Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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43. Der Betrug wird aufgedeckt

Am nächsten Morgen war die Sonne kaum über den Horizont herauf, als es auch schon leise an Lockhaarts Tür pochte. Der alte Herr schlief sanft, aber im Nu war er bei dem Geräusch munter, horchte einen Moment und öffnete, da sich das Klopfen wiederholte, die Tür.

»Nun, schon eine Meldung?« sagte er aber erstaunt, als sein kleiner Malaie hereinglitt.

»Ja, Tuwan«, flüsterte dieser, »habe aufgepaßt – der Tuwan mit schwarzem langen Rock war heute morgen ganz früh bei Mevrouw – dann ging der Tuwan mit den weißen Zähnen hinein, und sie hat ihm Geld gegeben – viel Geld.«

»Wem? Dem mit den weißen Zähnen?«

Der Malaie nickte.

»Und wo ist der Tuwan, dem das Haus gehört?«

»Schläft noch«, erwiderte der junge Bursche ebenso leise.

»Sonst hast du nichts bemerkt?«

»Die beiden Weißen wollen heute morgen noch fort in die Berge.«

»Ah!« sagte Lockhaart, rasch von seinem Bett aufstehend, »das ist etwas anderes. Bestelle mir gleich den Kaffee, sowie ich aus dem Bad komme, und dann -«

»Tuwan?«

»Es ist gut – ich werde nachher schon sehen.« Und in Cabaya und Schlafhose, wie er auf dem Bett gelegen hatte, nahm er sein Handtuch, fuhr in die Strohpantoffeln und ging hinaus in das Badezimmer, um dort die in solchem Klima nötige Abkühlung und Reinigung vorzunehmen. Wie er aber gerade das Badezimmer betrat, fiel ihm ein, daß er seine Brieftasche und einige Papiere hatte offen in seinem Zimmer liegen lassen. Seinen malaiischen Diener wußte er in der Küche, die Stube also ganz ohne Aufsicht, und er fühlte sich deshalb nicht ruhig. Außerdem waren es nur ein paar Schritte zurück – er konnte ja leicht seinen Schlüssel abziehen, und mit dem ersten Gedanken daran drehte er sich auch schon auf dem Absatz herum und trat wieder in den Saal. Als er aber die Hand nach seinem Schlüssel ausstreckte, öffnete sich seine Tür, und er sah sich im nächsten Moment den großen blauen Augen und unheimlich weißen Zähnen Herrn Joosts gegenüber, der aus dem Zimmer heraustrat. Dessen Gesicht nahm aber eine fast strohgelbe Farbe an, während er unbewußt mit einem versuchten, etwas verlegenen Lächeln das ganze Gebiß in abschreckender Reinheit zeigte.

»Was zum Teufel!« rief Lockhaart, so erstaunt über dieses plötzliche Zusammentreffen, daß er gar nicht gleich wußte, was er sagen sollte.

»Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten«, lächelte aber der seine Fassung vortrefflich bewahrende Joost, indem er sich leicht und artig verneigte, »die Türen hier im Salon sehen sich alle so vollkommen gleich, daß man wirklich sehr genau auf die Nummer achten muß, um nicht irrezugehen – guten Morgen!«

Und mit diesen Worten drehte er sich ab und wollte in sein allerdings daneben liegendes Zimmer treten, aber dem alten Lockhaart kam er so nicht fort.

»Halt, mein lieber Herr«, sagte er, indem er – rasch mit sich im klaren, was er zu tun habe – seinen Arm ergriff und ihn festhielt, »seit Sie einmal mein Zimmer besucht haben, müssen wir auch nähere Bekannte werden, denn Sie« – flüsterte er ihm ins Ohr – »sind auf faulen Wegen, und ich will verdammt sein, wenn ich Ihnen jetzt nicht auf die Sprünge komme.«

Joost wurde womöglich noch fahler, als er vorher gewesen war, und seine lichtblauen Augen loderten wie die einer Schlange unter den dünnen Augenbrauen vor; aber dennoch lächelte er und lispelte mit einer verbindlichen Verbeugung: »Sie belieben zu scherzen, werter Herr Lockhaart, denn Sie werden doch wohl nicht allen Ernstes glauben, daß ich Ihr Zimmer in irgendeiner verbrecherischen Absicht betreten hätte?«

»Was ich glaube oder nicht, bleibt sich gleich«, sagte der alte Herr finster, »aber meine Meinung ist, daß sich heute morgen ein Fuchs im Eisen gefangen hat. Wagenaar! Wagenaar – kommen Sie einmal heraus!«

Wagner, der das Gespräch draußen schon halb gehört hatte, öffnete in demselben Augenblick die Tür, als Holderbreit von der anderen Seite in den Saal trat und sehr erstaunt die Gruppe bemerkte.

»Wagenaar«, sagte Lockhaart, ohne sich im mindesten irremachen zu lassen, »schicken Sie augenblicklich einen unserer Leute zum Residenten hinunter; er soll so rasch er möglicherweise kann, vier Oppass heraufsenden, um den Herrn hier in Empfang zu nehmen – und Sie, Mynheer – treten inzwischen wieder in mein Zimmer ein.«

»Sie müssen wahnsinnig sein!« rief Herr Joost, halb in Bestürzung, halb in Ärger, »gegen mich auf einen solchen Grund hin derartig zu verfahren. Ehrwürdiger Herr Holderbreit, möchten Sie nicht die Güte haben, diesem etwas exzentrischen Herrn zu bestätigen, als was Sie mich in der Zeit unseres Beisammenseins kennengelernt haben?«

»Sehr verehrter Herr Lockhaart«, sagte der Geistliche, erschrocken vortretend, »dies ist jedenfalls ein Irrtum.«

»Wir beide haben nachher ebenfalls ein Wort miteinander zu sprechen«, unterbrach ihn aber Lockhaart, und ohne sich weiter um den verblüfft draußen stehenbleibenden Missionar zu kümmern, schob er den in seiner Hand machtlosen Joost ohne weiteres in sein Zimmer hinein und innen den Riegel vor.

»Herr Lockhaart«, sagte Joost, »wenn sich diese Behandlung vielleicht auf – einen Scherz bezieht, den ich mir mit der Frau Soltersdrop erlaubt habe, so muß ich Ihnen sagen...«

»Sagen Sie mir gar nichts«, schnitt ihm aber Lockhaart jedes Wort kurz ab. »Ihre Scherze gehen mich auch gar nichts an; wir haben es hier mit etwas ganz anderem zu tun.«

»Aber zählen Sie Ihr Geld nach, wenn welches hier im Zimmer liegt, ob etwas davon fehlt. Ich will...«

»Bitte, was ist denn das für ein Zettel, den Sie da eben fallen ließen?« sagte Lockhaart, dessen scharfem Auge eine verdeckte Bewegung seines Gefangenen nicht entgangen war.

»Ich habe nichts fallen lassen«, sagte dieser ruhig. »Herr, ich fange an, Ihr Benehmen derart zu finden, daß ich Sie deshalb werde zur Rechenschaft ziehen müssen.«

»Ganz nach Belieben«, erwiderte Lockhaart trocken, indem er sich bückte, das zu einer kleinen Kugel zusammengedrehte Papier aufnahm und auseinanderwickelte. »Hm, hm, hm«, lächelte er dabei, »mein Notizenzettel – glücklicherweise mit Tinte geschrieben. Sie müssen ein verdammt scharfes Auge haben, daß Sie die Wichtigkeit dieses Zettels für Sie sogleich weghatten.«

»Aber ich gebe Ihnen mein Wort...«

»Pst, pst, das ist ja auch nur Nebensache, es war ein Schachzug, der, einmal mißglückt, nicht wieder zurückgenommen werden kann.«

»Nebensache?«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Joost«, flüsterte der alte Herr, nahe an ihn herantretend, »wir sind hier unter uns, und ich kann offen mit Ihnen reden. Ich weiß, daß Sie nicht in meinem Zimmer waren, um Geld zu stehlen.«

»Aber weshalb halten Sie mich dann fest?«

»Ich weiß aber auch«, fuhr Lockhaart fort, ohne den Einwurf zu beachten, »daß Sie nicht aus Zufall hierhergeraten sind und – so sicher Sie sich auch deshalb fühlen können – eins nicht bedacht haben.«

»Und das wäre?«

»Die Papiere, die Sie bei sich führen.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Joost und sah den alten Herrn scharf und lauernd an. Ehe Lockhaart aber etwas darauf erwidern konnte, klopfte Wagner schon an die Tür und rief: »Habe sie draußen – traf sie glücklicherweise unfern von hier in der Straße und brachte sie gleich mit. Der Resident wird nichts dagegen haben.«

»Schön«, sagte Lockhaart, die Tür aufschließend, »rufen Sie die Burschen herein, daß sie dem Herrn hier Gesellschaft leisten, bis ich mein Bad genommen habe; oder – Sie sind angezogen, Wagenaar, bitte, fahren Sie mit ihm zum Residenten hinunter und lassen ihn von Kopf bis Fuß genau durchsuchen. Daß er auch nicht eher freigegeben wird, bis ich selber hinunterkomme!«

»Herr Lockhaart«, sagte Joost, indem er dicht zu dem alten Herrn trat, denn die Sache fing doch an, ernst zu werden, und er schien kein so reines Gewissen zu haben, »ich will Ihnen etwas sagen, die Wirtin soll jeden Deut wiederbekommen, denn es war wirklich nur ein Scherz, bei dem ich vielleicht ein wenig zu weit gegangen hin.«

»Zum Teufel auch!« rief Lockhaart ärgerlich, »ich weiß gar nicht, was Sie mit Ihrer verwünschten Wirtin wollen! Was gehen mich denn die Scherze an, die Sie mit der treiben?«

»Aber, Herr Lockhaart, wenn ich nun...«

»Wagenaar, tun Sie mir den Gefallen und schaffen Sie mir den Burschen fort. Passen Sie mir aber besonders auf, daß er unterwegs keine Papiere wegwirft. Er hat hier schon damit angefangen, und Sie lassen am besten einen der Leute ein paar Schritte hinter ihm hergehen.«

»Ich protestiere hiermit feierlich...«

»Ach, gehen Sie zum Teufel mitsamt Ihren Protesten!« rief Lockhaart, ärgerlich werdend. »Wenn Sie sich so sicher wissen, dann verklagen Sie mich nachher, jetzt aber folgen Sie dem Herrn, oder Sie setzen sich der Unannehmlichkeit aus, daß man auch noch Gewalt bei Ihnen braucht.«

»Dem werde ich mich nicht aussetzen«, erwiderte Joost, seine Unterlippe beißend, »aber ich werde wissen, was ich nachher zu tun habe. Herr Wagenaar, ich stehe zu Ihren Diensten.« Und mit diesen Worten verließ er an Wagners Seite das Haus.


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