier im Witwenschleier gesessen und mich um einen Menschen gegrämt und gehärmt habe, der vielleicht inzwischen mit Gott weiß welchem jungen Geschöpf herumsprang und seine eigene, ihm angetraute Frau lange vergessen hatte.«

»Grietje!« sagte wieder der Mann, jetzt aber mit einem leisen, schmerzlichen Vorwurf im Ton.

»Es ist gut«, seufzte die Frau und nahm die Hand, die er ihr noch immer entgegenhielt, »es ist gut, Valentijn, und du sollst mir später erzählen, wo du dich die Zeit herumgetrieben hast. Du weißt aber, daß ich jetzt wieder verheiratet bin – laß mir Zeit zu überlegen, was ich tun soll. Sprich auch vorher nicht mit meinem Mann darüber. Ich bin gesetzlich vollkommen gerechtfertigt, aber ich möchte das Geschrei der Nachbarn vermeiden, die sich ohnehin schon viel mehr als nötig mit mir beschäftigen. Was wir miteinander abzumachen haben, kann zwischen uns beiden geschehen – du hättest vielleicht nicht einmal den Geistlichen dazu gebraucht; da es aber einmal geschehen ist, mag es gut sein.« Wieder betrachtete sie ihn eine lange Zeit aufmerksam und fuhr dann wie vorher fort: »Du hast dich sehr verändert, Valentijn – ich hätte dich vielleicht nicht einmal wiedererkannt.«

»Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, Grietje«, seufzte der Mann, »und wir sind beide nicht jung dabei geblieben. Ich habe viel durchgemacht in den Jahren und war eine lange, lange Zeit in Borneo von den Eingeborenen gefangen, du hättest sonst gewiß von mir gehört. Die Trennung ist mir selber schwer angekommen.«

Wieder betrachtete ihn die Frau forschend von oben bis unten, endlich sagte sie leise: »Manchmal ist mir's, als ob du es wärst, manchmal wieder nicht. Hast du gar kein Zeichen aus früherer Zeit, das mir als fester Beweis dienen könnte?«

»Sagt dir dein Herz nichts, Grietje?« fragte ihr Gatte mit zärtlichem Vorwurf.

Grietje schüttelte den Kopf und meinte: »Darauf geb' ich nicht viel – Herz und dergleichen – hast du gar kein Zeichen von früher behalten? Wo ist unser Trauring?«

»Du guter Gott«, stöhnte der Mann, »das war ein schwerer Tag, an dem ich mich von dem Ring trennen mußte! – Es war gerade, als die Dajaks über uns herfielen und uns in ihre Hütten schleppten – und damals glaubte ich, wir sollten gebraten und verzehrt werden; aber wir kamen noch mit dem Leben davon. Was wir freilich an Gold und Wertsachen bei uns hatten, nahmen sie uns ab.«

»Die Briefschaften auch?« sagte die Frau, mißtrauisch werdend.

»Nein«, erwiderte ruhig Valentijn, »mit denen hätten sie nichts anfangen können, ja sie fürchteten sich sogar davor, sie anzufassen, da sie glaubten, daß vielleicht irgendein böser Zauber darin stecken möchte.«

»Und die hast du noch? –«

»Ja, Grietje – wenn du denen mehr Glauben schenken willst als mir selber. Vielleicht kennst du sogar die alte Brieftasche noch, in die du sie damals selber hineingelegt hast, als ich auf Reisen ging.«

Langsam mit dem Kopf nickend, nahm die Frau die Brieftasche, betrachtete sie seufzend und sagte dann: »Geh jetzt hinaus, Valentijn – laß mich eine Weile allein – mein Mann wird auch jetzt munter werden. Heute abend können wir nicht mehr, wenigstens nicht ausführlich, miteinander sprechen; steh morgen früh auf und komm wieder hierher in mein Büro; ich will hier auf dich warten.«

»Grietje! –«

»Beruhige dich – ich stelle dich zufrieden – ich will dir die verlorenen Waren nicht in Anrechnung bringen – ich wünsche, daß es dir in Zukunft gut gehe, und das Wenige, was ich dazu beitragen kann, soll geschehen – aber, wie gesagt, nur unter der einen Bedingung, daß du auch mein Wohlergehen berücksichtigst und keinem Menschen gegenüber erwähnst, wer du bist – oder wer du vielmehr warst. Versprichst du mir das?«

»Gewiß verspreche ich das, Grietje – freilich war ich mit anderen Hoffnungen hierher gekommen!« seufzte er.

»Sei kein Narr«, dämpfte aber »Grietje« ziemlich prosaisch diesen Ausbruch von Gefühl, »geh jetzt hinüber und laß dir mit dem Prediger etwas zu essen geben – ihr werdet beide hungrig sein. Ich schicke euch nachher den Wein dazu – es sind noch immer ein paar Flaschen von der alten Sorte da, die Mynheer Soltersdrop noch nicht gefunden hat. Behüt' dich Gott, Valentijn!« Und wieder reichte sie ihm die Hand, die er derb und herzlich drückte, dann winkte sie ihn hinaus und schob hinter ihm den Riegel vor, um vollkommen ungestört die alten, gelben Papiere durchzusehen und zu prüfen. Es war ein trauriges Geschäft und kostete sie manchen Seufzer, manche Träne, denn sogar ein paar alte Briefe von sich fand sie dabei, noch aus der ersten Zeit ihrer Liebe. O selige Erinnerungen, wenn das Herz noch frisch ist, denn Valentijn war ja erst ihr dritter Mann gewesen! -

Valentijn warf noch einen schmachtenden Blick zurück, als sich aber die Tür hinter ihm schloß, war es auch, als ob eine Art von Zauber von ihm genommen, ein anderes Leben über ihn gekommen sei. Seine ganze Gestalt hob sich um wenigstens drei Zoll, sein gelbes Gesicht lächelte freundlich und selbstzufrieden und zeigte dabei die perlmuttartigen Zähne in ihrem vollen Umfang, und die großen hellblauen Augen blitzten und funkelten nach allen Seiten ihren Triumph hinüber. Von der vorherigen Zerknirschung und Rührung war auch nicht die Spur mehr zu finden. Das Gesicht zog sich erst wieder in die vorigen ernsten Falten, als Salomon Holderbreit aus der Küche kam, wo er mit einiger Umsicht ein Mittagsmahl für sie bestellt hatte.


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