Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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44. Die Reisegesellschaft ist wieder zusammen. – Joost legt ein Geständnis ab

Lockhaart wie Wagner hatten indessen kaum ordentliche Toilette gemacht, als van Straatens Wagen vor der Tür hielt und die Damen mit dem alten freundlichen Herrn ausstiegen. Allerdings bedurften auch sie einer Erfrischung und einiger Ruhe; aber rascher, als Lockhaart erwartet hatte, waren sie mit allem fertig und sammelten sich jetzt um den großen Frühstückstisch mitten im Salon. Willem Soltersdrop aber wußte kaum die Damen unter seinem Dach, als er auch schon triumphierend seine Musikdose aufzog. Jetzt konnte der alte Brummbär nichts dagegen haben, denn wenn es den Damen gefiel, kam er nicht in Betracht.

Schon bei dem »Freut euch des Lebens« stand auch die Kathrine neben dem Kasten, voller Bewunderung und Rührung die Hände faltend. Guter Gott, das Lied versetzte sie ja mit einem Schlag wieder in die Heimat, wieder in ihr liebes Frankfurt zurück, und sie lauschte den lieben, so lange nicht gehörten Tönen mit wahrem und ungeheucheltem Entzücken. Der Wirt hatte an ihr seine herzliche Freude. Wer aber seine herzliche Freude nicht daran hatte, das war Lockhaart, und seine Tür aufreißend, rief er: »Plagt Sie denn der helle Teufel, diesen verdammten Marterkasten schon wieder loszulassen?«

»Mynheer Lockhaart!« rief Willem Soltersdrop gekränkt, »die deutsche Musik, was Sie auch sonst von den Deutschen halten mögen, ist anerkannt die beste in der Welt.«

»Darum braucht man sie aber nicht den ganzen Tag zu dudeln.«

»Aber ich hin überzeugt, daß die Damen davon entzückt sein werden.«

»Schön«, sagte Lockhaart, der zu einem finsteren Entschluß gekommen war, »ist das Frühstück fertig?«

»Zu Ihren Diensten – ich warte nur auf die Herrschaften, um das Zeichen zu geben.«

»Da kommen die Damen, Sie können anrichten lassen.«

Willem Soltersdrop ging zur Tür, um einen der Malaien in die Küche zu schicken; Lockhaart aber war mit zwei Schritten bei der Spieldose, schnitt das Band von dem daran hängenden großen Messingschlüssel, steckte diesen in die Tasche und setzte sich jetzt voller Gemütsruhe an den Tisch, um die Damen und seinen Schwager zu erwarten. Gleich darauf kam Wagner, aber er schien zerstreut und hörte die Spieldose gar nicht, über deren weitere Tätigkeit sich jetzt Lockhaart trefflich zu amüsieren schien. Wagner sah heute auch bleich und angegriffen aus; die Augen zeigten dunkle Ränder und waren matt. Selbst Lockhaart, der ihn beobachtete, als er in die Tür trat, entging das nicht, wenn er auch heute morgen zu sehr beschäftigt gewesen war, um auf ihn achtzugeben.

»Fehlt Ihnen etwas, Wagenaar?« fragte er, als der junge Mann in den Saal trat, »Sie sehen hundeelend aus.«

»Ich wüßte nicht«, erwiderte Wagner, »es müßte denn vielleicht die Aufregung über den nichtsnutzigen Gesellen sein, mit dem wir es heute morgen zu tun hatten. Ich bin fest überzeugt, daß er in Heffkens sämtliche Geheimnisse eingeweiht ist; aber er wird selber mit zu tief darinstecken, um ein Geständnis wagen zu dürfen.«

»Wenn wir den Klapa bekommen, brauchen wir Herrn Joost gar nicht«, sagte Lockhaart, mit heimlicher Schadenfreude nach der Spieldose hinüberhorchend, die eben wieder in ein anderes Tonstück, den »Jungfernkranz«, hinüberschnarrte. Nur noch drei, und sie hatte ausgesungen.

»Ich fürchte, die Anweisung, die uns Joost gegeben hat, ist falsch«, sagte Wagner, »oder wenn nicht falsch, doch so ungenau, daß wir nicht nach ihm suchen können, ohne uns zu verraten. Daß Weiße in der Nähe sind, läuft ja stets mit Blitzesschnelle durch einen ganzen Distrikt, und Joost weiß recht gut, daß der erst eingefangene Javaner mit seinen Aussagen auch gegen ihn selber zeugen würde.«

»Pst, da kommen unsere Damen!« unterbrach ihn aber Lockhaart, als Hedwig und Mevrouw van Straaten den Saal betraten und die erstere auf Lockhaart zueilte und seine Hand ergriff, um ihn zu begrüßen.

»Mein lieber Herr Lockhaart«, sagte sie dabei, »Sie glauben gar nicht, wie dankbar ich Ihnen bin, mir dies wundervolle, herrliche Land gezeigt zu haben. Wahrhaftig, ich konnte nie glauben, daß Gottes Welt so schön – so wunderbar schön sei.«

»Mein liebes Fräulein«, sagte Lockhaart trocken, »erstens haben Sie mir dafür gar nicht zu danken, denn mein Schwager – der jeden Morgen beim Frühstück eine halbe Stunde auf sich warten läßt – ist der eigentliche Veranstalter. Dann sind Sie übrigens auch im Irrtum, wenn Sie glauben, daß Java schöner sei als Europa – es ist nur in anderer Art schön, und ich bin fest überzeugt, daß ein Javaner, wenn er das herrliche Land dort drüben sehen könnte, ebenso entzückt davon sein würde, wie Sie von dem seinigen. Doch bitte, setzen Sie sich – genieren Sie sich nicht des verdammten Klapperkastens wegen; er hat gleich ausgesungen, und dann können wir ihn zur Fußbank gebrauchen.«

»Lassen Sie sich nicht irremachen, liebes Kind«, sagte Mevrouw van Straaten freundlich, »er bleibt nun einmal ein schroffer, unzugänglicher Mensch, wenigstens von der Außenseite, sonst aber...«

»Bitte, Frau Schwester, unterbrechen Sie den ›Jungfernkranz‹ nicht«, sagte Lockhaart, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »jetzt kommt gleich der ›Dessauer‹. Nun, seid ihr überhaupt gut hergekommen? Es war verdammt langweilig gestern abend in Tjanjor, wie?«

»Gott bewahre; wir haben uns vortrefflich amüsiert!« meinte Mevrouw.

»Ja du, das glaub' ich«, sagte Lockhaart, »dich hab' ich auch gar nicht gefragt – du brauchst nicht mehr Stoff, um dich zu amüsieren, als eine Ziege Platz zum Stehen. Ob sich unser Gast amüsiert hat, wollt' ich wissen.«

»Und warum nicht?« sagte Hedwig lächelnd, denn sie kannte Lockhaarts Eigenheiten schon zu genau. »Die Leute waren so lieb und herzlich.«

»Das dank' ihnen der Teufel!« brummte Lockhaart.

»Und alles hat noch überhaupt so sehr für mich den Reiz der Neuheit –«

»Die Entschuldigung lass' ich eher gelten«, nickte der alte Herr. »Na, Wagenaar, was stehen Sie denn da hinten, als ob Ihnen der Löffel in die Suppe gefallen wäre?«

»Mynheer Wagenaar, so wahr ich lebe!« rief die alte Dame, »und so ganz in der Ecke? Ich habe Sie nicht einmal gesehen.«

»Es freut mich ungemein, Sie wohlbehalten angelangt zu sehen«, erwiderte Wagner den Gruß auf etwas steife Weise und wurde rot, als ihm Hedwig die Hand reichte.

»Sie müssen gestern abend sehr spät hier angekommen sein«, sagte Hedwig, »denn der Weg ist ziemlich lang.«

»Nur, wenn man ihn in langweiliger Gesellschaft fährt«, bemerkte Lockhaart, »wir waren schon mit Dunkelwerden da.«

»Und fanden hier auch einen früheren Reisegefährten von Ihnen«, setzte Wagner hinzu. »Die Passagiere der Rebecca sind jetzt alle hier im Hotel versammelt.«

»Herr Holderbreit«, sagte Hedwig lächelnd, »war eben keine so übermäßig angenehme Persönlichkeit.«

»Sie werden ihn hier viel genießbarer finden als an Bord«, versicherte aber Lockhaart. »Er ist schon, seit er sich an Land befindet, einige Male mit dem Kopf gegen die Wand gerannt und unweigerlich im Begriff, es noch weiter zu versuchen. Jeder Anprall stimmt ihn aber milder und vernünftiger, und ich denke, wenn er auch hier niemanden auf Java bekehrt, werden wir ihn doch wenigstens von mancher Albernheit bekehrt haben, ehe wir ihn wieder nach Hause schicken. Aber da ist er selber. Mynheer Holderbreit, ich habe das Vergnügen, Ihnen hier eine alte Bekannte von uns vorzustellen – Fräulein Bernold. Sie erinnern sich vielleicht nicht einmal der jungen Dame mehr?«

»Bitte tausendmal um Entschuldigung«, sagte Holderbreit.

»Weshalb?« fragte Lockhaart scharf.

»Weshalb? Nun – daß ich – daß ich die junge Dame nicht kennen sollte«, sagte der Geistliche verlegen; »ich müßte die viermonatliche Reise auf der Rebecca sehr rasch vergessen haben.«

»So, dann sind wir alle klar, wie der Steuermann immer sagte«, lachte Lockhaart, »der Kasten da hat auch ›Fordre niemand, mein Schicksal zu hören‹ überstanden und seinen Schwanengesang, den letzten Walzer, begonnen – wenn nun Lodewijk... Alle Wetter, da ist er wirklich! Junge, Junge, du wirst alle Tage langsamer. Na, setz dich hierher zu uns, und nun, Mynheer Soltersdrop, je eher Sie das Frühstück hereinschaffen, desto besser.«

Das Frühstück wurde gebracht, und für den Augenblick nahm dies die Aufmerksamkeit der Gäste vollständig in Anspruch. Ein ziemlich ernstes Schweigen legte sich über die Runde, nur Lockhaart lächelte still und vergnügt vor sich hin, denn der Takt der Spieldose wurde immer langsamer, und Mynheer Soltersdrop suchte den Schlüssel. Van Straaten begann jetzt, ohne auf den alle Winkel der Stube und seine Taschen visitierenden Mann zu achten, eine Beschreibung des gestrigen Tages und ihrer heutigen Fahrt, als ein Bote des Residenten Herrn Lockhaart von der Tafel abrief. Er blieb nur wenige Minuten draußen, kam dann wieder herein und nahm seinen Hut.

»Sie wollen fort?« rief Wagner.

»Der Resident hat seinen Wagen geschickt, um mich abholen zu lassen. Unser Freund unten möchte mir einige Mitteilungen machen. Bitte bleiben Sie oben und geben Sie van Straaten einen kurzen Bericht über das Vorgefallene. Mynheer Holderbreit ist vielleicht indessen so gut, den Damen Gesellschaft zu leisten. Dorrtje, das schlägt in dein Fach, du willst ja auch immer haben, daß wir unsere Malaien hier zu Christen machen; da könnt ihr euch zusammen beraten, wie das am besten anzufangen ist.«

Die Tafel war aufgehoben; Wagner nahm jetzt van Straaten beiseite, um ihm mit kurzen Worten die Umstände von Joosts Gefangennahme wie der Entdeckung mitzuteilen, die man durch die bei ihm gefundenen Papiere gemacht hatte. Es stellte sich dadurch nämlich außer allen Zweifel, daß Heffken dem letzten Kassendiebstahl nicht fernstand, ja diese Tat sogar veranlaßt und geleitet habe; und in die nächste Expedition gegen dessen javanischen Mitschuldigen mußte der alte Herr ebenfalls eingeweiht werden. Lockhaart war noch in seinem Zimmer gewesen und wollte eben durch den Saal hindurch der Ausgangstreppe zugehen, als er Mynheer Soltersdrop bemerkte, der vor einem Schrank auf den Knien lag und sich mit schiefgebogenem Kopf die größte Mühe gab, einen Blick darunter zu gewinnen.

»Was zum Henker machen Sie denn da!« rief er, bei ihm stehenbleibend.

»Bitte um Entschuldigung, Mynheer, ich suche meinen Schlüssel.«

»Was für einen Schlüssel?«

»Zur Spieldose. Er ist auf die rätselhafteste Art abhanden gekommen.«

»Mynheer Soltersdrop!«

»Mynheer?« sagte der Wirt und schaute, ohne seine Stellung auf den Knien und Ellbogen zu verändern, zu dem alten langen Herrn empor.

»Ich will Ihnen etwas sagen«, erklärte Lockhaart, indem er langsam auf seine Westentasche schlug, »da steckt er« – der Wirt fuhr mit wahrer Federkraft vom Boden empor –, »und da wird er stecken bleiben, solange wir noch hier in Bandong und in Ihrem Hotel sind. Der geringste Widerspruch von Ihrer Seite, und ich werfe den Schlüssel ins Wasser, und Sie können nachher die Dose nach Batavia schicken, um einen neuen machen zu lassen.«

»Aber, bester Herr...«

»Guten Morgen, Mynheer Soltersdrop!« Und mit diesen Worten schritt Lockhaart an dem bestürzten Wirt vorüber, sprang draußen in die wartende Carreta und war im nächsten Augenblick auf seinem Weg zum Residenten.


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