Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Von da an zogen sich die Kaufleute, Beamten und Offiziere, denn weiter gab es dort keine Europäer, alle von der eigentlichen Stadt zurück; Kasernen und Gefängnisse wurden ebenfalls hinaus verlegt, und Batavia selber blieb nur noch, was es jetzt ist, der Hauptstapelplatz für den Handel, mit Warenhäusern und Kontoren, und nur Chinesen und Malaien behielten ihre alten Wohnungen bei, da sie auch früher weit weniger als die Europäer durch das diesen verderbliche Klima gelitten hatten. So fahren denn jetzt die Kaufleute oder Beamten morgens in die Stadt, um ihre Geschäfte dort zu besorgen, und kehren abends in ihre freundlichen Wohnungen auf dem Lande zurück, die Warenlager einzig und allein der Obhut von malaiischen Dienern, denen sie übrigens vollständig vertrauen dürfen, überlassend.

Auch heute wieder saßen die Kaufleute an ihren verschiedenen Pulten, aber sie arbeiteten noch nicht, denn eine Neuigkeit hatte die Stadt durchlaufen, die besonders die Kaufmannswelt auf das innigste interessierte. Eine der Prauen nämlich, die von der Maatchappey aus Waren an die für sie auf der Reede liegenden Schiffe bringen sollte, war, trotz der strengen Aufsicht, die darüber geführt wurde, mit einer ziemlich wertvollen Ladung von Gewürzen abhanden gekommen. Bei dem ruhigen Wetter konnte sie nicht unbemerkt gescheitert sein, und doch war keine Spur wieder von ihr aufzufinden. Ein ähnlicher Vorfall lag noch dazu erst einige Zeit zurück, und die Regierung hatte schon damals alles aufgeboten, was in ihren Kräften stand, der Sache auf die Spur zu kommen, wenn auch vergeblich. Jetzt schien sich dasselbe Spiel, mit ebenfalls glücklichem Erfolg, wiederholt zu haben, und ein dunkles Gerücht durchlief sämtliche Kontore, daß irgendein ebenso schlauer wie kecker Betrug an der Maatchappey verübt worden sei.

Die laufenden Geschäfte mußten aber besorgt werden, und als vor einer der Kaufhallen der eine Chef des Hauses, Herr Wagner, mit seinem Bendi hielt, nahm alles rasch seine Plätze ein. Wagner war ein sehr guter Prinzipal und gab nur höchst ungern einen Verweis, deshalb bemühten sich seine jungen Leute aber auch desto mehr, ihm nicht die geringste Ursache dazu zu geben. Van Roeken, obgleich viel strenger und heftiger, war lange nicht so sehr gefürchtet.

Wagner brachte verschiedene Aufträge mit, die sämtlich so rasch wie möglich ausgeführt werden mußten, denn zwei europäische, an ihr Haus abgesandte Schiffe waren heute morgen als auf der Reede eingelaufen signalisiert worden, und mit denen kam dann frische und unaufschiebbare Arbeit, vor der man besser alles übrige erst erledigte. Van Roeken war gleich von seiner Wohnung aus zum Zollhaus hinuntergefahren, und es mochte zehn Uhr sein, ehe er von dort in Begleitung der Kapitäne zurückkam. Während diese aber ihre Papiere ordneten, bat er Wagner, mit ihm einen Augenblick in ihr kleines Privatzimmer zu kommen, da er ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Wagner folgte ihm dorthin, sah aber zu seinem Erstaunen, daß der sonst so ruhige und kaltblütige Freund in großer, ganz ungewöhnlicher Aufregung schien und mit schnellen Schritten und verschränkten Armen in dem kleinen Raum hastig auf und ab ging.

»Ist etwas Unangenehmes vorgefallen?« fragte er besorgt, denn sein erster Gedanke war, daß van Roeken irgendeine das Geschäft betreffende schlimme Nachricht bekommen habe.

»Unangenehmes? Nein«, sagte van Roeken, »oder wenigstens nichts Unerwartetes.«

»Dann ist der Schoner tatsächlich untergegangen!« rief Wagner rasch.

»Der Schoner? Nein – nicht daß ich wüßte wenigstens; was ich dir sagen wollte, betrifft auch nicht das Geschäft, sondern meine eigenen Angelegenheiten. Aber ich – will dich nicht länger darüber in Zweifel lassen. Meine – Braut ist angekommen.«

»Fräulein Bernold!« rief Wagner rasch und erschreckt.

»So heißt die junge Dame, glaub' ich«, sagte van Roeken, »und du kannst dir jetzt etwa denken, in welcher Verlegenheit ich mich nicht allein dem Mädchen, sondern auch meiner Frau gegenüber befinde, falls sie die leiseste Ahnung davon bekommen sollte.«

»Das arme Kind«, sagte Wagner seufzend. »Leopold, du hast da ein schlimmes Spiel mit einem Mädchenherzen getrieben.«

»Du vergißt«, sagte der junge Holländer, »daß das Herz nicht das geringste mit der ganzen Sache zu tun hatte. Es war meiner Ansicht nach einfach ein Privatgeschäft, das ich beabsichtigte, zwischen mir und irgendeiner jungen Dame abzuschließen. Von irgendwelchen tieferen Gefühlen konnte nicht die Rede sein, wo es sich nur um eine Geldfrage handelt.«

»So hast du es dir gedacht, aber nicht jenes Mädchen!« rief Wagner, »und unerklärlich bleibt es mir und wird es mir ewig bleiben, wie du erwarten konntest, mit einem Wesen glücklich zu werden, das einzig und allein deine Hand annehmen sollte, um eine Versorgung zu bekommen? Was nun?«

»Ja, das ist eben das Teuflische«, sagte van Roeken, sich hinter dem Ohr kratzend. »Deine letzte Schilderung der jungen Dame und besonders der Brief des alten Scharner haben mich lange bereuen lassen, einen solch leichtsinnigen Streich begangen zu haben. Aber das Unglück ist nun einmal geschehen, und es bleibt für den Augenblick nichts weiter übrig, als das Ganze so zu erledigen, daß das Zartgefühl des armen Mädchens so wenig wie möglich verletzt wird. Du hast mir schon früher versprochen, das für mich abzumachen, und ich nehme dich jetzt beim Wort. Du mußt es halten.«

»Sie ist mit der Rebecca gekommen, nicht wahr?«

»Ja. Aber noch nicht an Land. Sie hat den Kapitän an dich verwiesen, um über ihren nächsten Aufenthalt zu bestimmen. Sie – mochte sich doch wahrscheinlich nicht direkt an mich wenden.«

»An Bord kann sie nicht länger bleiben«, sagte Wagner rasch, »das arme Kind wird die überlange Seereise außerdem herzlich satt haben. Aber wohin mit ihr? Es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie vorderhand in einem Hotel unterzubringen – vielleicht daß sich – daß sich später in irgendeiner Familie für sie ein Unterkommen finden läßt.«

»Wenn sie es nicht vorziehen sollte, nach Deutschland zurückzukehren«, bemerkte van Roeken.

»Du weißt aber, daß die nächste Mail erst in drei Wochen geht.«

»Ja, leider!« seufzte van Roeken. »Konnte das verwünschte Schiff nicht vierzehn Tage früher oder später kommen? Aber es kann jetzt nichts helfen; die Sache ist einmal soweit verdorben, und es gilt nun, soviel wie möglich auszugleichen und gutzumachen, und darin, bester Freund, verlaß ich mich ganz allein auf dich.«

»Ja, ich danke dir; daß ist für dich jedenfalls das Bequemste; ich weiß aber wahrhaftig nicht, ob ich nicht lieber irgend etwas anderes täte, und sei es das Unangenehmste, als diesem armen Mädchen jetzt gegenüberzutreten. Doch es kann nichts helfen; draußen auf der Rebecca dürfen wir sie nicht sitzenlassen, und das freundlichste wäre am Ende, wenn ich gleich selber ein Boot nähme und sie abholte.«

»Das ist gar nicht nötig«, sagte van Roeken, »und wäre auch jetzt zu spät, denn der Kapitän der Rebecca hat sein Boot schon hinübergeschickt, um sie abzuholen. Wir brauchen ihr nur einen Wagen hinunter an das Zollhaus zu schicken, der sie in das Hotel schafft. Du selber kannst dich aber unmöglich an der Landung einer Szene aussetzen, und das einzige, um was ich dich bitten möchte, ist, nach Tisch zu ihr zu fahren und mit ihr zu sprechen. Mündlich läßt sich das alles besser abmachen als schriftlich, und deinem Scharfsinn und Zartgefühl muß es dann überlassen bleiben, alles auf die beste Weise zu ordnen. Von mir hast du, wie ich dir auch schon früher gesagt habe, unbedingte Vollmacht, zu tun, was du für gut befindest.«

»Und so glaubst du, daß ich nicht selber hinunterfahren soll?«

»Um Gottes willen nicht!« rief van Roeken, »der Zollkontrolleur unten kommt täglich in unser Haus; er ist ein Verwandter meiner Frau, könnte sich eine ganze Geschichte daraus zusammensetzen und bei mir daheim das größte Unheil anrichten.«

»Ah, deshalb!« nickte Wagner, »um deine Frau nicht zu beunruhigen. Nun gut, ich will keine Ursache geben, euren häuslichen Frieden zu stören. Und in welches Hotel meinst du, sollen wir sie schicken?«

»In das der Nederlanden«, sagte van Roeken, »das ist nicht so weit von deiner eigenen Wohnung entfernt, und die Wirtsleute sind freundlich und gutmütig; das Hotel ist eins der besten; sie wird sich dort wohl und behaglich fühlen, und du kannst dann alles nach deiner Bequemlichkeit in Ordnung bringen.«

»Am liebsten holte ich sie gleich selber aus dem Boot ab«, sagte Wagner. »Wie unheimlich muß es dem armen Mädchen vorkommen, wenn sie sich beim ersten Betreten des Landes von lauter Fremden umgeben sieht. Natürlich spricht sie weder Holländisch noch Malaiisch, und wie soll sie sich nur verständlich machen?«

»So schicke einen von unseren jungen Deutschen hinunter«, sagte van Roeken, »das fällt wenigstens nicht so sehr auf. Drin auf dem Pult liegen außerdem ein paar Briefe für den Robert Burns, der heute segelt; die kann er zugleich besorgen. Nicht wahr, das geht?«

Wagner erwiderte nichts darauf, schüttelte nur unzufrieden den Kopf und ging dann in das Kontor zurück, um die dazu nötigen Anordnungen zu treffen.


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