Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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24. Horbach wird gesucht und schließlich gefunden

Wagner hatte sich, ohne mit irgend jemandem im Hotel zu verkehren, in seinen Bendi geworfen und fuhr in das Geschäft hinunter, um dort van Roeken von dem Geschehenen sowohl in Kenntnis zu setzen als auch ihm mitzuteilen, was er jetzt zu tun beabsichtige. Als er aber gerade über die Brücke kam, wo der Weg in das chinesische Viertel hineinführt, begegnete ihm van Roeken in seinem Einspänner, auf dem hinten der erst kürzlich angenommene Arbeiter und frühere Diener Horbachs, Tojiang, stand. Die beiden leichten Fuhrwerke hielten nebeneinander.

»Wo willst du hin?«

»Den liederlichen Horbach suchen«, sagte van Roeken, »er ist tatsächlich bis jetzt noch nicht nach Haus gekommen, und keine Spur ist von ihm zu finden. Im Hospital unten war ich ebenfalls schon. Der Bendi hat ihm gestern die neuen Kleider gebracht und ihn abgeholt; dann ist er fortgefahren, aber niemand weiß, wohin.«

»Und wo, glaubst du, daß er jetzt steckt?«

»Tojiang, den ich mitgenommen habe, meint, er kenne die Spelunken ganz genau, wo er sich gewöhnlich herumtrieb; er soll mich jetzt führen. Aber lieber ist mir's, ich habe Gesellschaft; komm mit, in einer halben Stunde machen wir die ganze Sache ab.«

»Gut«, sagte Wagner, »dann komm ich mit zu dir hinüber – ich habe doch einiges mit dir zu besprechen, und Tojiang mag sich zu meinem Kutscher setzen. Wenn wir den Burschen finden, wird es dem einen Pferd außerdem zuviel, euch alle fortzubringen.«

Der Wechsel war rasch vollzogen. Während Tojiang Befehl erhielt, voranzufahren und den Weg zu zeigen, hielt sich van Roekens Bendi dicht hinter ihm, und beide bogen jetzt, quer über den chinesischen Basar hinüber, in die krummen und engen Gassen des chinesischen Viertels ein, in denen sie sich keinen besseren Führer hätten wünschen können, als eben den liederlichen Tojiang. Rasch konnten sie hier auch nicht vorwärtsrücken. Es wimmelte in den Straßen nicht allein von Lastträgern und wandernden Krämern, sondern auch von Kindern, die sich entweder hetzten und haschten oder mitten in der Straße mit ihren Spielen saßen und sehr erstaunt die hier ganz außergewöhnlichen Fuhrwerke ankommen sahen, ohne Miene zu machen, ihnen auszuweichen. Der Kutscher mußte sie erst anrufen, damit sie ihm nur Raum gaben, hindurchzukommen. Und was für Höhlen schlossen sich ihnen da auf! In eine der Querstraßen einbiegend, sahen sie eine Seitengasse, die in einen Sack auslief und in der sie nicht einmal hätten wenden können. Sie waren deshalb gezwungen, auszusteigen, weil Tojiang hier die erste Nachfrage halten wollte und van Roeken ihm nicht traute. Die Gasse hinaufgehend, die von Schmutz starrte, sahen sie überall in den offenen, wenn auch engen Hausfluren Trupps von chinesischen und malaiischen Mädchen sitzen, junge und doch schon verlebte Gestalten und widerliche Weiber, in lange schmutzige Kattunlumpen gehüllt und mit unechtem Schmuck behangen, die Gesichter mit weißer Schminke gefärbt. Einzelne müßige Chinesen trieben sich zwischen ihnen herum, mißtrauische Blicke auf die Fremden werfend, und erst als Tojiang zwischen sie sprang und von einigen als alter Genosse erkannt wurde, grüßten sie die Tuwans. Im anderen Fall hätten sie auf keinen Gruß der sonst so demütigen Burschen rechnen dürfen, denn sie waren, als sie sich hier zeigten, zu tief aus ihrer Sphäre herabgestiegen.

Tojiangs Nachfragen blieben jedoch erfolglos. Der weiße Mann oder der »wilde Tuwan«, wie sie ihn nannten, war ihnen recht gut bekannt, aber schon seit langer, langer Zeit – wenigstens vierzehn Tage – nicht in diese Gegend gekommen. Sie gingen zu ihren Wagen zurück und fuhren weiter. Jetzt kamen sie durch eine lange Gasse, in der lauter Färber wohnten, jetzt in das Viertel der Tischler, in dem die riesigen chinesischen Särge auf Vorrat aufgeschichtet standen. Nun wieder kreuzten sie eine andere Quergasse, und gleiche Lasterhöhlen zeigten sich hier. Aber auch dort suchten sie vergeblich nach ihrem Entflohenen. Tojiang tauchte in die unglaublichsten Winkel ein, klopfte an Türen, wo man gar keinen Eingang vermutete, drang in das Innere der Häuser vor und führte seine beiden Begleiter durch Gänge, in denen sie sich scheuten, selbst den Boden mit den Sohlen ihrer Stiefel zu berühren. Trotzdem fanden sie den Gesuchten nicht, und Tojiang schien schon alle Hoffnung aufzugeben. Er erklärte auch endlich, daß er in der Tat nicht mehr wisse, wo der weiße Tuwan stecken könne, denn alle die Orte, an denen er je mit ihm zusammen gewesen sei, das heißt ihn wahrscheinlich selber einführte, hätten sie abgesucht. Als einzige Möglichkeit blieb nur, daß er sich nach einem der entfernt gelegenen Basare gewandt habe; wahrscheinlich sei es, daß sie ihn im Basar bharoeh, im Basar snin oder vielleicht sogar in Meester Cornelis finden könnten, und wenn es den Herren zu weit wäre, so wolle er selber gern hinüberfahren und stünde ihnen dafür, daß er ihn doch noch aufstöbere.

Wagner wäre damit vollkommen einverstanden gewesen, denn Horbach interessierte ihn viel zu wenig, um Stunden daran zu wenden, hinter ihm her zu fahren. Van Roeken dagegen, mehr mit diesen Leuten und ihren Schlichen und Wendungen vertraut, hatte einen Verdacht geschöpft, daß Tojiang noch irgendeinen Platz hier in der Nähe wisse, an den er ihn nicht hinführen wolle, und war um so mehr entschlossen, den Grund dafür zu erfahren. Während der Bursche nämlich mit seinen früheren Kameraden und einigen chinesischen Mädchen sprach, war verschiedene Male ein Wort vorgekommen, das sie sich immer nur zuflüsterten, so daß er den Namen nie deutlich verstehen konnte. Er wußte allerdings, daß es hier in der Nähe einige Opium- und Branntweinhöhlen gab, die vor dem kontrollierenden Arm der Regierung streng geheimgehalten wurden, und wenn Tojiang den Verdacht hatte, daß Horbach in einem solchen Versteck liege, so war es mehr als wahrscheinlich, daß er wünschen mußte, ihn auch dort allein aufzusuchen. Einmal aber auf solcher Fährte, und van Roeken war nicht so leicht wieder davon abzubringen.

»Paß auf, mein Bursche«, sagte er, während er neben dem Bendi stehenblieb und Tojiang fest ansah, »und höre mir einmal ein wenig genau zu. Ich bin nicht taub und verstehe das Malaiische ziemlich so gut wie du selber. Wenn du nun behauptest, daß deiner Meinung nach dein früherer Herr auf einem der Basare zu finden sei, so lügst du wie ein nichtswürdiger Halunke, der du auch bist. Ich habe gehört, daß dir die Dirnen den Ort nannten, wo du deinen Tuwan Horbach aller Wahrscheinlichkeit nach finden würdest, ich weiß auch etwa die Gegend, wo der Ort liegt, wenn auch nicht ganz genau das Haus, und verlange jetzt von dir, daß du uns direkt hinführst, oder ich werde dir zeigen, was ich tue.«

»Aber, Tuwan«, sagte Tojiang erschrocken, »wenn ich weiß, wo der Tuwan Horbach steckt, will ich – will ich gleich...«

»Halt; keine von deinen doppelzüngigen Ausflüchten«, sagte aber van Roeken ruhig; »ich weiß recht gut, daß du noch nichts Bestimmtes darüber erfahren hast, aber deiner Vermutung nach steckt er dort. Er hat mir selber erzählt, was ihr an diesem Ort schon alles getrieben habt und wie geheim und abseits, von anderen Gebäuden vollständig geschützt, der Ort läge, ja zu Haus habe ich sogar ein Buch von ihm, in dem er genau beschrieben ist. Fahre ich jetzt nach Haus und hole das, so gebe ich dir mein Wort, daß ich auch zugleich die Polizei mitbringe, und ich brauche dir nicht mehr zu versichern, daß wir den Platz nachher finden, und wenn wir die Häuser in seiner Nachbarschaft alle bis in die letzten Winkel hinein durchstöbern müßten. Du selber aber kommst dann als Mitwisser dieser geheimen Höhlen, in denen Opium geraucht, getrunken und gespielt wird, ebenfalls in Teufels Küche und wirst so sicher eingesteckt, wie du jetzt da vor mir auf deinen zwei Füßen stehst. Sitzt du aber erst einmal im Gefängnis, dann, denk ich mir, kommen auch noch andere Dinge an den Tag, von denen ich habe munkeln hören. Da ist einmal ein alter Chinese gewesen – du verstehst schon, wen ich meine...«

»Tuwan Roeken«, sagte Tojiang erschrocken, »ich weiß bestimmt nichts von einem alten Chinesen.«

»Nun, so alt war er auch eigentlich noch nicht«, fuhr van Roeken fort, der auf gut Glück hin riet, denn unter hundert von Malaien verübten Diebstählen kann man fest darauf rechnen, daß neunzig einen Chinesen zu ihrem Opfer hatten. »Doch das alles bringen die Gerichte schon heraus, wenn sie dich erst einmal unter dem Daumen haben, und du magst jetzt tun und lassen, was du willst.«

»Ich glaube nicht, daß er den Aufenthalt weiß«, sagte Wagner zu van Roeken in deutscher Sprache.

»Und ich möchte mein Leben zum Pfand setzen«, versicherte van Roeken, »daß er ihn nicht allein jetzt ganz sicher vermutet, sondern daß wir auch keine dreihundert Schritt davon entfernt sind. Laß ihm nur Zeit, er wird es sich schon überlegen, daß sein eigener Vorteil darin liegt, die Polizei nicht zu bemühen, und ist er erst einmal darüber mit sich im reinen, so schwindet für ihn jede andere Rücksicht. Nun, mein Bursche, willst du uns führen?«

»Wenn Tuwan den Ort so genau weiß«, sagte der Bursche störrisch, »dann braucht er ja gar nicht Tojiang dazu, um ihn zu finden.«

»Ich habe dir aber schon gesagt, daß ich ihn nicht genau weiß, jedoch finden könnte, wenn ich eben die Polizei zu Hilfe nehmen will. Da ich die Sache aber jetzt erledigen möchte und mir daran liegt, den Tuwan Horbach noch heute aufzufinden, sollst du uns führen. Tust du es freiwillig, so verspreche ich dir, mich um weiter nichts zu kümmern. Ich gehöre nicht zur Polizei, und was die Leute da sonst treiben, geht mich nichts an; tust du es nicht freiwillig, so hast du dir die Folgen selber zuzuschreiben.«

Tojiang erwiderte kein Wort; er stieg aber wieder auf den Bock, flüsterte dem Kutscher ein paar Worte zu und fuhr langsam die Straße hinunter; Wagner und van Roeken folgten in ihrem Bendi, und die Gasse hinunter bogen sie gleich darauf rechts in eine kleine Querstraße ein, die zwei breitere miteinander verband und in der Mitte durch eine schmale hölzerne Brücke getrennt wurde. Unter dieser Brücke wälzte sich einer jener Kanäle hin, die den Schmutz des ganzen chinesischen Viertels aufnehmen und dafür in ihrer unmittelbaren Nähe eine Unmenge schädlicher Dünste ausströmen. In diese Gasse, obgleich sie so eng war, daß kaum noch ein Mann neben dem Bendi herschreiten konnte, lenkte Tojiang dennoch ein, und wenn auch das Pferd vor der schmalen Brücke scheute, ließ er sich davon nicht abschrecken. Er sprang selber vom Bock herunter, nahm es am Zügel, führte es hinüber und hielt dann gerade weit genug drüben, um van Roeken noch Platz für seinen Bendi zu lassen.

»Und ist dies die Stelle, Tojiang?« fragte van Roeken.

»Ta-u, Tuwan«, erwiderte achselzuckend der Malaie mit dem bei dieser Antwort eigentümlichen singenden Ton, »ta-u – wollen sehen.«

»Halt, wir gehen mit!« rief aber van Roeken, als Tojiang Miene machte, seine Untersuchung allein anzustellen, und sprang dabei aus dem Wagen.

»Gut«, sagte Tojiang, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, das kleine, niedrige Bambusgebäude vorher allein zu betreten. Ehe van Roeken es verhindern konnte, war er durch die Tür hindurchgeschlüpft und blieb, als die beiden Freunde ihm dort hinein folgen wollten und durch einen stockfinsteren Gang daran gehindert wurden, etwa zehn oder vierzehn Minuten fort.


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