Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Van Roeken«, rief der alte Herr ärgerlich, »hat damit verdient, daß er – die Mevrouw Wattlingen zur Frau bekam! Ich wüßte ihm wirklich nichts Schlimmeres zu wünschen. Was sagt er denn jetzt, nachdem er dieses junge Mädchen gesehen hat?«

»Er hat sie noch gar nicht gesehen und vermeidet sie ängstlich. Sein Wunsch ist es auch vor allem, daß Fräulein Bernold Java sobald wie möglich wieder verlassen möge, um eben nicht einmal auf die eine oder die andere Art mit seiner Frau in Berührung zu kommen. Er erklärt sich übrigens bereit, auf die großzügigste Weise für sie zu sorgen.«

»Das dank ihm der Teufel!« polterte Lockhaart heraus. »Es wäre nicht mehr als seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit – falls es nämlich Fräulein Bernold überhaupt von ihm annimmt.«

»Leider ist die junge Dame«, sagte Wagner, »soviel ich wenigstens davon gehört habe, unbemittelt.«

»Wissen Sie mehr von ihrem früheren Schicksal und was sie veranlaßt haben kann, diesen – etwas ungewöhnlichen Schritt zu tun?«

»Schwere Schicksalsschläge haben ihre Jugend getrübt«, sagte Wagner. »Der Vater machte Bankrott, und so ehrenvoll, daß er alles verlor. Die Mutter starb an gebrochenem Herzen, und die Waise, die sich von einem jungen Edelmann namens Dorsek geliebt glaubte, sah sich plötzlich auch von diesem verlassen, als er erfuhr, wie mittellos sie dastand. Nur in dieser Verzweiflung nahm sie gerade in jener für sie so traurigen Zeit das Angebot an, das ihr van Roeken leichtsinnig machte.«

»Wie hieß der Adlige? Nannten Sie nicht seinen Namen?«

»Von Dorsek.«

»Wo wohnt er?«

»In Frankfurt am Main.«

»Sie wissen nicht zufällig seinen Vornamen?«

»Er steht allerdings im Brief des alten Scharner, der in dieser Sache van Roekens Geschäftsführer war, aber ich habe ihn vergessen. Wenn ich mich nicht irre, war es Oskar oder Oswald, aber ich will es nicht bestimmt behaupten.«

»Herr Scharner in Frankfurt am Main?« wiederholte Lockhaart, während er seine Mappe öffnete und. einen Stapel Briefe durchblätterte. Er fand auch bald, was er suchte, und das Schreiben durchfliegend, nickte er dabei leise mit dem Kopf und murmelte einige Worte vor sich hin.

»Kennen Sie meinen Freund Scharner?« fragte Wagner.

»Ich? Woher soll ich ihn kennen?« erwiderte Lockhaart. »Bin in meinem Leben nicht in Frankfurt gewesen. Apropos, können Sie mir das Nähere über dieses Verhältnis – ich meine von jenem – Dorsek und Fräulein Bernold sagen?«

»Sie haben sich hier so freundlich der jungen Dame angenommen«, erwiderte Wagner, »daß ich glaube, ich kann Sie auch völlig zum Vertrauten ihrer Angelegenheiten machen. Ich selber würde allerdings nie indiskret genug gewesen sein, auch nur ein Wort darüber gegen irgend jemanden zu erwähnen; Heffken dagegen, der mit seinen frechen Anträgen das arme Mädchen schon auf das tödlichste beleidigt hat, scheint solche Bedenklichkeiten nicht gehabt zu haben. Durch van Roekens Unbedachtsamkeit ist er in das Geheimnis mit eingeweiht worden oder hat sich hineingedrängt und scheint es nun, wie es mir vorkommt, soviel wie möglich auszubeuten. Schon deshalb ist es vielleicht nötig, daß Sie die volle Wahrheit erfahren, und ich werde Ihnen heut abend noch die Briefe meines alten Freundes Scharner schicken. Ich kann das auch mit gutem Gewissen tun, da sie Fräulein Bernold nicht zum Nachteil gereichen; Sie werden sich im Gegenteil noch mehr für das arme Mädchen interessieren, das schuldlos schon viel und Schmerzliches ertragen hat. Ich bitte Sie nur, gegenüber der jungen Dame nichts davon zu erwähnen.«

»Das versteht sich von selbst«, sagte Lockhaart, »es ist ohnehin schon zu viel davon gesprochen worden. Eine Menge Menschen können eben den Mund nicht halten, wenn sie irgendein Geheimnis dahinter haben.«

Wagner schwieg und sah still vor sich nieder – endlich sagte er: »Fräulein Bernold ist nicht zu Hause?«

»Nein.«

»Sie erwarten Sie auch nicht so bald zurück?«

»Nein«, lautete wieder die lakonische Antwort des alten Herrn, dessen Geist, wie es schien, weitab nach anderen Szenen schweifte. Wagners Gegenwart beachtete er fast gar nicht mehr, und dieser, so ungern er es tat, sah sich endlich genötigt, das ihm fatale Gespräch wieder aufzunehmen.

»Ob nun Fräulein Bernold«, sagte er endlich, »Java wieder verläßt oder noch eine Zeitlang hierbleibt, so hat doch van Roeken die gleichen Pflichten gegen sie, und Sie selber, werter Herr Lockhaart, werden mir zugestehen, daß es dieser jungen Dame gegenüber ein höchst fatales Geschäft ist, sie zu ordnen. Es ist fast ganz unmöglich, das zu tun, ohne ihr Zartgefühl zu verletzen, und doch kann es eben nicht umgangen werden.«

»Ihr seid alle miteinander auf eine schändliche Weise mit dem armen Kind umgegangen!« rief der alte Herr, »und hinterher ist es keine Kunst, schöne Reden zu machen und das arme Ding zu bedauern. So viel sehen Sie übrigens ein, daß Sie die Sache nicht mit ihr bereden können.«

»Aber wer soll es sonst tun? Van Roeken...«

»Mag zum Henker gehen, wann es ihm beliebt! Den können wir hier nicht gebrauchen – das muß eine Frau tun, und vielleicht kann ich meine Schwester dazu bewegen.«

»Sie würden mich Ihnen unendlich dadurch verbinden!« rief Wagner erfreut aus.

»Sie glauben doch nicht etwa«, sagte Lockhaart, ihn erstaunt ansehend, »daß ich etwas Derartiges Ihretwegen täte? Wenn es geschieht, ist es nur des armen Kindes wegen, das als eine Waise hier im fremden Land dasteht; ein anderer hat sich deshalb auch nicht dafür zu bedanken.«

Wagner fühlte sich durch das Abweisende in den Worten des alten Herrn etwas verletzt; aber es ließ sich doch nicht verkennen, daß er es gut mit dem jungen Mädchen meinte, und diesem zuliebe wollte er es gern ertragen.

»Dann wird es das beste sein, daß ich mich selber an Mevrouw van Straaten deshalb wende«, sagte er.

»Lassen Sie auch selbst das noch sein«, wehrte Lockhaart ab. »Erst geben oder schicken Sie mir einmal die versprochenen Briefe. So viel sage ich Ihnen indessen bestimmt, daß Fräulein Bernold mit dieser Mail auf keinen Fall Java verlassen wird; Sie brauchen also nichts zu übereilen.«

»Ich vertraue Ihnen vollkommen, Herr Lockhaart«, erwiderte Wagner, »denn ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich denke, daß Fräulein Bernold an Ihnen und van Straatens wahre Freunde gefunden hat. Wollen Sie mir jetzt nur noch sagen, weshalb Sie mich zu sprechen wünschten?«

»Ich Sie?« wiederholte Lockhaart – »Ja so, weswegen ich Sie rufen lassen wollte? Das ist jetzt erledigt. Eigentlich wollte ich mit Ihnen nur über unsere Schutzbefohlene sprechen, um die Sie sich die ganze Woche nicht gekümmert haben. Schicken Sie mir nur bald die Briefe.« Und in seinen Stuhl zurückfallend, wo er die eigenen Schriften wieder aufnahm, nickte er Wagner bloß zum Abschied zu und schien sein Fortgehen weiter gar nicht zu bemerken. Draußen vor der Tür von van Straatens Wohnung, und zwar auf dem von dichten Kakaobüschen eingefaßten und von Kokospalmen überragten freien Platz, der zum Vorfahren und Umlenken der verschiedenen Fuhrwerke diente, hatten sich inzwischen ebenfalls ein paar Bekannte getroffen. Tojiang war heute nämlich von Wagner als Boedjang mitgenommen worden, um die Fackel hinter dem Wagen zu halten, wenn es spät werden sollte. Als die Dämmerung nun hereinbrach und sein Herr noch immer nicht herauskam, war er in die Küche gegangen, um dort Feuer zu holen und auf dem Kiesweg, unfern vom Haus, mit dürren Reisern eine kleine Flamme zu unterhalten. Auf dem Herd in der Küche loderte eine helle Glut, und einige der Diener waren hereingekommen, um ihren in großen und eigentümlichen Kesseln gekochten Reis zu holen, während andere ihre Strohzigarren entzündet hatten und soweit wie möglich vom Feuer entfernt an der Wand kauerten, beim Rauchen aber nur in die Flamme hineinstarrten. Gerade als Tojiang den hellerleuchteten Baum betrat, stand ein Bursche, der augenscheinlich nicht mit zur Dienerschaft des Hauses gehörte, am Herd, den einen Fuß hoch auf dessen Rand gestützt und den rechten Arm zu den Kohlen ausgestreckt, um seine kleine Zigarre daran zu entzünden, während die Linke den Griff seines Klewangs hielt. Er blieb auch nicht lange in dieser Stellung, in der die Flamme sein Gesicht hell und deutlich beschien, sondern trat zurück und blies den Dampf in dichten Wolken aus, als sein Blick plötzlich auf den ihn aufmerksam betrachtenden Tojiang fiel und er, mit einer raschen Wendung, in eine Nebenkammer einbiegen wollte – aber es war zu spät. Im nächsten Moment war Tojiang an seiner Seite, und seinen Arm ergreifend, sagte er rasch und leise: »Diesmal kommst du nicht fort, Klapa – diesmal hältst du mich nicht wieder zum Narren, denn ich habe mich jetzt oft genug anführen lassen. Bei Allah, ich bleibe dir auf der Fährte, wohin du auch gehst.«

»Sei kein Tor und komm mit hinaus ins Freie«, flüsterte ihm Klapa rasch zu, »es fällt mir nicht ein, dir davonzulaufen.«

»Um so besser für dich«, murmelte Tojiang finster vor sich hin, »geh voraus; ich bleibe bei dir.«

Klapa wäre ihm vielleicht gern noch aus dem Weg gegangen, denn er hatte den früheren Kumpan allerdings wieder und immer wieder auf seinen ihm zustehenden Anteil noch von früheren Geschäften her vertröstet – und gerade jetzt mußte er ihm da in den Weg laufen, wo er in kaum einer Stunde schon unterwegs nach seinen sicheren Bergen gewesen wäre.

Klapa verließ das Haus, und über den freien davorliegenden Platz hinüberschreitend, hatte er bald ein kleines Gebüsch von jungen Muskatnußbäumen erreicht, wo sie sich weit genug vom Haus entfernt befanden, um dort nicht mehr gehört zu werden.

»Und was führt dich hier ins Haus?« fragte Klapa jetzt, sich zu seinem aufgezwungenen Begleiter umdrehend. »Wer hat dir gesagt, daß ich hier sei?«

»Das bleibt sich gleich«, erwiderte vorsichtig Tojiang, denn es war vielleicht besser, Klapa glaube, er habe ihn hier direkt aufgesucht. »Sag mir lieber, was du hier auf van Straatens Anwesen zu suchen hast?«

»Eine von den Hausmägden ist meine Schwester, und ich – mußte sie noch sprechen, ehe ich wieder heimging.«

»Also tatsächlich auf dem Weg?«

»Ich bleibe noch zwei oder drei Tage hier in der Gegend«, sagte Klapa, »und hätte dich morgen jedenfalls selber aufgesucht.«

»So? Wirklich? Nun, da hab' ich es dir jetzt bequemer gemacht. Aber wohin gehst du?«

»Willst du mit?«

»Hm, nein – und mein Fragen hilft mir auch nichts – du sagst mir doch nicht mehr, als ich wissen soll. Aber die Zeit vergeht, und jeden Augenblick kann mich der Tuwan zum Wagen rufen. Halte jetzt also, was du versprochen hast, oder ich halte auch nicht, was ich versprach, und erzähle heut abend alles, was ich von dir weiß.«

»Wenn du wüßtest, wie wenig ich in der Zeit verdient habe!« stöhnte Klapa.

»Ich will dir sagen, was du verdient hast«, fuhr aber Tojiang ärgerlich auf, »die frühere Sache ganz abgerechnet, für die du allein den Lohn empfangen...«

»Ich habe auch allein die Arbeit getan.«

»Gut, ich will nichts dagegen sagen, obgleich du es mir versprochen hattest. Aber die Taube – wer hat dir zu der Taube verholfen, um die der alte Tonké den ganzen Kampong umgedreht und geheult und geschrien hat?«

»Daß dich und deine Taube der Henker holte!« fluchte Klapa zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. »Du bist von jeher zu feige gewesen, bei irgendeiner kühnen Tat die Hand selber mit im Spiel zu haben, wo's aber galt, den andern vorzuschieben, da warst du der rechte Mann. Mit der verdammten Taube hab' ich mehr Last, Mühe und Gefahr gehabt als von all meinen Abenteuern zusammen. Seit der Stunde darf ich mich nicht mehr in Meester Cornelis blicken lassen; der alte Tonké hat mir den Tod geschworen, weil er glaubt, ich ernte jetzt alle Tage soundso viel Diamanten, und verdorren will ich hier an der Stelle, auf der ich stehe, wenn mir das unselige Vieh von einer Taube nicht in derselben Nacht krepiert ist, als ich sie dem alten Narren aus der Hütte holte. Du magst es glauben oder nicht«, fuhr er in der Erinnerung an jenen Abend noch ärgerlich fort, »hätt' ich sie aber gut nach Haus gebracht, säß' ich jetzt nicht hier.«

»Und Hetavi?« warf Tojiang ein.

»Was geht mich der alte Schuft an?« knurrte der Javaner. »Alles, was in der ganzen Umgegend verübt worden ist, muß natürlich auch Klapa verübt haben. Versteht sich! Es ist ja auch das Bequemste, einen solchen Sündenbock bei der Hand zu wissen.«

»Wenn du ungeschickt warst, ist das nicht meine Schuld«, brummte Tojiang, »so viel weiß ich aber, daß ich von dir noch nie mehr als eine Handvoll Deute sah, und alles, was du hier im Ort verdient hast, hab' ich gleichwohl für dich ausspionieren müssen. Wer hat dich zum Beispiel bei dem kleinen, krummen Tuwan eingeführt, und wie dick seid ihr beide seit der Zeit geworden?«

»Schrei nicht so«, sagte Klapa, indem er einen Blick umherwarf und zugleich die rechte Hand in seine Tasche schob. »Etwas hast du schon verdient, ich kann's nicht leugnen, und du sollst nicht sagen, daß Klapa seine Freunde betröge, aber – ist dir dein eigener Hals lieb, dann laß den kleinen Weißen unerwähnt. So klein er ist, so lange Arme hat er – und er zahlt gut. Da, behalte das, es ist die Hälfte von allem, was ich hier in Batavia verdient habe.«

Mit diesen Worten drückte er Tojiang ein großes Goldstück in die Hand und wollte dann fort von ihm, wieder zum Haus zurück. Tojiang aber, der die Münze und ihren Wert gar nicht kannte, war nicht gesonnen, seine ganze Aussicht auf Gewinn durch ein Stück vielleicht wertlosen Erzes abgekauft zu sehen.

»Bei Allah!« rief er. »Du hast gute Gedanken, wenn du glaubst daß ich mich mit dem großen DeutDeut: Die kleinste und auch einzige Münze auf Java, ungefähr vom Wert zweier Pfennige, da die übrige Währung nur aus Papiergulden besteht (ausgenommen die holländischen Golddoublonen, die aber fast nie in Umlauf kommen). zufriedengebe. Nicht einmal einen Mund voll Opium bekäme ich dafür.«

»Narr«, sagte Klapa finster, »ein einziges solches Stück kauft dir oben in den Bergen die beiden besten Karbauen, die du finden kannst – bist du noch nicht damit zufrieden?«

»Tojiang!« schallte in diesem Augenblick Wagners Stimme durch den Garten, und Tojiang, an den Klang gewöhnt, schrak empor.

»Sag keinem Menschen, woher du es hast«, flüsterte Klapa noch dem Freund zu und verschwand im nächsten Augenblick in den Büschen, während Tojiang rasch in die Küche zurücksprang, um seine Fackel zu entzünden und mit dieser, so schnell er konnte, dem Bendi zuzueilen.

Wagner hatte schon seinen Platz eingenommen, Tojiang sprang hinten auf und schwang die Fackel, und fort rasselte das leichte Fuhrwerk, um sich draußen auf der Hauptstraße einer ganzen Reihe ähnlicher anzuschließen, die den Weg auf eigentümliche Art belebten.


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