Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Die alte Kathrine verschafft sich Gewißheit. – Herr Scharner wird Zeuge eines Gesprächs

Hedwig saß in ihrer Wohnung draußen still und einsam und stickte. Die Augen schmerzten sie vom vielen Weinen und Nachtwachen, aber die Arbeit mußte abgeliefert werden, und darin allein fand sie auch noch Zerstreuung vor ihren anderen drückenden Gedanken. Sie war in ein einfaches schwarzes Gewand gekleidet, aber wie ein errötender Reif lag die letzte schwere Zeit auf ihr. Ihr Antlitz hatte die frühere Frische verloren; es sah bleich und abgehärmt aus; die Augen lagen tief in ihren Höhlen, ihre ganze Gestalt schien ineinandergebrochen, ihr Geist geknickt und gebeugt worden zu sein, denn nicht allein der Tod der Mutter lastete auf ihrer Seele, sondern noch ein anderer, sie fast ebenso tief ergreifender Kummer.

Das einzige Herz, das sie sich für ein ganzes Leben gewonnen zu haben glaubte, auf das sie sich stützen wollte, das sie trösten und aufrichten sollte, hatte sich in der letzten Zeit kälter und kälter gegen sie gezeigt, und wenn ihr auch noch keine Gewißheit darüber geworden war, schnitt ihr doch schon eine bange Ahnung durch die Brust und erfüllte sie mit einem unsagbar bitteren Schmerz.

Und niemanden hatte sie dabei, dem sie ihr Leid klagen, ihr eigenes Herz ausschütten konnte, denn der alte Herr Scharner war ein ganz braver, teilnehmender Mann, der es auch wohl ganz gut mit ihr meinte, aber nie im Leben würde er sie verstanden haben, hätte sie wirklich Mut genug fassen können, ihm alles, was sie bedrückte, aufzudecken. Oh, warum mußte sie jetzt, gerade jetzt die Mutter entbehren! Drei Tage waren vergangen, und Dorsek hatte kein einziges Mal ihr Haus betreten – drei ewig lange Tage, und er wußte, wie riesenschwer gerade diese Zeit auf ihr lag. War er krank? Auch der Gedanke peinigte sie, daß er vielleicht hilflos und leidend daheim läge und sich ebenso nach ihr sehne wie sie sich nach ihm, und doch wäre selbst diese Gewißheit Balsam für sie gewesen – sie durfte ihn dann ja doch nicht für treulos halten. Aber er hatte ja seinen Diener, den er am Anfang ihrer Liebe oft, o wie oft sandte, ihr nur einen Gruß zu sagen, wenn er nicht selber kommen konnte, ihr eine Blume zu bringen, und jetzt kam nicht einmal Nachricht, ob er noch lebe oder ob er seine arme, von aller Welt verlassene Hedwig gar vergessen habe.

Die alte Kathrine ging ab und zu ins Zimmer, und als sie ihre junge Herrin da so in sich gebrochen vor ihrer Arbeit, die müßige Hand im Schoß ruhend, sitzen sah, fraß es ihr ans Herz und sie konnte es nicht länger ertragen.

»Der Lump, der nichtsnutzige«, brummte sie leise vor sich hin, »natürlich, als er ein Haus konnte mit heiraten, da war er dabei und tat schön und schwätzte süß und wußte nicht, was er vor Lieb' und Zärtlichkeit angebe sollt', und jetzt, da das arme junge Fräulei keinen Dachziegel mehr eige hat, um darunter zu verzehre, was sie mit bitter harter Arbeit verdient, da ist er auf einmal nicht mehr daheim, und das arme junge Ding grämt sich auch noch wegen solch einem – Schubbejack – da sie's denn doch einmal nicht hört, oder ich dürft's nicht sage – aber ich will's schon herausbekomme oder nicht Kathrine heiße, und das gleich auf der Stelle!« Und den Entschluß kaum gefaßt, ging sie auch augenblicklich in ihr Stübchen hinauf, band eine reine Schürze um, nahm ihren Handkorb und verließ das Haus. Ein Vorwand war ja leicht gefunden, irgendeine Besorgung in der Stadt; Hedwig fragte ja doch nicht weiter nach einem Grund.

Die alte Kathrine hielt auch Wort; ohne sich irgendwo anders aufzuhalten, eilte sie mit raschen Schritten zu Dorseks Wohnung und fand, was sie gehofft hatte: Herr von Dorsek war ausgegangen, also die Luft rein. Sie überraschte nun Herrn Louis allerdings in einer höchst eigentümlichen Lage. Louis, das würdige Muster eines echten modernen Bedienten und in den letzten Tagen vor seinem Weggang noch viel unabhängiger und natürlich auch unverschämter als früher geworden, hatte nämlich wieder einmal die Abwesenheit seines Herrn benutzt, es sich in der ihm anvertrauten Wohnung so bequem wie möglich zu machen. Sein Herr war zur Gräfin Orlaska gegangen, die er in letzter Zeit sehr häufig besuchte und von wo er nie so bald wieder zurückkehrte; er brauchte deshalb auch nicht zu befürchten, überrascht zu werden. Außerdem war wieder eine neue Sorte Zigarren angekommen – weit bessere als die letzten, wenn auch nicht so extrafein wie die früheren –, und in einem der Fauteuils, das rechte Bein behaglich über die Lehne geschlagen, das linke weit von sich gestreckt, lag Monsieur Louis, sog an seiner Zigarre und sah dem wirbelnden Rauch nach, der zur Decke hinaufzog.

Verschiedene Sachen gingen ihm dabei im Kopf herum, und zwar die Verhältnisse seines Herrn, die sich in den letzten Tagen auffallend gebessert hatten. Seit er seine »Liebschaft« aufgegeben und die neue begonnen hatte, war wieder ein anderer Geist über ihn gekommen. Louis fand keine angefangenen Konzepte an Eisenbahndirektionen mehr, von Dorsek war sogar wieder in Unterhandlung getreten, ein Pferd zu kaufen; die Zigarren wurden besser, beim Kleiderreinigen fand sich wieder einzelnes Geld in den Taschen, kurz, die Verhältnisse schienen sich sehr zu ihrem Vorteil zu verändern. Und hatte er da gescheit gehandelt, einen Dienst aufzukündigen, der ihm vorderhand noch allerlei sehr annehmbare Vorteile bot? Wußte er, ob er gleich einen anderen finden würde, wo solche Nebengenüsse für ihn abfielen wie hier? Sein voriger Herr – ein Geizhals erster Klasse – hatte zum Beispiel nie seine Zigarren unverschlossen stehen lassen und sogar die Unverschämtheit gehabt, das Geld zu zählen, das er abends in seinen Taschen vergaß – eine Differenz deswegen bewog ihn auch, jenen Dienst zu verlassen, weil es sich nicht mit seiner Ehre vertrug, länger bei einem so mißtrauischen Menschen auszuhalten. Wer stand ihm nun dafür, daß er bei seiner nächsten Herrschaft nicht ähnliche Schwächen fand, während die gefürchteten Nachteile, denen er sich durch eine Kündigung seines Dienstes fürs erste entziehen wollte, nicht mehr zu existieren oder sich doch wenigstens rasch zu verlieren schienen. Wie wäre es nun gewesen, wenn er es noch einmal ein Vierteljahr länger mit seinem Herrn versucht hätte? Über diesem Nachdenken, mit der Wirkung von ein paar Gläsern delikatem Curaçao und der heutigen schwülen Luft überhaupt, überkam ihn der Schlaf. Die ausgegangene Zigarre zwischen den fest zusammengebissenen Zähnen, die Arme schlaff über die Lehnen herunterhängend, die Beine in der beschriebenen Stellung, so lag er da, ein Bild des Friedens, und hörte nicht, wie zwei-, dreimal an die Tür geklopft wurde und diese sich endlich leise und schüchtern öffnete. Louis schlief sanft, und die alte Kathrine stand neben ihm auf der Schwelle, die Hände in purem Erstaunen gefaltet, und betrachtete mit gerechter Entrüstung dieses etwas grelle Bild treuer Dienstpflicht. Endlich konnte sie es aber nicht länger über sich bringen, das mit anzusehen, und zum Stuhl tretend und den Burschen derb an der Schulter rüttelnd, schrie sie ihm in's Ohr: »Herr Louis!«

Und wenn Herr Louis noch sechsmal fester geschlafen hätte, als er wirklich schlief, das würde ihn ermuntert haben. Mit einem Satz und einem halben Schreckensschrei fuhr er in die Höhe; die Zigarre fiel ihm dabei aus dem Mund, und mit stieren, weit aufgerissenen Augen starrte er die alte Magd an, denn er hatte im ersten Moment keine Ahnung, wer sie sei und wo er sich überhaupt befinde.

»Das ist ein Staat«, sagte aber die Kathrine, die den rechten Arm in die Seite stemmte und den Verblüfften höhnisch betrachtete. Sie hatte ganz vergessen, daß sie hergekommen war, um den Herrn Louis im Guten auszuhorchen, »ein schönes Lebe führe wir, das muß wahr sein – wenn mir'sch nur aushalte.«

Die Worte brachten Herrn Louis wieder zu sich selber.

»Heiliges Kreuzhimmeldonnerwetter«, sagte er statt eines Grußes oder einer weiteren Einleitung. »Wie – wie kommt denn die Kathrine hier herein, und was will sie hier, he? Ist das etwa die ganze Lebensart, die man draußen vor dem Tor lernt, daß man den Menschen, ohne anzuklopfen, in die Stube fällt?«

»Aber ich habe...«

»Gar nichts hat die Kathrine hier im Zimmer vom gnädigen Herrn zu tun!« rief aber der unverschämte Bursche, »und wenn sie ein anständiges Frauenzimmer wäre, würde sie sich...«

Weiter ließ es aber die Kathrine nicht kommen. Der Vorwurf war zu niederträchtig, die Frankfurterin brach durch, und mit einem: »Nah, seh e Mensch das faule Oas an, daß du die Kränk kriegst, du Dagedieb, du nixnutziger – und du willst ein anständiges ordentliches Frauenzimmer beraisonniere, du fader, elenniger Wicht du?«

Wäre die Kathrine durch Herrn Louis' Fluchen eingeschüchtert worden, so würde dieser den stolzen Ton jedenfalls beibehalten haben. Daß aber die Kathrine hier so entschieden auftrat, wo sie sich doch auf fremdem Terrain wissen mußte, imponierte ihm wieder. Lärm mußte er ebenfalls vermeiden, sein Herr hätte sonst vielleicht die Ursache erfahren, wegen der er entstanden wäre. Außerdem wußte er aus Erfahrung, was die Frankfurter Dienstmädchen in einem Wortkampf leisten konnten, und um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, sagte er plötzlich kurz abgebrochen: »Was wünschen wir?«

»Was wir wünsche, weiß ich nicht!« rief aber die Alte, die den früheren Vorwurf noch nicht so bald verschmerzt hatte, in ihrem blühendsten Frankfurter Dialekt, »was ich aber wünsche, ist, daß dir faulmäuligem, gottvergessenen Halunke die nixnutzige Zunge zwischen den Zähnen verbrenne, wenn du brave, ordentliche Dienstbote, die ihre Herrschaft nicht bestehle, verraisonniere willst. – Und du wärst mir der Rechte damit«, setzte sie hinzu, »so ein halbschüriger, ausgelaufener Gesell, mit einem ›Schnorres‹ im Gesicht und den schebbe Bähn.«

Das war zuviel; Herr Louis nahm eine wegwerfende Haltung an und sagte, die rechte Hand wie ein Feldherr in sein Oberhemd schiebend, während er den Ellbogen so hoch wie möglich hinaufdrückte: »Jungfer Kathrine; ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten. Übrigens – haben wir miteinander nichts mehr zu tun. Wir – haben das Verhältnis abgebrochen, und unsere Bemühungen sind deshalb umsonst.«

Der Kathrine stockte das Herzblut. Mit einem Schlage fiel ihr ein, weshalb sie eigentlich hierher gekommen war, denn vor Ärger über den unverschämten Burschen hatte sie das ganz vergessen; die unglückseligen Worte aber, die er sprach, ließen sich fast nicht mißverstehen. Ihr armes, armes Fräulein – und sprach der nichtsnutzige, freche Mensch die Wahrheit? So bestürzt stand sie aber in diesem Augenblick vor ihm, daß Herrn Louis der Schrecken nicht entgehen konnte, mit dem sie seine Worte erfüllt hatten, und in einer Art von Triumph, für den ihn sein Herr die Treppe hinuntergeworfen haben würde, wenn er es hätte hören können, fuhr er fort: »Wir haben jetzt eine andere, unserer mehr würdige Liaison – wir kommen nicht mehr vor das Tor; Jungfer Kathrine hat sich deshalb auch nicht mehr hereinzubemühen in die Stadt – verstanden?«

»Und Ihr Herr...«, sagte Kathrine, der die Worte in ihrer Bekümmernis kaum über die Lippen kamen, »ist – ist nicht krank?«

»Krank?« lachte Herr Louis verächtlich. »Liebeskrank vielleicht, sonst wüßte ich nicht, was ihm fehlen könnte. Nach allem weiteren haben wir uns aber bei der Frau Gräfin Orlaska, der schönen Polin, wie sie in der Stadt heißt, zu erkundigen – wünschen wir noch etwas?«

»Nein«, sagte die Kathrine, der das Herz vor Kummer und Zorn fast brechen wollte, »nein, nichts weiter bei euch schlechtem, nichtsnutzigen Gesindel – er wie sein Herr, denn einer kann Staat mit dem andern machen, und wenn euch der Teufel einmal beide bekommt – und je eher, desto besser – tut er 'nen Luftsprung vor lauter Seligkeit.«

»Jungfer Kathrine!« rief der Bediente drohend; die alte wackere Person ärgerte aber die Luft, die sie mit dem »schlechten Subjekt« atmen mußte, und ihm ohne weiteres den Rücken drehend, warf sie die Tür hinter sich ins Schloß, daß die Fenster klirrten.

Die alte treue Magd lief mehr nach Haus, als daß sie ging; unterwegs preßte es ihr aber das Herz zusammen, wenn sie daran dachte, wie sie ihrer armen jungen Herrin das eben Gehörte mitteilen solle – denn daß der nichtsnutzige Bursche die Wahrheit gesagt habe, bezweifelte sie keinen Augenblick. Da traf sie, gleich vor dem Tor draußen, den alten Herrn Scharner, der dort ebenfalls in der Nähe wohnte, und während sie neben ihm herging und ihm unter Tränen das eben Gehörte mitteilte, nickte der alte Mann nur leise mit dem Kopf und unterbrach sie auch mit keinem Wort. Bestätigte es doch nur das, was er selber schon in der Stadt gehört hatte und gern, ach so gern nicht geglaubt hätte, der armen Hedwig wegen. Sein Entschluß war aber auch rasch gefaßt. Die Kathrine durfte ihrer Herrin noch keine Silbe von dem eben Erlebten mitteilen – erst mußten sie Gewißheit haben, ehe sie ihr diesen Schmerz machten, und das Geschwätz eines so nichtsnutzigen Dieners konnte immer noch Lüge sein. Das einfachste und beste Mittel, die Wahrheit zu erfahren, war deshalb, den Baron von Dorsek direkt und ohne alle Umschweife zu fragen, was an dem in der Stadt schon seit einigen Tagen umlaufenden Gerücht Wahres sei – ob er nämlich die Gräfin Orlaska heiraten werde. Scharner beschloß, ihm, wenn er leugnen sollte, ohne weiteres damit zu drohen, die Gräfin Orlaska selber aufzusuchen. War wirklich etwas Wahres an dem Gerücht, so durfte er es darauf nicht ankommen lassen, und hatte der Stadtklatsch gelogen, desto besser – aber dann mußte er sich auch mit Hedwig entscheiden und sich erklären, weshalb er sie in der letzten Zeit vernachlässigt habe. Hedwig brauchte indessen von alledem nichts zu wissen – so lange wenigstens nicht, bis er Gewißheit über das eine oder andere hatte.

Mit dem Entschluß kehrte er auf der Stelle um, ihn auszuführen; von Dorsek war aber noch nicht zu Haus, und es blieb ihm deshalb nichts übrig, als zu warten, bis er kommen würde. Schräg gegenüber der Wohnung war ein Kaffeehaus; dort setzte er sich an ein Fenster, um die Zeitung zu lesen und aufzupassen, und er hatte auch kaum eine halbe Stunde seinen Platz behauptet, als er von Dorsek mit einem preußischen Offizier die Straße heraufkommen sah. Sie gingen beide in das Haus, und der alte Advokat wartet noch kurze Zeit, ob der Offizier vielleicht wieder herauskäme. Aber er kam nicht; möglich ja auch, daß er in demselben Haus wohnte, und Scharner ging endlich hinüber. Er konnte seinen ganzen Nachmittag nicht mit Warten versäumen.

Dorseks Diener war nicht im Vorraum, als Scharner aber anklopfen wollte, hörte er im Zimmer laute Stimmen und blieb unschlüssig stehen. In Gegenwart von einem Fremden konnte er doch solch eine delikate Sache nicht berühren, und schon wollte er sich wieder entfernen, um am nächsten Morgen zurückzukommen, als Hedwigs Name im Zimmer laut genannt wurde und ihn, selbst gegen seinen Willen, auf der Stelle festhielt. Dort hatte sich inzwischen allerdings ein erbittertes Gespräch gerade darüber entspannen, was ihm in diesem Augenblick am meisten am Herzen lag: über Dorseks Verhältnis zur Gräfin Orlaska.

Dorsek stand am Fenster, der Hauptmann mitten in der Stube und sagte, seine Aufregung kaum unterdrückend: »Schon seit einigen Tagen wurde auf der Wache davon gesprochen, aber ich habe es nicht glauben wollen, daß du – dich um die Hand dieser polnischen Gräfin bewirbst...«

»Und warum nicht?« fragte Dorsek kalt, ohne ihn jedoch dabei anzusehen.

»Weil – weil ich es nicht für möglich hielt«, sagte der Hauptmann mit fast leiser Stimme. »Weil es – weil es nicht möglich ist!« setzte er erregt hinzu.

»Rustloh«, erwiderte Dorsek, indem er sich mit finster zusammengezogenen Brauen gegen den Freund wandte, »ich weiß, daß du es gut mit mir meinst, und einem Freund verzeiht man manches, was man sonst von keinem Fremden dulden würde. Du behandelst mich aber in letzter Zeit fast wie ein Kind – wie einen unmündigen Knaben, und ich muß dich ernstlich bitten, das zu unterlassen. Ich bin alt genug, um selber zu wissen, was ich zu tun und – nicht zu tun habe, und brauche deshalb keinem Menschen Rechenschaft über meine Handlungen zu geben.«

»Solange sie rechtlich und ehrenhaft sind, nein.«

»Rustloh!« rief Dorsek, während ihm alles Blut in das Antlitz strömte.

»Dorsek!« entgegnete aber kalt und entschieden der Hauptmann, »meine Vormundschaft, wie du zu glauben scheinst, soll dir nicht länger lästig fallen, sobald ich eben nur eine bestimmte Antwort von dir habe, und die mußt du mir geben. Ich frage dich also offen und ehrlich und Mann gegen Mann: hast du das Verhältnis mit Fräulein Bernold, mit der du dich, wie du mir selbst sagtest, verlobt hast, abgebrochen, und bewirbst du dich um diese reiche Gräfin?«

»Und wer gibt dir das Recht, mich so zu fragen!« rief Dorsek trotzig.

»Verweigerst du mir eine Antwort?«

»Zum Teufel, nein!« erwiderte zornig der so in die Enge Getriebene mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich bin mein eigener Herr und brauche niemandem Rechenschaft über meine Handlungen zu geben. Was ich für Liebe hielt, war nichts als eine flüchtige Neigung, Hedwig gegenüber, während jene schöne Frau mein Herz unauflöslich gefesselt hat. Ich darf glauben, daß ich ihr selber nicht gleichgültig bin, und wenn ich ein sich mir bietendes Glück ausschlage, wäre ich...«

»Ein Ehrenmann«, unterbrach ihn hier der Hauptmann, der seinen Zorn, seine Verachtung nicht mehr zurückhalten konnte. »Und so bist du ein Schuft!«

Wäre das Wort ein Schlag gewesen, es hätte nicht furchtbarer wirken können. Dorsek war totenbleich geworden und stand wohl eine Minute lang regungslos vor ihm. Endlich sagte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme:

»Du weißt, was da folgen muß?«

»Ich weiß es«, sagte der Hauptmann kalt und jetzt vollkommen ruhig. »Triff deine Maßregeln – ich werde bis heut abend neun Uhr zu Haus bleiben.«

Scharner, der unfreiwillig Zeuge dieses ganzen Gesprächs geworden war, wandte sich erschüttert ab, um das Haus zu verlassen; er brauchte nicht mehr zu hören. Auf der Treppe überholte ihn der Hauptmann, der rasch und aufgeregt an ihm vorüberschritt, um seiner eigenen Wohnung zuzueilen.


 << zurück weiter >>